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Türkischdeutsche Studenten zieht es an den Bosporus

Reiner Scholz7. November 2008

Viele türkischstämmige Hochschulabsolventen sehen ihre Zukunft nicht mehr in Deutschland, sondern zunehmend in der Türkei. Dort haben sie gute Chancen.

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Türkischer Junge schwenkt eine deutsche und eine türkische Fahne (Foto: Michael Hanschke dpa/lbn)
Türkei oder Deutschland - wohin nach dem Studium?Bild: picture-alliance/ dpa

Ediz Bökli ist Personalvermittler in Osnabrück, einer Stadt im Nordwesten Deutschlands. Die Geschäfte des 34-jährigen Deutsch-Türken laufen gut. Die Wirtschaft in der Türkei boomt. In den vergangenen vier Jahren investierten dort mehr als 3000 deutsche Betriebe. Sie suchen Mitarbeiter, die in beiden Kulturen zuhause sind, der deutschen und der türkischen. Und Bökli organisiert die Vermittlung. "Aktuell suchen wir für ein englisches Unternehmen für die Türkei mehrere Marktleiter oder Geschäftsführer für die Filialen im Bereich Elektronik-Fachmarkt", erzählt er. "Das Unternehmen möchte in der Türkei mindestens fünf bis sechs Unternehmen pro Jahr eröffnen und in Deutschland gut ausgebildete Marktleiter für diese Filialen rekrutieren."

Entwicklungspotenzial in der Türkei größer als in Deutschland

Bosporus (AP Photo/Osman Orsal)
Türkischdeutsche Absolventen sehen ihre Zukunft am BosporusBild: AP

In Deutschland liegt die Zahl der Studierenden aus türkischen Haushalten bei etwa 25.000 Personen. Zwar existieren darüber keine exakten Zahlen, doch immer mehr Deutsch-Türken mit höherem Bildungsabschluss zieht es in die Türkei. So auch Mahir Hamurcu. Seine Eltern waren einst als sogenannte "Gastarbeiter" aus der südosttürkischen Stadt Antakia nach Norddeutschland gekommen. Der junge Mann ist nun den umgekehrten Weg gegangen. Seit zwei Jahren arbeitet der 28-jährige Jurist in einer Kanzlei für Wirtschafts- und Handelsrecht in Istanbul. Er berät deutsche Firmen, die in den türkischen Markt einsteigen wollen. In der Türkei sei das Entwicklungspotential größer und er fühle sich dort einfach wohl. Dass er in Deutschland studiert habe, mache auf seine Gesprächspartner oft großen Eindruck. "Man fühlt sich schon gut, wenn man in den Vordergrund gedrängt wird, obwohl man das vielleicht gar nicht immer möchte", sagt er.

Einer Untersuchung des Krefelder Instituts "Futureorg" zufolge können sich fast 40 Prozent der türkischstämmigen Studenten an deutschen Universitäten vorstellen, nach dem Examen in die Türkei auszuwandern - junge Menschen, die nach übereinstimmender Aussage aller Sozialwissenschaftler in Deutschland dringend gebraucht werden. Ohne die Herausbildung einer selbstbewussten türkischen Mittelschicht, so ihre Einschätzung, werde Integration kaum gelingen. Gut ausgebildete Deutsch-Türken haben aber derzeit gute Wahlmöglichkeiten. Der 25-jährige Student Ender Aslangecinar etwa, der Wirtschaftsingenieur werden will, weiß nicht, ob er in Deutschland bleibt. Als Austauschschüler in den USA habe er sich besser integriert gefühlt als in Deutschland. "Voriges Wochenende kam mir im Stadtzentrum von Hannover ein deutscher Jugendlicher entgegen, der seine rechte Hand hoch hob und 'Heil Hitler' schrie", sagt er. "Da frage ich mich, ob man sich hier in Deutschland wirklich zuhause fühlen kann."

Migranten werden in Deutschland nach wie vor diskriminiert

Ausländische Studierende informieren sich (Foto: Oliver Berg dpa/lnw)
Im Jahr 2006 waren rund 136.000 Studierende mit Migrationshintergrund in Deutschland immatrikuliertBild: picture-alliance/dpa

Der Hannoveraner Student kommt aus einem Lehrerhaushalt. Ein akademischer Bildungshintergrund ist aber nicht die Regel. Die meisten Gastarbeiter stammen aus einfachen Verhältnissen, wie die 27-jährige Juristin Nesrin Odabasi, die an der Uni Hannover ihr Jura-Examen macht. Sie ist die erste in ihrer Familie mit Abitur. Die junge Deutsche mit türkischen Wurzeln, die sich unter anderem im niedersächsischen und im Bundesausländerbeirat engagiert, hat einen Lebenstraum: Sie möchte in die Politik. "Ich weiß, dass ich mit Migrationshintergrund bei einigen Parteien einen großen Vorteil hätte, bei anderen wiederum nicht", sagt sie. Doch auch wenn es Situationen gebe, in denen sie bevorzugt werde: "Insgesamt habe ich nicht das Gefühl, von anderen wirklich so angenommen zu werden, wie ich es mir wünschen würde."

Zuwanderer, das besagen alle vorliegenden Studien, werden bei der Arbeitsplatzvergabe in Deutschland häufig diskriminiert. So hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) herausgefunden, dass sich Zuwanderer drei- bis viermal so häufig bewerben müssten wie Deutsche, bis sie überhaupt nur die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhielten. Die Chancen, in Deutschland beruflichen Erfolg zu haben, stehen also nicht besonders gut. Wie schafft man es trotzdem? Mit dieser Frage beschäftigen sich zunehmend Sozialwissenschaftler. Und sie machten eine interessante Entdeckung: Häufig sind es nur einzelne Personen, die bei Erfolgskarrieren eine besondere Rolle spielen. Lena Blum, Projektleiterin bei der "Bürgerstiftung" in Hamburg, verweist auf eine Studie, für die 26 türkische Migrantinnen befragt wurden, die alle ein Abitur und eine Berufsausbildung hatten. "Alle diese Frauen hatten in ihrer Kindheit Kontakt zu deutschen Frauen", sagt sei. "Das waren zum Teil Nachbarinnen oder zufällige Bekanntschaften, die aber für diese Frauen über die Jahre enorm wichtig geworden sind und wo die Kontakte auch nie abgebrochen sind."

Integration über neue Netzwerke?

Die "Bürgerstiftung" geht daran, behutsam Patenschaften zu vermitteln zwischen erwachsenen Deutschen und Mädchen, Jungen mit ausländischen Wurzeln. Netzwerke sollen entstehen. Das gilt auch für eine andere Initiative, einer parteiübergreifenden Arbeitsgruppe deutscher türkischstämmiger Politiker. Die Initiative umfasst von Europa- über den Bundestagsabgeordneten bis zum Gemeinderat fast 90 Mandatsträger - das Spektrum reicht von der CSU bis zur Linkspartei. Ziel sei es, thematische Gemeinsamkeiten zu finden, erklärt Aydan Özoguz, Mitglied der Hamburger "Körberstiftung": "Das Netzwerk hat es geschafft, Papiere zur Beteiligung von Migranten in der Politik herauszubringen und arbeitet an einem Bildungspapier."

Derzeit gilt in Deutschland: Nie war es für gut ausgebildete türkischstämmige junge Menschen leichter, in der Heimat ihrer Eltern Arbeit zu finden. Nie wurden sie aber auch dringender in Deutschland gebraucht.