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Wie die ETA das spanische Kino erobert

Julia Macher 26. September 2008

Am Wochenende wird in Spanien die Goldene Muschel auf dem 56. Internationale Filmfestival verliehen. Als ein Favorit wird der Film "Kopfschuss" - "Tiro en la cabeza" vom katalanischen Regisseur Jaime Rosales gehandelt.

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Szene aus dem Film "Kopschuss" mit Hauptdarsteller Ion Arretxe (26.09.2008/www.sansebastianfestival.com)Bild: SanSebastianFestival

Der Streifen, der vorm Mord an zwei spanischen Polizisten durch ETA-Terroristen im letzten Jahr in Capbreton erzählt, sorgte für große Diskussionen: Im baskischen San Sebastian ist das Thema ETA ohnehin immer präsent. Die Anschlagsserie vom vergangenen Wochenende in Spanien hat es noch stärker ins Bewusstsein gerückt.

"Kopfschuss" – kein Politikum, sondern Einladung zum Dialog

Vor dem roten Teppich am Festivalpalast zieht eine kleine Demo vorbei, 200 junge Leute fordern die Unabhängigkeit fürs Baskenland. Dem Ereignis schenkt niemand weiter Beachtung; ebenso wenig wie den Nachrichten über Anschläge oder Erpressungen. In San Sebastian wird sonst kaum über Politik gesprochen - präsent ist sie dennoch immer. Und wenn sich ein Filmemacher mit dem Thema ETA beschäftigt, sind die Schlangen vor den Kinos besonders lang.

Der katalanische Autorenfilmer Jaime Rosales erzählt in "Tiro en la cabeza" - "Kopfschuss" vom Mord an zwei spanischen Polizisten durch Terroristen der ETA. Nach der Premiere gab es ratloses Räuspern, vereinzelt enthusiastischer Applaus - und ein paar Buhrufe. Viele Menschen haben gedacht, dass er die ETA unterstütze, meint ein Zuschauer. "Der Film bringt einen durcheinander. Wie ist es möglich, dass auf einem Festival ein Film läuft, der auch nur den Hauch eines Zweifels lässt, ob er die ETA unterstützt", fragt ein Festivalbesucher.

Ein Film mit vielen Botschaften

Jaime Rosales
Jaime Rosales - Regisseur des Films "Tiro en la cabeza" (3.2.2008/AP)Bild: AP

Dabei fällt in "Kopfschuss" kein einziges Wort zum Thema ETA, zum Verhältnis zwischen Baskenland und Zentralstaat, zu Politik allgemein. Es fällt überhaupt kein Wort, zu hören ist immer nur das Ambiente. Aus der Distanz, per Teleobjektiv guckt die Kamera einem Mann beim Alltag zu. Die Zuschauer sehen, wie er mit Freunden in einer Bar Kaffee trinkt; sehen, wie er mit einem Kind spielt, einer Frau flirtet. Sie sehen dann, wie er gemeinsam mit zwei anderen nach Frankreich fährt, auf einer Raststätte zwei Männer als Polizisten erkennen zu glaubt, die Pistole zückt und sie erschießt.

Das politische Rauschen, dass das Thema ETA unablässig umgibt, hat Jaime Rosales so einfach ausgeblendet. Die Kritik, die emotionalen Reaktionen des Publikums sind dem Regisseur willkommen. Er versteht seinen Film als Einladung zum Dialog. "Wer aus einer radikalen ideologischen Warte den Film interpretiert, kann ihn als Verteidigung des Terrorismus empfinden. Von einer moderateren, ideologischen Warte aus ist er jedoch ein Aufruf zur Mäßigung, zur Zurückhaltung", erklärt Rosales. Und aus Sicht der Linksradikalen verharmlose er die Unterdrückung, der der "Held" ausgesetzt sei. Alle diese Interpretationen seien möglich und sie seien Teil des Spiels, meint Rosales.

Aus Sicht der Opfer

Für Hauptdarsteller Ion Arretxe, der seit langem mit dem Regisseur befreundet ist, hatte die gemeinsame Arbeit noch eine sehr persönliche, fast therapeutische Dimension. Er wurde in den 1980er-Jahren als mutmaßliches ETA-Mitglied verdächtigt und gefoltert. "Ich habe mit diesem Film einen bestimmten Zyklus in meinem Leben beendet", sagt Arretxe. "In gewisser Weise habe ich mit ihm mein Dasein als Opfer beerdigt. Ich will nicht die Gefühle der anderen Opfer verletzen, aber ich glaube, es ist wichtig über seine "Opferexistenz" hinwegzukommen."

Mit den Opfern zu fühlen ist für die Zuschauer und die Filmemacher leichter, als sich mit dem Täter auseinander zu setzen. Auch deswegen fielen den meisten Regisseuren in den letzten Jahren zum Thema ETA vor allem packende Thriller oder hochemotionale Dramen ein. Manuel Gutierrez Aragón etwa erzählt in "Todos estamos invitados" - "Wir sind alle eingeladen" die Geschichte eines jungen Etarras, der an Amnesie leidet und eines Universitätsprofessors, der von der ETA bedroht wird.

"Die Kollegen gucken einen schief an", erzählt Gutierrez Aragón, "man kann mit seinem Partner nicht mehr einfach so vor die Tür." Wer mit der Bedrohung des Terrorismus lebe, laufe nicht nur Gefahr sein Leben zu verlieren, es berühre alle Aspekte der Existenz. "Und das denke ich, lässt sich besser mit den Mitteln der Fiktion zeigen, als mit denen des Dokumentarfilms", erklärt Manuel Gutierrez Aragón.

Fiktion als Denkanstoß für die Realität

Einen distanzierteren, analytischen Zugang wagte zuletzt Regisseur Julio Medem 2003. In San Sebastian sorgte seine Dokumentation "La pelota vasca" für einen solchen Skandal, dass der Regisseur geplante Projekte absagte und für ein paar Jahre pausierte. Dabei hatte Medem nichts Anderes getan, als das gesamte politische Spektrum zu Wort kommen lassen - und damit an Denkverboten gerüttelt.

In gewisser Weise ergänzt Rosales "Kopfschuss" nun Medems Film: In dem er auf jegliche Ideologie verzichtet, zwingt er den Zuschauer auch seine Position zu hinterfragen. Der Debatte in Spanien und im Baskenland tun solche Denkanstöße nur gut.