1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Buddhisten mit Fallschirm

Das Interview führte Anna Kuhn-Osius15. August 2008

Mehr als 3000 Buddhisten meditieren zurzeit im Allgäu auf einem Sommerlager. Gibt es einen Buddhismus-Boom in Europa? "Mehr als das", sagt Lama Ole Nydahl. Der Däne ist einer der führenden buddhistischen Lehrer in Europa

https://p.dw.com/p/ExkF
Ole Nydahl. Quelle: dpa
Lama Ole Nydahl will den Buddhismus in Europa verbreitenBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb
Der 17.Karmapa
Der Karmapa ist das Oberhaupt des Diamantweg-BuddhismusBild: BDD e.V.

Vor mehr als 30 Jahren hat Ole Nydahl die Vermittlung des Buddhismus im Westen zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Der heute 67-Jährige lebte als junger Mann mit seiner Frau vier Jahre lang im Himalaya und lernte dort von den höchsten buddhistischen Meditationslehrern. 1972 wurde er vom Karmapa, dem Oberhaupt des tibetischen Diamantweg-Buddhismus, zu einem buddhistischen Lehrer (Lama) ernannt. Vom Karmapa erhielt Nydahl nach eigenen Angaben den Auftrag, die buddhistische Lehre in den Westen zu bringen und in Europa zu verbreiten. Seit den 70er Jahren gründeten Nydahl und seine Frau rund 600 buddhistische Zentren weltweit.

Unterschiedliche Meinungen

In Deutschland gibt es neben Nydahls Diamentweg-Buddhismus noch zahlreiche weitere buddhistische Splittergruppen. Sie sind in der Buddhistischen Union Deutschlands (BDU) organisiert, vertreten aber teilweise sehr unterschiedliche Meinungen. So grenzte beispielsweise die Sprecherin der BDU, Michaela Doepke, sich klar von den Meinungen und Prinzipien Ole Nydahls ab. Sie forderte eine größere Rückbesinnung auf die buddhistische Lehre und distanzierte sich von dem Gedanken, dass Buddhismus eine Modeerscheinung sei. Es gebe große Sympathien in der Bevölkerung, aber zu wenig Menschen, die Buddhismus ernsthaft praktizieren wollen, so Doepke.

Nydahl bei Diskussion
Nydahl polarisiertBild: Ole Nydahl

Ole Nydahl schaffe es aber mit seinem so genannten Diamantweg-Buddhismus, besonders junge Leute in Europa für den Buddhismus und die Meditation zu begeistern, räumt Doepke ein. In Deutschland gibt es nach Schätzung der BDU rund 250.000 Buddhisten, die Hälfte davon sind eingewanderte Asiaten. Mehrere tausend Menschen meditieren zurzeit zwei Wochen lang unter Ole Nydahls Leitung im Allgäu.

Ein Interview mit Lama Ole Nydahl

Ole Nydahl
Nydahl gilt als eine der schillernsten Persönlichkeiten im europäischen BuddhismusBild: Ole Nydahl

DW-WORLD.DE: Was ist für Sie Buddhismus?

Ole Nydahl: Allgemein ist es ein Weg, besser zu leben, besser zu sterben, und besser wiedergeboren zu werden. Das ist die Grundlage des Buddhismus. Der Buddhismus ist keine Glaubensreligion, wo man die Wünsche und Weisungen eines Gottes erfüllt. Er ist eine Erfahrungsreligion, wo man mit Buddhas Hilfe, aber nicht mit seinen Befehlen oder Geboten lebt. Buddhas Lehre soll eine Hilfe darstellen, um mehr für andere Menschen tun zu können und ein besseres Leben zu haben.

Wie hat sich der Buddhismus in Europa entwickelt?

Ole Nydahl bei einem Buddhisten-Treffen in Deutschland. Quelle: dpa
Der Lama legt die Hände aufBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Am Anfang mussten wir gegen viele Vorurteile kämpfen. Viele Menschen dachten, wir seien Anhänger einer Sekte. Diese Ablehnung ist heute fast völlig verschwunden.

Gibt es einen Buddhismus-Boom in Europa?

Es ist nicht nur ein Boom, es ist nicht nur eine Welle: Buddhismus ist ein Tsunami in Europa. Das Interesse bei den Menschen wird nicht nur immer mehr, wer sich für den Buddhismus entscheidet, der bleibt auch Buddhist. Immer mehr Menschen entdecken den Weg der erleuchteten Selbstbestimmung – und fühlen sich sehr gut damit.

Warum sind so viele Menschen vom Buddhismus begeistert? Liegt es an der Popularität des Dalai Lama?

Dalai Lama. Quelle: ap
Der Dalai Lama sorgt für Buddhismus-BegeisterungBild: picture-alliance/ dpa

Auch wenn der Dalai Lama nicht das Oberhaupt vom ganzen Buddhismus ist, hat er doch als König von Tibet die höchste öffentliche Macht und Aufmerksamkeit. Er hat uns sehr geholfen, den Buddhismus populär zu machen. Aber Buddhismus entspricht auch einfach dem momentanen Zeitgeist: Die Leute sind gebildeter, sie informieren sich, reisen, Kulturen vermischen sich. Und dabei entdecken viele die Vorteile des Buddhismus. In Thailand lächeln die Menschen mehr.

Spüren Sie Konkurrenz-Gedanken von Seiten der etablierten europäischen Kirchen?

Wir hatten etwas Probleme mit den orthodoxen Christen in Griechenland und Russland. Die wollen den Kurzen lang ziehen und dem Langen ein Stück abschneiden, damit jeder Standardware ist – und niemand an einen anderen Gott glaubt. Aber mit Katholiken und Protestanten hatten wir noch nie Schwierigkeiten, wir entdecken da auch viele Gemeinsamkeiten in den ethischen Werten.

Hat der Buddhismus zu Recht ein besseres Image als andere Religionen?

Mönche in Birma beim Gebet
Friedlicher Protest: Mönche in BirmaBild: AP

Der Buddhismus bietet im Vergleich zu anderen Religionen wenig Möglichkeit für Fanatismus. Er hat keine schwierigen Götter, will keine Missionierung, führt keine heiligen Kriege oder Zwangsbekehrungen. Deswegen hat der Buddhismus eine sehr weiße Weste im allgemeinen Volksbild von Religionen. Wir werden aber zu oft in die ganz friedvolle Ecke gesteckt: Auch ein Buddhist würde für seine Familie und eine freie Gesellschaft kämpfen. Wir sind alle Menschen. Es ist zum Beispiel durchaus möglich, dass auch ein Buddhist im Militär als Offizier arbeitet.

In Deutschland ist der Buddhismus noch nicht als Religion offiziell anerkannt. Wünschen Sie sich das?

Es gibt bei den Buddhisten in Deutschland unterschiedliche Sichtweisen. Die Buddhistische Union Deutschlands strebt ein Anerkennungsverfahren an und will, dass der Buddhismus eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wird. Ich bin dagegen. Die Deutschen machen immer so viel Bürokratie. Dann müssen wir noch mehr Kaffee trinken, noch mehr ewig reden, statt die Sache anzupacken. So lange wie wir nicht verboten werden, bin ich völlig froh mit unserem jetzigen Status, auch wenn wir für unsere gemeinnützige Arbeit kein Geld vom Staat bekommen.

Warum hat der Buddhismus in Deutschland und Europa so viele zerstreute, unterschiedliche Schulen mit teilweise gegensätzlichen Meinungen? Sollte man das nicht zentralisieren?

Betende Menschen vor Tempel
Im Buddhismus gibt es zahlreiche GruppenBild: AP

Buddha selbst hat 84.000 unterschiedliche Belehrungen veröffentlicht. Mit gutem Grund, denn Menschen sind unterschiedlich, denken und fühlen anders. In der buddhistischen Union Deutschlands gibt es neben uns noch 51 weitere Gruppen. Natürlich gibt es da schon mal Meinungsverschiedenheiten. Aber eigentlich existieren wir friedlich nebeneinander. Wir missionieren auch nicht und sagen nicht, dass unser buddhistischer Weg für alle der bessere ist. Wenn Menschen andere buddhistische Schulen beleben, sind wir sehr froh.

Was ist die Kernidee Ihrer buddhistischen Lehre?

Frauen beim Meditieren. Quelle: ap
Meditation um sich auf seinen Geist zu besinnenBild: AP

Die Erkenntnis, dass man nicht der Körper ist, der alt wird, krank wird und stirbt, dass man nicht die Gedanken und Gefühle ist, die entstehen, sich ändern und wieder verschwinden, sondern das man der Geist ist - der Spiegel hinter den Bildern, das Meer unterhalb der Wellen, das was zwischen und hinter den Gedanken ist. Wird das verstanden, entsteht Furchtlosigkeit und man wird froh von innen. Und schließlich entdeckt man dann: Die anderen sind zahllos, ich bin nur einer, also sind sie wichtiger. Und dadurch wird man nett. Also diese drei Erfahrungen von Furchtlosigkeit, Freude und tatkräftiger Liebe sind das Ergebnis, wenn der Geist sein eigenes Wesen erkennt. Wir verstehen, dass wir alle grundlegend Buddhas sind und benehmen uns dann entsprechend.

Wie benimmt sich ein Buddha?

Thailändische Mönche mit Hund. Quelle: ap
Ein Buddhist erkennt in jedem Wesen etwas GöttlichesBild: AP

Grundlegend mutig. 2000 meiner Schüler sind mit mir Fallschirm gesprungen. Buddhismus heißt, die eigenen Grenzen auszuweiten. Jedes Mal, wenn man sich über Beschränkungen, über den angenehmen, vertrauten Bereich hinaus wagt und in den kühlen, noch nicht erfassten Raum der neuen Möglichkeiten vorstößt, dann ist man ein echter Buddhist. Ein Buddhist, der den großen oder diamantenen Weg geht, denkt mehr an andere als an sich selbst. Und wenn man fähig wird, in jedem Wesen dieser Welt einen Buddha zu sehen, in jedem Gedanken etwas Aufregendes, Spannendes, Neues, wenn man fähig wird, jeden Tag bewusst zu erleben, dann ändert sich das eigene Leben gewaltig.

Fallschirme am Himmel. Quelle: ap
Leidenschaft: FallschirmspringenBild: AP

Was ist privat das Schönste in Ihrem Leben?

Der freie Fall beim Fallschirmspringen und ein schnelles BMW-Lenkrad zwischen den Knien, 167 PS unter dem Sattel und dann die Alpenstraßen herunter jagen – ohne Polizei.

Das klingt sehr weltlich!

Nein, man beobachtet dabei auch seinen Geist!