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Blogs über Bomben

Vera Möller-Holtkamp19. August 2008

Internet-Tagebücher sind bei Soldaten groß in Mode. Militärstrategen fürchten die Milblogs nicht nur, weil sie das Ansehen beschädigen können, sondern auch weil die Preisgabe sensibler Informationen die Truppe gefährdet.

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Zwei Bundeswehr-Soldaten spielen am 7.9.2001
Der Laptop geht mit an die FrontBild: picture-alliance / dpa

Kummerkasten Tagebuch: Für den Verfasser ist das allabendliche Schreiben wohltuend - gerade in schwierigen Lebensphasen ist es von Psychologen sehr empfohlen. Auch Bundeswehrpsychologen befürworten es, wenn sich Soldaten das Erlebte von der Seele schreiben. Nicht aber, wenn das Ganze im Internet stattfindet.

Allein auf der Webseite milblogging.com gibt es derzeit 2079 Military blogs zu lesen - von Schreiberlingen aus 38 verschiedenen Ländern. US-Soldaten sind die emsigsten Blogger weltweit. Allein bei milblogging.com sind es 1384, die die Welt regelmäßig an ihrem Lebensalltag teilhaben lassen. Auch 42 deutsche Soldaten bloggen dort und immerhin fünf französische Militärangehörige.

Alternative Quelle der Kriegsberichterstattung

Embedded Time Magazine Fotograf Robert Nickelsberg, Irak, (AP, 28.03.2003)
Embedded Fotograf im IrakBild: AP

In Europa ist die Blog-Kultur noch nicht so weit entwickelt, wie in den USA, trotzdem blicken europäische Militärstrategen mit Sorge über den großen Teich nach Amerika. Dort sind Blogs zu einer alternativen Informationsquelle geworden - neben der normalen Kriegsberichterstattung. Bisweilen plaudern Soldaten Details aus, die selbst die offiziell von der Front berichtenden "embedded" Journalisten, nicht veröffentlichen dürfen.

Die US-Armee hat im Mai 2007 verkündet, Texte, Bilder und Videos der Blogger einer Kontrolle zu unterziehen und Webseiten wie Youtube an Truppenstützpunkten sperren zu lassen. Dieses Vorhaben machte die Army einen Tag, bevor der prominente Blogger Colby Buzzel den "Lulu-Blooker-Preis" für sein Onlinetagebuch "My war: Killing Time in Iraq" erhielt, öffentlich. Das hochgelobte Tagebuch, das über Tod, Zerstörung und viel Langeweile berichtet und in sieben Sprachen übersetzt wurde, ist ein Beweis dafür, wie schwierig es ist, das Mitteilungsbedürfnis der Soldaten zu stoppen.

Euphorie, Frust und Langeweile

Einige Soldaten stellen Fotos ins Internet, auf denen sie stolz mit Waffen posieren. Auch die einfache Beschreibung der Aussicht aus einem Fenster kann Militärgeheimnisse lüften. In Internettagebüchern schreiben Soldaten zum Teil begeistert über ihre Einsätze, andere berichten aber auch über Frust und Langeweile. "Ich warte nur darauf, dass die Zeit vergeht, langsam, reicht es", schreibt ein französischer Soldat in Afghanistan. "Wie viele von uns werden von Freunden und Verwandten geschnitten, weil wir auf Befehl kaltblütig Menschen getötet haben?", fragt ein anderer französischer Soldat in seinem Tagebuch. Noch sind das Einzelfälle in Frankreich. Die Militärführung will aber unbedingt dieser Entwicklung Einhalt gebieten.

Französische Soldaten, die im Internet Tagebuch führen, sollen daher in Zukunft vorsichtiger vorgehen - vor allem, was Informationen über Ausrüstung und Ort des Einsatzes betrifft. Ende Juli 2008 hat dies der neue französische Stabschef des Heeres, Elrick Irastorza, in einer neuen Direktive angeordnet. Die Verbreitung sensibler Informationen in Blogs und Foren im Internet gefährde Militäroperationen, das Leben der Soldaten im Einsatzgebiet und auch das der Angehörigen Zuhause, heißt es darin.

"Blogger kaum zu kontrollieren"

Achim Wohlgethan stellt am Donnerstag (10.01.2008) auf einer Pressekonferenz in Berlin sein Buch "Endstation Kabul" vor. (dpa)
Ehemaliger Bundeswehrsoldat Achim WohlgethanBild: picture-alliance/ dpa

Christian Dienst, Pressesprecher des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin, weiß dass es schwierig ist, die Blogger zu kontrollieren, eigentlich sei es "unmöglich". In Deutschland gibt es noch keine Reglements, die sich speziell auf das Bloggen beziehen. Ein Soldat sei ohnehin vertraglich verpflichtet, keine Dienstgeheimnisse preis zu geben und dem Ansehen der Bundeswehr nicht zu schaden. Sollte sich der Trend aber weiter verstärken, sei es nicht auszuschließen, hier mit Direktiven einzugreifen, bestätigt Dienst auf Anfrage. Falls die Blogger ihrem unbedingten Drang in die Öffentlichkeit nachkommen
wollen, sei es besser, wenn die Tagebuchschreiber nicht
mit ihrem Klarnamen aufträten. "Pseudonyme schützen die Blogger und ihre Angehörigen z.B. vor terroristischen Attacken", sagt Dienst.

Das Problem bei der digitalen Feldpost sei aber, dass "subjektive Eindrücke einzelner Soldaten durch die Veröffentlichung im Internet in ihrer Wirkung multipliziert" würden. "Eine Mücke wird da schnell zum Elefanten (…) und in der Innenpolitik kann der Inhalt von Blogs durchaus zum Spielball parteipolitischer Interessen werden". Christian Dienst spielt dabei auf den Insiderbericht "Endstation Kabul" von Achim Wohlgethan an, das Onlinetagebuch eines Bundeswehrsoldaten, das mit Kritik an der Ausrüstung der Bundeswehr in Afghanistan nicht spart.

"Tagebuchschreiber kennen nur die persönliche Sichtweise und verbreiten damit nicht selten Halbwahrheiten", so Dienst. Auch aus Unkenntnis über größere politische Zusammenhänge könnten unabsichtlich sensible Informationen veröffentlicht werden, die terroristischen Gruppierungen in die Hände spielten.

Bundeswehrpsychologe: Zu viel Nähe zur Heimat

Bundeswehrsoldaten surfen an ihren eigenen Laptops in Kabul (3.8.2003)
Surfen - Abendbeschäftigung in KabulBild: picture-alliance / dpa

Bundeswehrpsychologe Carsten Reil, der in Bosnien und in Afghanistan als Truppenpsychologe im Einsatz war, hält Tagebuchschreiben wegen seines reinigenden Charakters prinzipiell für eine gute Sache - die Veröffentlichung im Internet aber weniger. Der enge Kontakt zur Heimat, den das Internet und das häufige Telefonieren ermögliche, sei nicht unbedingt gut für die Psyche der Soldaten. Die Angehörigen Zuhause seien mit der Erlebniswelt der Soldaten überfordert. Die Kommunikation per E-Mail oder Telefon verlaufe oft nicht reibungslos. Während der Einsätze drohen Beziehungen auseinanderzubrechen. Dann sei der Soldat zu sehr mit seinen persönlichen Problemen beschäftigt und nicht mehr einsetzbar, so Reil.

Tausende Milblogger verarbeiten täglich das Erlebte im Netz. Auch wenn die subjektiven Ereignisberichte nicht objektivierbar sind, so ergänzen sie in Summe doch die Kriegsberichterstattung um den Faktor Mensch. Das ist wohl auch der Grund, warum das Bundesverteidigungsministerium einige deutsche Soldatenblogs in Afghanistan genau verfolgt. Sie gelten ihm vor allem als Barometer für die Moral der Truppe.