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Exiltibeter

Matthias von Hein24. November 2008

Entgegen anders lautenden Gerüchten bleibt der Dalai Lama den Tibetern als Gallionsfigur ihres Kampfes um Autonomie erhalten. Eine Chance für China, meint Matthias von Hein in seinem Kommentar.

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Bild: DW

Vor über 20 Jahren sagte Deng Xiaoping, der Architekt der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik einen Satz, der heute noch in den Köpfen der Tibeter widerhallt: "In der Tibet-Frage kann man über alles reden, außer über die Unabhängigkeit". Aber schon Deng hat seinen Worten keine Taten folgen lassen. Und auch die heutige Führung setzt im Umgang mit den Tibetern auf Unterdrückung, nicht auf echten Dialog.

Weil das so ist, weil auch die Proteste der Tibeter im März brutal niedergeschlagen wurden, weil insgesamt acht Gesprächsrunden zwischen den Gesandten des Dalai Lamas und der chinesischen Regierung keinen Millimeter Fortschritt gebracht haben und im Sande verliefen, deshalb macht sich Unzufriedenheit unter den Exiltibetern breit. Gerade die jüngeren Tibeter sprechen sich immer häufiger für eine Abkehr vom "Mittleren Weg" des Dalai Lamas aus. Dieser Weg lehnt Gewalt ab und zielt lediglich auf echte Autonomie innerhalb des chinesischen Staatsverbandes; staatliche Unabhängigkeit wird nicht angestrebt.

Friedfertigkeit nimmt ab

Die Frustration im Umgang mit dem übermächtig erscheinenden China aber wurde so groß, dass immer mehr Tibeter bereit scheinen, gewaltsam für ein unabhängiges Tibet zu kämpfen. In dieser Situation hat der Dalai Lama das einzig Richtige getan: Er hat eine Sonderkonferenz der Tibeter einberufen, damit die Betroffenen selbst über den künftigen Weg beraten. Am Ende von einer Woche Beratung der 600 Delegierten steht nun ein klares Votum für den gewaltfreien, mittleren Weg des Dalai Lamas.

Peking sollte froh sein, dass der Dalai Lama die Exiltibeter noch einmal hinter sich vereinen konnte. Und Peking sollte die Zeit nutzen. Denn der Dalai Lama ist bereits 73 Jahre alt. Statt ihn als Separatisten und Verräter zu beschimpfen, sollte ein kritisches Nachdenken über die chinesische Minderheitenpolitik einsetzen.

Peking darf sich nicht wundern

Es sollte Peking zu denken geben, dass die Stimmung in Tibet trotz der gewaltigen Investitionen so stark gegen die Zentralregierung gerichtet ist. Der Pekinger Buchautor Wang Lixiong, verheiratet mit einer Tibeterin, bringt es auf den Punkt: Gerade die Politik der Zentralregierung treibt die Tibeter in die Arme von Unabhängigkeitsbefürwortern. Wer Mönche in so genannten "patriotischen Schulungen" dazu zwingt, mit dem Dalai Lama ihr religiöses Oberhaupt zu verleumden, der darf sich nicht wundern, diese Mönche bei nächster Gelegenheit auf der Straße zu sehen.

Nicht nur Tibet braucht echte Autonomie, auch die Rechte der anderen 55 nationalen Minderheiten müssen gestärkt werden, darunter die der Uighuren und Mongolen. Und diese Rechte müssen einklagbar werden - vor unabhängigen Gerichten. Damit könnte viel Druck aus dem brodelnden Nationalitätenkessel genommen werden. Die Konferenz von Dharamsala hat Konfrontation eine Absage erteilt; die Tibeter setzen weiter auf Dialog. Peking sollte im eigenen Interesse dafür sorgen, dass es ein echter Dialog wird.