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Gefühl der Angst

Das Interview führte Janusz Biene28. August 2008

Franz Rauchenstein, Delegationsleiter des Internationalen Roten Kreuzes in Kabul, spricht über die Sicherheitslage in Afghanistan.

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Ein kanadischer Soldat mit einem afghanischen Mädchen in Kandahar (2007), Foto: dpa
Ein kanadischer Soldat mit einem afghanischen Mädchen in Kandahar (2007)Bild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Am Mittwoch (27.8.2008) wurden bei einem Sprengfallen-Anschlag in Kundus ein deutscher Soldat getötet und drei weitere verletzt. Rücken nun die deutschen Soldaten im Norden Afghanistans in den Fokus der Terroristen?

Franz Rauchenstein: Der Norden war ja bis jetzt vom Konflikt verschont. Zwar gab es ab und zu Gewalt und bewaffnete Auseinandersetzungen, aber die waren nicht kontinuierlich und in ihrer Intensität limitiert. Wir haben das Gefühl, dass es im Norden zu verstärkten Spannungen und damit auch zu Anschlägen kommt. Die richten sich natürlich gegen militärische Ziele. Die deutsche ISAF-Truppe ist ein solches. Aber es werden auch Polizisten und zunehmend auch Hilfsorganisationen angegriffen und ihre Mitarbeiter verschleppt oder getötet.

Wie schätzen Sie die Sicherheitslage in Afghanistan sieben Jahre nach Kriegsbeginn ein?

Wir haben in den letzten zwei Jahren eine Zunahme des Konfliktes zu verzeichnen. Nicht nur territorial hat sich der Konflikt ausgeweitet. In den letzten Monaten hat er sich auch intensiviert. Wir verzeichnen eine viel größere Anzahl von bewaffneten Zwischenfällen, Bombenattentaten und infanteristische Auseinandersetzungen. Das hat nicht unbedingt zu einer Verstärkung der Bombenattentate in Kabul geführt. Die sind in der Stadt eher zurückgegangen. Hingehen muss man sagen, dass die Intensität der Attentate stark zugenommen hat.

Wie ist die Lage in Kabul?

In Kabul ist zuerst einmal eine Verunsicherung der Afghanen, aber auch der internationalen Mitarbeiter zu spüren. Es ist besonders in den letzten Monaten zu massiven Anschlägen gekommen. Auch unmittelbar vor der Stadt hat sich sehr viel ereignet. Dies führt zu einem Gefühl der Blockade. Es gibt auch sehr viele Androhungen von Attentaten. Deshalb herrscht ein zunehmendes Gefühl der Angst.

Fühlen Sie sich im Alltag bedroht? Die Taliban wollen schließlich verstärkt Ausländer angreifen.

Wie die meisten internationalen Organisationen haben wir massive Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Wir wissen, dass Anschläge in bestimmten Regionen der Stadt anfallen, nämlich da wo sich militärische Ziele befinden. Die meisten Attentate betreffen diese Ziele. Wenn man diesen ausweichen kann, ist man in relativer Sicherheit. Aber wir sind uns bewusst, dass sich dies ändern kann und immer ein Restrisiko besteht. Das schürt die Angst, die zurzeit in Kabul ganz eindeutig herrscht.

Wie wirkt sich Kriminalität und Terror auf den Alltag der Menschen aus?

Es gibt Quartiere, wo man solche Zwischenfälle erwartet und die abends wie leergefegt sind. Aber es gibt auch andere Orte, die weniger exponiert sind. Da findet noch ein zum Teil normales Leben statt. Aber auch die Afghanen haben mittlerweile Angst sich - vor allem in der Nacht - an gewissen Orten zu bewegen.

Was können westliche Hilfsorganisationen wie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) für die Menschen tun?

Präventiv kann man nicht viel machen, weil das eher die Aufgabe der Sicherheitskräfte ist. Falls es zu einem Attentat kommt, hält das IKRK Hilfskräfte bereit. Wir verfügen zusammen mit den staatlichen Organisationen über viele Ambulanzen, versorgen viele Spitäler mit Medizin und haben ein sehr großes Orthopädiezentrum. Wir können der Bevölkerung mit Nahrung, Kleidern und Decken helfen. Das Rote Kreuz ist im Kontakt mit allen Kriegsparteien. Wir führen einen Dialog mit den Taliban und sagen ihnen regelmäßig, dass Attacken keine Zivilisten zum Ziel haben dürfen. Wenn ein militärisches Ziel angegriffen wird, darf die Attacke keine unverhältnismäßigen zivilen Opfer generieren. Wir hoffen, dass diese Nachricht mittelfristig gehört wird und solche Angriffe aufhören.

Ist der militärische und humanitäre Einsatz in Afghanistan eine unendliche Geschichte?

Im Moment herrscht ziemliche Ratlosigkeit. Sieben Jahre nach dem Sturz der Taliban hat sich die Situation nicht verbessert. Die massive Hilfe, die 2001 angekündigt und zum Teil auch realisiert wurde, hat keine große Wirkung gehabt: Heute haben nur wenige Menschen Anschluss an Elektrizität oder verfügen über eine Wasserversorgung. Die großen Versprechungen der internationalen Gemeinschaft sind nicht eingehalten worden. Zudem wird das Land immer unsicherer. Der Krieg hat sich intensiviert und im Moment sieht niemand ein Ende des Tunnels.

Franz Rauchenstein ist Leiter der Delegation des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes in Kabul, Afghanistan