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Völkermord-Prozess

20. November 2008

Kroatien hätte von der Völkermord-Klage gegen Serbien absehen sollen, meint der deutsche Völkerrechtler Andreas Paulus mit Blick auf die Folgen für den Versöhnungsprozess in der Region.

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Internationaler Gerichtshof in Den HaagBild: Internationaler Gerichtshof

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat Kroatiens Völkermord-Klage gegen Serbien angenommen. Dass der IGH über die Klage verhandele, sei überraschend in Anbetracht der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs in ähnlichen Fällen. Es wäre allerdings falsch, daraus den Rückschluss zu ziehen, dass der Prozess positiv für Kroatien ausgehen werde, bemerkt Andreas Paulus, Professor für Völkerrecht in Göttingen.

Völkermord schwer nachzuweisen

„Kroatien macht geltend, dass Serbien bzw. die damalige Bundesrepublik Jugoslawien Völkermord begangen hat. Das ist ein Verbrechen, das sehr schwer nachzuweisen ist. So ist es zum Beispiel dem Jugoslawien-Tribunal (ICTY) nicht gelungen, Völkermord auf kroatischem Boden nachzuweisen“, sagt Paulus. Deswegen sei es sehr zweifelhaft, ob der IGH in diesem Fall zu einem anderen Ergebnis kommen werde.

„Solange keine klaren Beweise in Bezug auf Kroatien vorliegen, ist es für den IGH sehr schwer, Völkermord nachzuweisen“, so Paulus. Zumal der IGH noch nicht einmal über dieselben Möglichkeiten wie das Jugoslawien-Tribunal verfüge. Das Gericht habe keine Anklagebehörde und keine eigenen Ermittler. Es müsse sich darauf verlassen, was die Parteien jeweils vorbringen. Und so werde es sehr schwierig, hier die Wahrheit herauszufinden, meint Paulus.

Aus dem gleichen Grund habe auch die Gegenklage Serbiens gegen Kroatien wegen Kriegsbrechen bei den „ethnischen Säuberungen“ gegen die serbische Bevölkerung in Kroatien während der Militäraktion „Sturm“ 1995 wenig Aussichten auf Erfolg. „Serbien oder die frühere Bundesrepublik Jugoslawien – juristisch ist es dasselbe Subjekt – hat schon oft Völkermordvorwürfe erhoben, z.B. gegen die NATO-Staaten wegen des Kosovo-Krieges 1999“, erinnert Paulus. Doch diese Vorwürfe seien vom Gericht als nicht begründet verworfen worden.

Mehr Schaden als Nutzen

Unter diesen Umständen brächten gegenseitige Klagen den Staaten in der Region mehr politischen Schaden als juristischen Nutzen, konstatiert der Völkerrechtler. „Wir scheinen wieder zurückzukommen in die Phase der Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen, insofern ist das für die Befriedung des ehemaligen Jugoslawien nicht förderlich“, so Paulus. Die Staaten in der Region müssten aufpassen, dass sie nicht zu Gunsten der Aufarbeitung der Vergangenheit die Zukunft aufs Spiel setzen“, gibt der Göttinger Professor zu bedenken.

Goran Goic