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Streit um Schwedens erste private Kinderklinik

Alexander Budde6. Oktober 2008

In Stockholm ist ein privates Kinderkrankenhaus eröffnet. Die Manager versprechen kurze Wartezeiten und direkten Zugang zu Ärzten. Für viele Politiker rüttelt das Projekt an den Fundamenten der schwedischen Gesellschaft.

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Ein Arzt gibt einem Kind eine Spritze in den Oberarm (04.03.2006/dpa)
In Schweden können Kinder in einer Privatklinik behandelt werdenBild: picture-alliance/ dpa

Bunte Tapeten mit Tieren und Raumschiffen zieren das Sprechzimmer und den kleinen Operationssaal im Erdgeschoss. Der Kachelofen bullert behaglich, unter der Treppe wohnt der Troll. Stolz führt Peter Wasmuth durch die frisch renovierten Räumlichkeiten. Er ist Geschäftsführer der privaten Kinderklinik Martina, die hinter der schmucken Fassade einer Holzvilla residiert.

Kurze Wartezeit mit Garantie

Blick vom Stadthaus auf Gammelstan Stockholm
Das erste private Kinderkrankenhaus in Stockholm provoziert DiskussionenBild: Illuscope

Das Interesse sei bereits kurz nach Eröffnung gewaltig, freut sich der Unternehmer. Die Wartezeiten bei leichteren Erkrankungen seien in den normalen Krankenhäusern einfach zu lang. In seiner Klinik würde unmittelbarer Zugang zu erfahrenen Kinderärzten, Orthopäden, Allergologen, Psychiatern und einer Reihe weiterer Spezialisten garantiert.

Behandelt wird aber nur, wer zahlt. Mit umgerechnet 150 Euro soll hier der Arztbesuch zu Buche schlagen. Für 15 bis 32 Euro monatlich können Eltern zudem bei einem Partner der Klinik eine Versicherung abschließen, die dann die Behandlungskosten für das Kind übernimmt.

Patienten mit chronischen Beschwerden oder Behinderungen würden allerdings nur mit Einschränkungen versichert, erläutert Chefarzt Peter Gottfar. Die Zielgruppe seien Familien mit Kindern, die die üblichen Beschwerden plagen: Infektionen, Bauchweh, Kopfschmerzen. Eine Notaufnahme habe die Klinik noch nicht und bei schwierigen Operationen verweise er an die etablierten Kliniken.

Ein unmoralisches Angebot?

Ein Kind bekommt Hustentropfen (11.2.2006/dpa)
Laut UN-Kinderrechtskonvention haben alle Kinder ein Recht auf bestmögliche medizinische BehandlungBild: picture-Alliance/dpa

Was die privaten Investoren der Martina-Klinik als schlaues Geschäftsmodell verkaufen, empfinden nicht wenige Schweden als unanständiges Angebot. Eine Initiative sammelte im Internet 2000 Unterschriften gegen das „Krankenhaus für Reiche“. Politiker aus linken wie bürgerlichen Parteien beschworen das Ende der Solidargemeinschaft.

Der streitbare Kinderarzt Lars Gustafsson, einer der schärfsten Kritiker des Projekts, fürchtet, dass bald niemand mehr Steuern für teure Behandlungen zahlen will, wenn sich die private Finanzierung weiter ausbreitet. Schließlich stehe in der UN-Kinderrechtskonvention, dass alle Kinder ein Recht auf bestmögliche medizinische Behandlung haben sollen. „Das steht aber in Frage, wenn tüchtige Ärzte und Pfleger in Zukunft lieber für die privaten Kliniken arbeiten, weil die mehr Mittel und bessere Bedingungen haben“, so Gustafsson.

Zwar gibt es im Lande private Kliniken für Erwachsene, doch die sind Teil des öffentlichen Gesundheitssystems, das fast vollständig aus Steuereinnahmen finanziert wird. Erwachsene zahlen eine Praxisgebühr.

Bürokratie statt Behandlung

Ärzte operieren einen Teddybären (30.03.2006/AP)
Die Kinderklinik Martina rechnet mit 20.000 kleinen PatientenBild: AP

Für Kinder ist der Arztbesuch gratis. Kinderärzte gelten allerdings als Spezialisten, für die man eine Überweisung braucht. Im Notfall bieten schwedische Kliniken erstklassige Versorgung. Das Gesundheitssystem krankt aber zugleich an Zeit stehlender Bürokratie und langen Wartezeiten.

Den Vorwurf der Zwei-Klassen-Medizin weist Chefarzt Gottfar empört zurück. Schließlich trage man dazu bei, das Nadelöhr bei den öffentlichen Ambulanzen zu entschärfen. So warte ein Kind mit Husten, Fieber und Erbrechen dort mitunter einige Stunden, bis Hilfe kommt. Und bei Kopfschmerz oder Migräne könne es durchaus zwei bis drei Monate dauern, bis sich ein Facharzt der Sache annimmt.

Mit jährlich bis zu 20.000 Patienten rechnen die Ärzte der Martina-Klinik. Klappt es in Stockholm, sollen in Kürze ähnliche Unternehmen in Malmö und Göteborg eröffnen.