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Pressestimmen von Dienstag, 29. Juni 2004

die Redaktion hatte Stephan Stickelmann. 28. Juni 2004

Streit zwischen SPD und Gewerkschaften / Machtübergabe im Irak

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Die Machtübergabe im Irak ist das beherrschende Thema in den Kommentarspalten der Tageszeitungen. Hören Sie zunächst aber den Meinungsbeitrag der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Streit zwischen SPD und Gewerkschaften und seinen parteipolitischen Weiterungen. Das Blatt notiert:

"Wenn der Fuchs und das Frettchen dem Bauern anbieten, auf dem Hühnerhof Ordnung zu schaffen, ist die Absicht klar. So ähnlich ist das auch, wenn Friedrich Merz und Guido Westerwelle einmütig der rot-grünen Regierung ihre Unterstützung gegen die Gewerkschaften andienen. Die Marktliberalen machen sich keine Sorgen über Schröders Reformagenda oder gar das Schicksal der SPD. Merz und Westerwelle geht es darum, die Kluft zwischen Teilen der SPD und Teilen der Gewerkschaft noch zu vertiefen. Der FDP-Chef schreckt dabei nicht einmal davor zurück, sich des Kampfvokabulars der KPD aus der Weimarer Republik zu bedienen. Verdi-Boss Bsirske sei, so Westerwelle, ein 'Arbeitnehmerverräter', was die moderne Form des 'Arbeiterverräters' ist. Als Arbeiterverräter brandmarkten die Kommunisten damals die Sozialdemokraten. Guido Westerwelle reicht Ernst Thälmann die Hand."

Und nun zum Irak. Das NEUE DEUTSCHLAND bemerkt:

"Als Aufbruch in eine neue Zeit hat die Bush-Regierung den 'Machtwechsel' in Bagdad beschworen. Er fand zeitverschoben, heimlich und im kleinen Kreis statt. Aus Angst vor Anschlägen. Kein gutes Omen für die Zukunft Iraks und das Ergebnis einer verheerenden Besatzungspolitik der USA. Furcht und Gewalt beherrschen das Zweistromland, das noch immer in Trümmern liegt. Von Wiederaufbau kaum eine Spur. Auch die Souveränität, die den Irakern nun versprochen wird, ist eine Schimäre. Die militärische und die wirtschaftliche Macht bleiben in den Händen der Angreifer und im rechtsfreien Raum, denn US-Bürger sind vor dem Zugriff irakischer Gerichte geschützt. Die Fortsetzung der Besatzung mit anderem Etikett wird auch die neue Regierung schnell diskreditieren."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint:

"Die Probleme Iraks können nur die Iraker lösen. Dafür brauchen sie die volle Souveränität. Nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag. Die zu stärken und zu respektieren, ist die beste Hilfe, die die Welt Irak jetzt angedeihen lassen kann. Wenn aber die USA, Großbritannien und ihre Kriegsverbündeten de facto weiter als Besatzer auftreten, könnten alle Hoffnung rasch zerrinnen. Eine Arbeitsteilung zwischen der Regierung, die den politischen Prozess organisiert, und einem nach eigenen Vorstellungen operierenden fremden Militär, gäbe einer friedlichen Entwicklung keinen Entfaltungsraum."

DIE WELT ergänzt:

"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Wirklich souverän - so wäre mit Carl Schmitt zu ergänzen - ist allerdings nur, wer es sich leisten kann, den Ausnahmezustand dann auch baldigst wieder aufzuheben. Damit das geschehen kann, muss die neue Übergangsregierung tun, was die Koalitionskräfte von Anfang an versäumt haben: Einbindung der sunnitischen Kleriker, der moderaten Baathisten, derjenigen unter den Aufständischen, denen die Anschläge der vergangenen Tage zu weit gingen. Mit dem Großayatollah Sistani hat man außerdem den in der Region einmaligen Fall eines Mullahs, der eine säkulare Macht neben sich duldet, ihr sogar ausdrücklich seinen Segen gegeben hat. Das muss man nutzen, und es wird ausstrahlen."

Und der Kommentator der SAARBRÜCKER ZEITUNG kommt zu dem Schluss:

"Ungeachtet der Unwägbarkeiten gibt es zur Rückgabe der Souveränität keine Alternative. Nun müssen so schnell wie möglich allgemeine, freie und geheime Wahlen folgen, um dem 'irakischen Gesicht' auch eine demokratische Legitimierung zu verleihen. Die neuen Regenten am Tigris helfen sich jedenfalls nicht, wenn sie heute bereits über die Verlegung der für Januar 2005 angepeilten Wahlen spekulieren. Damit stärken sie die Kräfte, die in der Übergangsregierung nur Marionetten Washingtons sehen. Auf mittlere Sicht führt kein Weg daran vorbei, die UNO und andere multinationale Organisationen in den Aufbau des Nachkriegs-Iraks einzubinden. Gebraucht wird eine echte Internationalisierung der Schutztruppen, mit einer Schlüsselrolle für Einheiten aus moslemischen Ländern."