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Mit Papier und ordentlich Druck gegen den Strukturwandel

17. September 2008

Auch in Ungarn spürt man den Druck auf ländliche Gebiete. Gut ausgebildete Jugendliche verlassen die Dörfer. Zurück bleiben oft die Alten. Das stimmt aber nicht immer. In Fedémes engagiert sich ein findiger Unternehmer.

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Landschaft mit Berg (26.06.2002/AP)
In einem ungarischen Dorf in den Bergen beschäftigt ein Unternehmer sieben FamilienBild: AP

Im Zentrum der kleinen Kellerwerkstatt steht eine große elektrische Rührmaschine. Sie stoppt, ein zähflüssiger Brei wird ins Becken gekippt und mit einem großen Holzlöffel umgerührt. Bela Molnar steht mit seiner schwarzen Gummischürze davor, vorsichtig nimmt er ein Gefäß gefüllt mit der weißen Masse heraus und gießt den Brei in einen großen, stählernen Wasserbottich. Ein geübter Griff nach dem Holzlöffel folgt. Bedächtig und sorgsam wird die weiße Masse, die auch ‚Pulpe‘ heißt, weiter verrührt. Aus ihr wird Bela Molnar gleich das wertvolle Papier schöpfen, dass nur hier im kleinen ungarischen Dorf Fedémes hergestellt wird.

Mit altem Handwerk zum Weltprodukt

Papierfabrik am Baikalsee aus der Ferne (16.02.2005/dpa)
Anders als in dieser Papierfabrik am Baikalsee wird in Fedémes per Hand hergestelltBild: PA/dpa

Bela Monar liebt seine Arbeit über alles. Papiermachen, das ist für ihn nicht nur Broterwerb, sondern eine Lebensweise. Es ist eine ruhige Arbeit, bei der Genauigkeit zählt und trotzdem viel Zeit zum Nachdenken bleibt. Seit über fünf Jahren arbeitet der 48-jährige Bela Molnar. Davor war er Traktorist auf einem ehemals staatlichen Landwirtschaftsbetrieb, der nach der politischen Wende privatisiert wurde.

Ein kurzes Intermezzo, denn der Betrieb ging Pleite, zu groß war die internationale Konkurrenz nach dem EU-Beitritt Ungarns. Bela Molnar wurde arbeitslos, doch deshalb weggehen aus dem 400 Seelen Dorf Fedémes, das kam für ihn nicht in Frage. Zu mühsam erschien ihm die Perspektive, täglich in die Stadt zu pendeln. Und wie sollte er auch, ohne ein Auto, dass sich in der Region um Fedémes kaum einer leisten kann. Bela Molnar hatte Glück, denn dank der kleinen Papierwerkstatt von Laszlo Vincze hatte er bald eine neue Arbeit. Der kleine Betrieb erlebte nach der Wende einen ungeahnten Aufstieg, der heute schon sieben Familien im Dorf ernährt.

Mehr und mehr Leute schätzen zeitloses Papier

In einem kleinen Ausstellungsraum zeigt Lazlo Vince, Gründer und Chef der Fedémeser Papierwerkstatt, sein Angebot. Achtsam in Regale einsortiert, Urkunden, Glückwunschkarten und Designerpapier. Alle erdenklichen Größen finden sich, unterschiedlichste Farben und Strukturen. Nur eines eint seine Produkte – sie sind alle von Hand gemacht. "Das schätzen vor allem Künstler", sagt der 45-jährige Unternehmer und lächelt ein wenig schüchtern. "Vor allem die Struktur unseres Papiers hat es den Menschen angetan, denn jedes Papier ist ein Unikat und überdauert ohne Probleme ein paar hundert Jahre lang."

Elisabeth-Brücke bei Budapest, Luftaufnahme (25.06.2005/AP)
Auch in Ungarn ziehen die großen Städte die jungen Leute anBild: AP

Zu den Kunden des studierten Diplom-Ingenieurs Vince gehören auch Staatskanzleien und Museen. Sie überrascht er immer wieder, indem er alte Rezepte der Papier-Manufaktur wieder zu neuem Leben erweckt. Selbstständig machte sich Vince noch vor dem Ende des Kommunismus, zum begehrten Geheimtipp wurde sein Papier aber erst nach der Wende. Erst pendelte er mit seinem Papier zwischen kleinen Kunstmärken und heimischen Museums-Restauratoren hin und her. Heute sind die handgeschöpften Papierbögen aus Fedémes sogar eine geschützte Marke, die inzwischen auch auf der bedeutenden Papiermesse "Paper-World" in Frankfurt am Main vertreten ist.

Ein Unternehmer des Jahres, der auf den ländlichen Raum setzt

Vor zwei Jahren wurde Lazlo Vince in Ungarn zum Unternehmer des Jahres gekürt. Eine Auszeichnung auch für sein unternehmerisches Engagement im strukturschwachen ländlichen Raum. Die Auszeichnung scheint ihn inspiriert zu haben, denn die neuen Ideen rund um sein altes Handwerk sprudeln nur so aus ihm heraus. In einem verlassenen Haus hinter seiner Papierwerkstatt will er ein Papiermuseum einrichten. Dort sollen Künstler und Interessierte dann ihr eigenes Papier produzieren – nach altem Rezept versteht sich. Eine neue Chance für das kleine ungarische Dorf Fedémes, die sich auch in anderen ländlichen Regionen herumsprechen dürfte.