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Ein Leben für die kulturelle Aufklärung

Günter Liehr21. August 2008

Zentrale Voraussetzung für den "Prager Frühling" von 1968 war die Liberalisierung im kulturellen Bereich. Begleitet wurde diese Öffnung von der Wochenzeitschrift "Litérarní noviny" und ihrem Chefredakteur Antonin Liehm.

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Antonin Liehm, Chefredakteur der Literatur-Zeitschrift "Lettre International" (September 1998/picture-alliance)
Antonin Liehm, ehemaliger Chefredakteur der "Litérarní noviny" vertraut der Kraft des WortesBild: picture-alliance/ dpa

"Litérarní noviny war ursprünglich eine normale realsozialistische Kulturzeitschrift. Aber Ende der 1950er Jahre hat sich das geändert. Sie gehörte dem Schriftstellerverband an, und die Zeit von 1958 bis 1968 waren die Jahre, wo diese Zeitschrift wirklich Schritt bei Schritt die Fenster öffnete - und zwar nicht nur gegenüber dem Ausland, sondern auch im Lande. Sie hat die Tabus langsam abgeschafft", erzählt Antonin Liehm, inzwischen 85, und seit fast vierzig Jahren im Exil lebend.

An jedem Erscheinungstag ausverkauft

Demonstranten in der Prager Innenstadt (20.08.1968/dpa)
Die Beschäftigung mit Kultur führte zum Prager FrühlingBild: AP

Er vertraut bis heute auf die Kraft des Wortes, der Literatur, so wie damals, als er für "Litérarní noviny" zuständig war, eine Zeitschrift, die etwas in Bewegung brachte. Zu den Mitarbeitern zählte jeder, der Rang und Namen hatte unter den Intellektuellen der Tschechoslowakei, darunter Kommunisten wie Nicht-Kommunisten.

Stets wurde am Erscheinungstag die gesamte Auflage verkauft. 1968 lag sie bei 130.000. Die Exemplare gingen von Hand zu Hand, mindestens eine Million Menschen lasen die Zeitschrift jede Woche. Die Beschäftigung mit Kultur, die zum Prager Frühling von 1968 führte, habe in der Tschechoslowakei eine große Rolle gespielt, sagt Liehm. "Ich würde sagen, seit dem 19. Jahrhundert ist das eine tschechische Tradition. Im 19. Jahrhundert gab es schon Kulturzeitschriften, die eine riesige politische Rolle gespielt haben."

Vereinigung der Intellektuellen Europas

Brücke in Prag
100.000 Menschen haben Prag nach dem Prager Frühling verlassenBild: DW

Diese kulturelle wie politische Öffnungsbewegung ging nicht von einer antikommunistischen Grundhaltung aus, sondern war geprägt von der Idee eines "humanen Sozialismus". Mit der wurde am 21. August brutal aufgeräumt. Auf den Prager Frühling folgte alsbald der Winter - 100.000 gingen ins Exil, unter ihnen auch Antonin Liehm. Während seiner Arbeit an verschiedenen Universitäten verfolgte er das Projekt einer grenzüberschreitend-aufklärerischen Kulturzeitschrift, einer europäischen "Litérarní noviny" gewissermaßen.

1984 gründete Liehm in Paris "Lettre internationale", eine Revue zur Überwindung der intellektuellen Spaltung Europas, von der es bald Ableger in mehreren anderen europäischen Sprachen gab. Ausgerechnet die tschechische Version aber, die er nach der Wende in Prag lancierte, stieß auf geringes Interesse und wurde bald wieder eingestellt.

Kulturelles Niveau unbefriedigend

Wenig Gutes hat Liehm über das aktuelle kulturelle Niveau der alten Heimat zu sagen: "Der heutige Präsident Klaus, der hat schon ganz aufrichtig am Anfang der 1990er Jahre als Ministerpräsident gesagt: Man muss dem Image der Tschechischen Republik als Land der Kunst und Kultur ein Ende machen. Und das ist gelungen!"

Die liberalen Gewinner der Wende hatten wenig übrig für die kulturellen Pioniere von 68. Antonin Liehm zuckt mit den Schultern - und freut sich lieber über den erstaunlichen Erfolg der deutschen Ausgabe von "Lettre international".