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Polen diskutiert über Pädophilie-Gesetz

28. November 2008

Polen strebt die schärfsten Gesetze gegen Kindermissbrauch und Inzest in Europa an. Im Oktober hat die Regierung einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der vor Jahresende verabschiedet werden soll.

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Kinder müssen geschützt werdenBild: DW

Es begann in diesem Sommer. Zuerst wurde ein schrecklicher Inzest-Fall in Österreich bekannt, ein paar Wochen später ein weiterer in Polen. Ein 45-Jähriger hatte dort sechs Jahre lang seine Tochter vergewaltigt und mit ihr zwei Söhne gezeugt. Im September ging die inzwischen erwachsene Frau zur Polizei.

Zwangstherapie und Kastration

Seither wird der Ruf nach härteren Gesetzen gegenüber Pädophilen in Polen immer lauter. In dieser Frage sind sich die Politiker und die Gesellschaft einig. Der polnische Regierungschef, Donald Tusk, machte das Thema schnell zur Chefsache und brachte binnen kürzester Zeit einen Gesetzesentwurf auf den Weg, der eine so genannte „chemische Kastration“ vorsieht.

Der stellvertretende Justizminister Zbigniew Wrona erklärt, dass die Verschärfung viele zusätzliche Maßnahmen für verurteilte Pädophile vorsehe. Nachdem diese ihre Haftstrafe verbüßt hätten, müssten sie sich einer Zwangstherapie unterziehen.

Diese würde eine psychiatrische und eine medikamentöse Behandlung beinhalten, so Worna. Zunächst bliebe der Patient in einer geschlossenen Anstalt. Erst wenn Experten die Therapie für erfolgreich einschätzten, könne er sie auch ambulant fortsetzen.

Mit Hormonen gegen den Sexualtrieb

Ab wann allerdings eine „chemische Kastration“ als „erfolgreich“ gelten würde, dass will in Polen noch niemand konkret sagen. Sicher ist nur, dass verurteilte Sexualstraftäter unterschiedlich dosierte Hormonpräparate verabreicht bekämen. Diese hätten den Zweck den Sexualtrieb zu reduzieren.

Doch was kaum jemand ausspricht, ist das Risiko eines dauerhaften Schadens bei den Patienten. Und genau daran stören sich manche Verfassungsrechtler. Auch der Warschauer Anwalt, Marek Chmaj, hat Bedenken: Die geplanten Änderungen seien mit der polnischen Verfassung nicht vereinbar, da sie die Menschenwürde verletzten.„Der Artikel 40. unserer Verfassung verbietet körperliche Strafen und die chemische Kastration wäre eine solche.“

Ungehörte Bedenken

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Donald Tusk will gegen Kinderschänder vorgehenBild: AP

Doch diese Bedenken verhallten bei den meisten polnischen Politikern zunächst einmal unerhört. Auch für den Premierminister Donald Tusk scheint es im Moment wichtiger, dass sein Vorhaben auf breiten gesellschaftlichen Zuspruch trifft.

Denn laut Umfragen finden rund 80 Prozent der Polen „chemische Kastration“ gut. Auch wenn man auf der Straße durchaus unterschiedliche Meinungen hört. Während die einen noch härtere Maßnahmen fordern, monieren andere, dass die Grundrechte auch für Verbrechen gelten.

Teure Behandlung kostenlos

Ungeachtet der Bedenken wollen auch Gerichtsmediziner und Sexualwissenschaftler das Gesetz so schnell wie möglich. Denn für sie würde es einen ganz neuen Therapierahmen schaffen, den es heute nicht gibt.

Der polnische Sexualwissenschaftler Lew Starowicz erzählt, dass ein pädophiler Mann bei ihm in der Praxis derzeit seine Behandlung selbst bezahlen müsse . Und das gelte auch für ehemalige Verbrecher, die als Pädophile das Gefängnis verließen.

„Dabei sind doch viele dieser Männer arbeitslos oder haben wenig Geld, und der Staat ist im Moment noch zu gar nichts verpflichtet“, so der Sexualwissenschaftler.Das Gesetz würde dies endlich ändern.

Täter ungestraft auf Opfersuche

Das Gesetz würde auch eine zentrale Datenbank, den Aufbau von Therapiezentren und eine bessere Ausbildung der Therapeuten ermöglichen. Bisher sind landesweit nur 15 Mediziner mit dem Schwerpunkt Pädophilie tätig. In den meisten Städten gibt es überhaupt keine Stelle, an die sich Männer mit einer entsprechenden Neigung hinwenden könnten.

Aber nicht nur Experten haben gute Argumente. Auch die Polizei braucht das Gesetz. Sprecher der Polizei, Marcin Szyndler, hofft auf die Möglichkeit, eigenhändig Provokationen im Internet durchzuführen. „Im Moment machen es in der Regel Journalisten, denn wir als Polizei dürfen es nicht.

Computermaus
Ein Klick vom Opfer entferntBild: bilderbox

Das heißt, dass die Pädophile im Internet ihre Opfer suchen dürfen, und wir können kaum eingreifen.“ Das Gesetz würde das verbessern.

Kinder sicherer im Internet

Tatsächlich sieht das Gesetz einen neuen Straftatbestand vor: Die so genannte „Internet-Bekanntschaft“. Das bedeutet, dass wenn anhand von Briefen angenommen werden kann, dass ein Erwachsener an sexuellen Kontakten mit Minderjährigen unter 15 Jahren interessiert ist und er versucht, sich mit ihnen zu treffen, dass er dann von der Polizei überwacht und auch verhaftet werden kann.

Solchen Straftätern drohten dann bis zu drei Jahren Haft und sie müssten damit rechnen, dass Gutachter anschließend eine „chemische Kastration“ empfehlen. Über das Gesetz soll in den kommenden Wochen im polnischen Parlament abgestimmt werden. Wenn es umgesetzt würde, könnte es schon Anfang 2009 gelten. Der politische Druck ist groß.