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Russland in der Krise

Erik Albrecht 1. November 2008

Russland ächzt unter der Krise. Die Finanzkrise hat Russlands wenig entwickeltes Bankensystem weltweit mit am stärksten getroffen. Jeden Tag kündigt eine weitere Firma Sparmaßnahmen an.

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Russische Börse. Quelle: ap
Die Kurse fallen: Krisenstimmung an der Moskauer BörseBild: AP

Bauindustrie, Autobauer, Restaurantketten, Medien und Rohstoffproduzenten: Die Liste der betroffenen Branchen ist lang. Der Boom der vergangenen Jahre scheint nur in wenigen Wochen einer Krisenstimmung gewichen zu sein.

Es ist fast schon ein gewohntes Bild. Immer wieder setzen die beiden Moskauer Börsen derzeit ihren Handel aus. Man wolle weitere Kurseinbrüche aufgrund äußerer Faktoren verhindern, so die Begründung. Seit seinem Höchststand im Mai hat der RTS-Index über 70 Prozent verloren.

Doch längst hat die Krise des Finanzsystems die russische Realwirtschaft erreicht. Autofabriken gehen in Kurzarbeit, Rohstoffproduzenten senken die Fördermengen und auch der bislang boomende Dienstleistungssektor muss Mitarbeiter entlassen. Sergej Gurijew, Rektor der New Economic School (Rossijskaja Ekonomitscheskaj Schkola) in Moskau: “Die Situation ist wirklich ernst. Es gibt Firmen, die Investitionsprojekte verschieben, und es gibt auch solche, die schon gezwungen sind, Personal abzubauen."

Prognosen werden schlechter

Russische Bank. Quelle: ap
Das russische Bankensystem leidet stark unter der KriseBild: AP

Vor allem Unternehmen, die von Krediten gelebt haben oder die Investitionsgüter produzieren, tragen die Konsequenzen. Es ist völlig unklar, wie stark das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr sein wird. Die Prognosen werden von Woche zu Woche schlechter. Die weltweite Krise trifft Russland gleich doppelt hart. Zum einen hat sich der Ölpreis in den vergangenen Monaten mehr als halbiert. Auch die Preise für andere Rohstoffe sind im Keller. Das drückt die russische Handelsbilanz. Weniger ausländisches Geld fließt in die Wirtschaft des Landes.

Zum anderen leidet das schwach entwickelte Bankensystem so stark wie kaum ein anderes unter der Krise. Russlands Banken hatten sich das Geld für Kredite in der Vergangenheit vor allem im Ausland geliehen. Jetzt ist diese Quelle versiegt. In der Folge gerieten nach Medienberichten viele Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten. Sergej Gurijew: "Russland wird ganz klar viel staatliches Geld auf den Markt werfen, um den Kreditmarkt zu beruhigen. Es ist auch klar, dass der Staat besonders anfällige Branchen unterstützen wird. Die Frage ist nur, inwieweit das gelingen wird.”

Zweifelhafte Kredite

Medwedew. Quelle: ap
Präsident Medwedew verschleiert die WeltkriseBild: picture-alliance/ dpa

Umgerechnet über 70 Milliarden Euro hat die russische Regierung im vergangenen Monat zur Stützung des Bankensystems bereitgestellt. Weitere 50 Milliarden Dollar bekam die staatliche Außenhandelsbank WEB. Sie soll russischen Unternehmen helfen, ihre Auslandschulden fristgerecht zu begleichen. Im Sommer stand die russische Wirtschaft mit insgesamt knapp 500 Milliarden Dollar bei ausländischen Banken in der Kreide. Für fällige Kredite soll nun die WEB das Geld bereitstellen.

Doch Kritiker wie die Radiojournalistin Julia Latynina vom Moskauer Sender “Echo Moskwy” bemängeln, der Staat baue durch die scharfen Kreditbedingungen seinen Einfluss auf die Privatwirtschaft aus: “Es geschieht derzeit eine Verstaatlichung der Industrie. Das, was gerade passiert, ermöglicht es dem Staat, verschiedene russische Unternehmen billig zu kaufen". Denn die sind derzeit in einer Lage, in der ihnen keine große Wahl haben: Entweder sie riskieren den Konkurs oder sie nehmen einen Kredit von der WEB an - und geben dafür einen Teil der Unternehmens ab.

Superreiche verlieren Geld

Sergej Gurijew sieht keine Bestrebungen, weitere Teile der Wirtschaft zu verstaatlichen. Trotzdem: “Der Staat wird noch mehr Macht über die Wirtschaft haben. Denn er verfügt über Kreditmittel, die den Unternehmen furchtbar fehlen. Das stärkt den Staat” sagt er.

Rubel. Quelle: ap
Was ist der Rubel noch wert?Bild: AP

230 Milliarden US-Dollar haben Russlands Superreiche nach Schätzungen der Agentur Bloomberg durch die Finanzkrise verloren. Selbst Oleg Deripaska, der einst reichste Mann des Landes, musste stark Federn lassen. Deripaska verlor seine Beteiligungen am deutschen Baukonzern Hochtief und am kanadischen Autozulieferer Magna. Die Anteile hatte er per Kredit gekauft. Jetzt reichten der Bank die als Sicherheit hinterlegten Aktien seines Unternehmens nicht mehr. Zu stark hatten sie durch den Börsensturz an Wert verloren.

Verschleierung und Angst

Dennoch sind sich viele Moskauer Experten derzeit einig, dass Russlands Führung effektiv gegen die Krise vorgeht. Doch nach offizieller Lesart des Kreml hat die russische Wirtschaft keine schwerwiegenden Probleme. Auch die Staatsmedien zeichnen weiter ein rosiges Bild der Lage. Die Krise wüte nur im Ausland, so auch die Botschaft von Präsident Dmitri Medwedew: “Ich sage es ganz offen: Russland ist von dieser schlimmen Spirale noch nicht erfasst und hat die Möglichkeit, ihr zu entgehen. Ja, wir sind verpflichtet, ihr zu entgehen.”

Dadurch versuche Medwedew Panik in der Bevölkerung zu verhindern, meint Gurijew. Zu frisch sei die Erinnerung an die russische Währungskrise von 1998. Er hat Angst, dass die Bevölkerung ihr Erspartes aus den Banken abzieht. Dann gäbe es eine wirkliche Krise. Aber man müsste eigentlich mit den Menschen reden und ihnen die Stärken der russischen Wirtschaft erklären, sagt Gurijew.

Aber auch ohne Staatsfernsehen spüren die Menschen die Probleme der Wirtschaft am eigenen Leib. Sei es bei der Arbeit, oder dadurch, dass manche Banken Einlagen nur noch mit Verzögerung auszahlen.