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Tetrahydrogestrinon - <br>die neue Dopingseuche

Das Interview führte Hanspeter Detmer28. Oktober 2003

Das Biochemische Institut an der Deutschen Sporthochschule Köln ist ein vom olympischen Komitee (IOC) anerkanntes Doping-Analyse-Labor. DW-WORLD sprach mit dem Direktor und Anti-Doping-Experten Prof. Wilhelm Schänzer.

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Wilhelm Schänzer streut Tetrahydrogestrinone (THG) in ein ReagenzglasBild: dpa

DW-WORLD: Was verbirgt sich hinter dem chemischen Kürzel THG?

Wilhelm Schänzer: THG ist die Abkürzung für die Substanz Tetrahydrogestrinon. Gestrinon allein ist ein hormonelles Steroid, das zum Beispiel in der Gynäkologie bei der Behandlung der Gebärmutterschleimhaut eingesetzt wird. Weil es als Steroid aber auch anabole Wirkung hat, steht Gestrinon auf der Dopingliste verbotener Substanzen. THG ist chemisch modifiziertes Gestrinon. Man hat hier vier Wasserstoffatome eingeführt, deshalb der Name Tetrahydrogestrinon. Es hat ähnliche Wirkung wie das Gestrinon selbst und ist im Sinne der Dopingdefinition ebenfalls verboten.

Populärer ausgedrückt: Ist THG eine muskelaufbauende Substanz?

Richtig. Es ist ein anaboles Steroid, das die Eiweißsynthese in der Muskulatur stimuliert, um bessere Kraftwerte zu erzielen. THG wird somit von Sportlern eingesetzt, die in besonderem Maße den Faktor Kraft brauchen – also beispielsweise Gewichtheber, Leichtathleten, Schwimmer oder Radsportler.

Wo kommt THG her?

Fakt ist, dass THG von einem US-amerikanischen Labor synthetisiert worden ist. Wir wissen aber nicht, ob THG von einer größeren Firma hergestellt wurde mit dem Ziel, es als Steroid langfristig zu vermarkten. Oder ob es von ein, zwei Insidern mit hinreichenden Chemiekenntnissen hergestellt wurde, um Sportlern gezielt entsprechende Vorteile zu verschaffen, weil die Athleten mit der neuen chemischen Verbindung nicht auffallen konnten. Die Analysecomputer waren auf die bislang unbekannte Substanz noch nicht kritisch eingestellt. Auch wissen wir nicht, ob es außerhalb der USA diese chemische Verbindung bereits gibt.

Ist im Falle von THG erstmals eine chemische Substanz gezielt für Sportdoping entwickelt worden?

Grundsätzlich hat man auf ein Steroid zurückgegriffen, das eigentlich sehr einfach zu modifizieren war. Also musste man keine intensive Neuentwicklung vorantreiben. Wir kennen ein ähnliches Vorgehen auch aus dem Bereich der Stimulanzien. In den letzten Jahren sind in Russland speziell für den Sport Stimulanzien entwickelt worden, um Leistungsvorteile zu erzielen. Im Zusammenhang mit Steroidhormonen, mit Anabolika, war das bislang aber nicht bekannt. Da hat man auf Präparate zurückgegriffen, die zum Beispiel für die Tiermast entwickelt worden sind, oder man hat Präparate wiederentdeckt, die für die eigentliche medizinische Anwendung schon gar nicht mehr von Interesse waren.
In diesem Fall wurde eine Substanz speziell für den Sport modifiziert, wobei das nicht so schwierig ist, als würde man ein Steroid vollständig neu synthetisieren.

Wie wird THG verbreitet? Bekannt ist, dass viele Doping-Präparate bereits im Internet angeboten werden.

Internet-Angebote und entsprechende Verbreitung von THG sind mir bislang nicht bekannt. Soweit ich weiß, ist THG ausschließlich im Untergrund vertrieben worden. Es scheint ja auch so zu sein, dass die Information nur durch einen Eingeweihten nach außen dringen konnte.

Wie dicht sind die Dopingfahnder in Sachen THG bislang den Tätern auf der Spur?

Wir haben unsere Analysecomputer auf die notwendige Sensibilität für die neue Substanz erweitert. Wir überlegen auch, welche Proben wir aus der Vergangenheit, sofern sie noch bei uns gelagert sind, einer Nachforschung unterziehen.

Jetzt aber ist die neue Gefährdung des Sports bekannt. Bedeutet das, dass damit die THG-Seuche eingedämmt wird?

Wir haben immer beobachtet, dass, wenn neue Substanzen missbraucht wurden und das bekannt wurde, der Missbrauch stark abgenommen hat. Dennoch wird der Missbrauch nicht auf Null zurückgehen. Es wird immer wieder Versuche von Athleten geben, die hoffen, doch noch durch Kontrolllöcher zu schlüpfen.