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Fährt er oder fährt er nicht?

Gunnar Köhne 5. September 2008

Präsident Abdullah Gül fliegt auf Einladung seines armenischen Kollegen zum WM-Qualifikationsspiel. Das ist eine kleine Sensation, denn die beiden verfeindeten Ländern haben bislang keine diplomatischen Beziehungen.

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Türkischer und griechischer Fußballspieler am Ball (17.10.2007/AP)
Eine Begegnung auf dem Fußballplatz soll Völker verbindenBild: AP

Ceren Kener und Pinar Akpinar haben ein wenig Reisefieber. Die beiden Istanbuler Studentinnen wollen sich auf den Weg in ein Nachbarland machen, das ihnen fremd und ein wenig unheimlich ist: Armenien.

Einerseits wollen die beiden die türkische Fußballnationalmannschaft im WM-Qualifikationsspiel gegen Armenien anfeuern, andererseits geht es ihnen aber auch um ein politisches Anliegen. Die beiden sind Mitglied einer Friedensgruppe mit dem Namen „Junge Zivilisten“.

Nahe entfernte Nachbarn

Präsident Gül vor Ruinen an der armenischen Grenze (23.07.2008/AP)
Präsident Gül ist bislang nur bis zur armenischen Grenze gekommenBild: AP

Ceren Kener will mit ihrer Reise einen, wie sie findet, überfälligen Schritt auf die Armenier zu machen. Die Studentin glaubt, dass die problematischen Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien an den fehlenden persönlichen Kontakten zwischen den beiden Nationen liegen.

Und sie zitiert den Satz des im vergangenen Jahr ermordeten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink: Die beiden Staaten seien entfernte Nachbarn, Türken und Armenier dagegen seien sich im Grunde sehr nahe. Ceren glaubt, dass beide Staaten sich so wenig mögen, weil sie so viel miteinander teilen.

Die türkische Regierung scheint bereit, ihre Boykottpolitik gegenüber dem Nachbarn zu lockern. Sie erwägt sogar eine Öffnung der bislang hermetisch geschlossenen Grenze zu Armenien. Auf beiden Seiten scheint die Sorge groß zu sein, von einem anderen Kaukasus-Konflikt überrascht zu werden, der seit vielen Jahren schwelt und jederzeit wieder auflodern kann.

Der Zankapfel

Das Parlamentsgebäude in Stepanakert, der Hauptstadt der Region Berg-Karabach in Arserbeidschan
Die Enklave Berg-Karabach gehört zu Aserbaidschan, wird aber vor allem von Armeniern bewohntBild: npb

Es geht um die Enklave Berg-Karabach, die eigentlich zu Aserbaidschan gehört, aber überwiegend von Armeniern bewohnt wird. Nach einem Krieg zwischen Armenien und dem mit der Türkei verbündeten Aserbaidschan hatte sich das Gebiet für unabhängig erklärt. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan lud nach dem vorläufigen Ende des Georgien-Krieges unter Einschluss Armeniens hastig zu einer „Kaukasus-Stabilitäts-Plattform“.

Doch Pakrat Estukyan, Redakteur bei Agos, dem Sprachrohr der armenischen Minderheit in der Türkei, bleibt skeptisch, ob der Fussballdiplomatie ein wirklicher Frieden zwischen beiden Ländern folgen wird: Es gebe schließlich schon einen Wirtschaftsrat der Schwarzmeeranrainer, in dem neben der Türkei auch Armenien vertreten ist. Zu einer Annäherung der beiden Länder habe das aber nicht geführt.

Das liege auch daran, dass alle Ölpipelines in den vergangenen Jahre vom Kaspischen Meer in die Türkei um Armenien herum gebaut worden sind, obwohl die kürzeste Route die über Armenien gewesen wäre. Das aber hätte man in Eriwan als Affront aufgefasst.

Vergangenheitsbewältigung

Türkeis Präsident Abdullah Gül vor Türkei-Flagge (03.09.2007/AP)
Präsident Gül fliegt nach ArmenienBild: AP

Aus Sorge vor einer Ausweitung des Kaukasus-Konflikts scheinen sich Armenien und die Türkei sogar bei ihrem größten Streitpunkt näher zu kommen: der historischen Aufarbeitung des Massenmords an den Armeniern vor 93 Jahren.

Bei kürzlich bekannt gewordenen geheimen Gesprächen in der Schweiz sollen beide Seiten über eine gemeinsame Historikerkommission gesprochen haben, die den von der Türkei bestrittenen Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich untersuchen soll.

Gerade wegen der Völkermordvorwürfe musste sich die Istanbuler Studentengruppe vor ihrer Reise nach Eriwan Kritik von Nationalisten gefallen lassen. In einigen Mailgroups habe es negative Reaktionen geben, berichtet Pinar Akpinar. Einige hätten geschrieben, die Studentinnen sollten nicht hinfahren, solange die Armenier das Wort Genozid verwenden. Auch der Präsident solle lieber zuhause bleiben. Aber es habe auch viel Zuspruch gegeben.