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Amtsdeutsch a. D.

Anna Kuhn-Osius15. August 2008

"Nichtzulassungsbeschwerden", "Fristwahrungen", "Planfeststellungsverfahren" – wer den Brief einer Behörde aufmacht, versteht oft gar nichts. Amtsdeutsch ist das Problem – und dafür könnte es jetzt eine Lösung geben.

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Aktenstapel. Quelle: AP
Unverständliche, bürokratische Briefe und stapelweise Formulare: Die deutsche VerwaltungBild: AP

Ein ganz normaler Brief einer deutschen Bau-Behörde:

"Nach der neuen Hessischen Bauordnung HBO 2002 handelt es sich entsprechend der Anlage 2 über baugenehmigungsfreie Vorhaben nach Paragraf 55, Ziffer 1.16 bei Dachaufbauten einschließlich Dachgauben auf bestehenden Gebäuden um baugenehmigungsfreie Bauvorhaben, die allerdings den Vorbehalten des Abschnittes fünf Nummer eins und drei unterliegen…"

Entloses Regal mit Akten. Quelle: dpa
Eine eigene Welt: Deutsche BehördenBild: dpa - Bildfunk

Etwas verstanden? Gar nichts?! Dann sind Sie nicht alleine. Amtssprache ist das Problem, Behörden-Deutsch eine Welt für sich. Und außerhalb der Behörde versteht die Beamten – keiner.

Frust bei den Bürgern

"Ganz furchtbar, dieser Behördenkram", schimpft eine Frau vor dem Arbeitsamt in Düsseldorf. Etwas weiter steht Klaus Weigle, Hartz-4-Empfänger. Auch er wirkt ein bisschen verzweifelt: "Die ganzen Paragraphen, die da drin stehen, die versteht doch sowieso keiner, der Normalsterbliche kann damit doch sowieso nichts anfangen." Sein Horrorbeispiel: Wohngeld-Anträge. "Ich habe einen Brief bekommen, dass mir kein Wohngeld zusteht. Warum, stand da auch, aber verstanden habe ich kein Wort", erzählt er frustriert. "Als ich dann auf der Behörde nachgefragt habe, konnte man mir auch nicht helfen. Das heiße doch ganz anders, sagte mir der Beamte, ich hätte den falschen Begriff benutzt. Und am Ende kam dann noch mal ein Brief und da stand genau dasselbe drin wie im ersten, nur mit andere Worten. Und verstanden habe ich gar nichts!"

Arbeitsamt in Gelsenkirchen
Behörden wie das Arbeitsamt sind für komplizierte Schreiben gefürchtetBild: AP

Bochumer Germanisten helfen

Idema-Büro. Quelle: ako
Kreatives Chaos im IDEMA-Büro in BochumBild: DW / Kuhn-Osius

Damit so etwas nicht mehr passiert, gibt es IDEMA. IDEMA ist der "Internetdienst für eine moderne Amtssprache" und wird von der Ruhr-Universität Bochum betrieben. In einem kleinen, stickigen Büro sitzen dort Sprachwissenschaftler und Juristen zusammen und brüten über verwaltungssprachlichen Texten. Das Prinzip sei einfach, erklärt Projektleiterin Michaela Blaha. Die Kommunen und Behörden schicken IDEMA die Schreiben, bei denen es besonders viele Rückfragen von hilfslosen Bürgern gibt. Die Wissenschaftler überarbeiten den Text, formulieren um, vereinfachen. Die Vorschläge werden mit den Behörden diskutiert. "Das kann dann einige Male hin und her gehen", sagt Blaha. "Aber am Ende steht da ein Text, der verständlich ist, fachlich korrekt und auch rechtssicher."

"Grunddienstbarkeitsbewilligungserklärung"

Frau am PC. Quelle: ako
Eine Sprach-Datenbank hilft den BehördenBild: DW / Kuhn-Osius

Aus Behördendeutsch eine verständliche Sprache zu machen, ist gar nicht so einfach. Rund 8000 Textbausteine hat die deutsche Amtssprache, ermittelten die Germanisten aus Bochum. Mit der Überarbeitung stehen sie da noch ganz am Anfang. Und immer wieder gibt es Stolpersteine: Worte, die einfach keiner versteht. Worte wie "Verselbstständigkeitsanalyse", "Ehelichkeitsanfechtungsklage", "Kostenzusageübernahmeerklärung". Oder auch "Grunddienstbarkeitsbewilligungserklärung". Projektleiterin Blaha gräbt mit ihrem Team in den Tiefen der deutschen Sprache, um die Behörden-Texte verständlich zu machen. "Da können schon mal 15 Stunden vergehen, bis so ein Brief fertig ist", sagt sie.

Sprachliche Nachhilfe für Kommunen

Aktenreihe. Quelle: ako
Von Herne bis Homburg: Überall in Deutschland berät IDEMA die BehördenBild: DW / Kuhn-Osius

21 Kommunen aus ganz Deutschland und die Bundesverwaltung schicken mittlerweile ihre Schreiben an IDEMA. Je nach Größe des Projektes zahlen sie zwischen 500 und 10.000 Euro für den sprachlichen Nachhilfeunterricht. In einer Internet-Datenbank gibt es die Standard-Textbausteine zum Nachschlagen, damit sich die Behörden auch gegenseitig helfen können.

Hans Fluck und Michaela Blaha mit Urkunde. Quelle: ako
Als innovatives Projekt ausgezeichnet: IDEMA-Leiter Michaela Blaha und Hans FluckBild: IDEMA

Für ihre Idee wurde IDEMA jetzt ausgezeichnet, als "Ort im Land der Ideen", ein Innovations-Preis unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Damit bekommt das Projekt erstmals staatliche Fördergelder. Und die können die Wissenschaftler dringend gebrauchen. "Viele Kommunen sind einfach noch nicht bereit, Geld für eine bessere Sprache auszugeben", sagt Michaela Blaha. "Dabei wird doch Barrierefreiheit immer wichtiger." Und schließlich heiße Barrierefreiheit auch, Texte verstehen zu können, so Blaha.

Amtssprache international

IDEMA Institut Bochum
Amtsdeutsch a.D. Das Institut in Bochum will Behördensprache einfacher machen.Bild: DW / Kuhn-Osius

"Amtsdeutsch a. D." heisst die europäische Tagung in Bochum, auf der die Sprachwissenschaftler jetzt der Amtssprache endgültig den Feder-Krieg erklären wollen. Und dort zeigt sich: Unverständliche Behörden-Ausdrücke sind durchaus nicht nur ein deutsches Problem: Auch die Briten, Niederländer und Schweden versuchen, ihre Verwaltungs-Sprache zu vereinfachen. Und selbst in China und Indien würden viele Bürger ihre Behörden nicht verstehen, erzählt Michaela Blaha. "Da muss überall noch viel getan werden."

Dankbare Beamte

Aktenberg im Büro. Quelle: dpa
Die Beamten freuen sich, wenn ihnen Sprach-Arbeit abgenommen wirdBild: picture alliance/dpa

Regina Becker arbeitet für eine Behörde in Düsseldorf. Sie ist selbst genervt, dass die Menschen ihre Schreiben nicht verstehen. "Ich versuche ja auch schon, die Sachen einfacher auszudrücken", sagt sie. "Aber oft habe ich einfach nicht die Zeit. Wenn 15 oder 20 Leute in der Schlange stehen und auf ihren Antrag warten, dann schreibt man nicht mehr besonders schön." Deswegen seien viele Beamten dankbar, wenn IDEMA den Anträgen, Formularen und Briefen sprachlich auf die Sprünge hilft, sagt Blaha. "Viele sind sehr erleichtert, wenn sie feststellen: Der Brief, der zu so vielen Fragen geführt hat, spricht jetzt für sich selbst."

Bürgernahe Behörden

Juristisch einwandfrei sind die Texte nach wie vor, darum kümmert sich extra eine Juristin bei IDEMA. Und erste Veränderungen auf dem Amt spüren sogar die Bürger. "Ich war ganz erstaunt, als ich das Bürgerbüro mal besuchen musste", sagte eine Passantin aus Ratingen begeistert. "Da ist wirklich eine ganz andere Atmosphäre. Die Mitarbeiter sind geschult worden, bürgernah zu formulieren. Das merkt man!"

Kürzer und einfacher

Mensch versinkt in Papierberg. Quelle: ako
Damit die Bürger nicht in einer Flut von unverständlichen Formularen ertrinken, hilft IDEMABild: BilderBox

Und so wird aus dem "Eignungsfeststellungsverfahren" ein einfacher "Eignungs-Test", aus der "amtlich beglaubigten Ablichtung" die schlichte "Kopie" - und statt "Rechtsbehelfsbelehrung" heißt es künftig in den Schreiben: "Ihre Rechte". Und selbst den komplizierten Brief zur Dachgaube haben die Bochumer Forscher entschärft: Statt endlosen Bandwurmsätzen steht dort jetzt: "Auf dem Dach ihres Gebäudes haben Sie eine Gaube errichtet. Dafür benötigen Sie zwar keine Baugenehmigung, allerdings hätten sie uns die Baumaßnahme trotzdem ankündigen müssen." Das sei das Ziel von IDEMA, sagt Blaha. "Kürzer, einfacher – und man versteht’s!"