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Geheime Störfälle

Hans-Günter Kellner15. Juli 2008

In Spaniens Atomkraftwerken häufen sich die Unfälle. Doch weder die Betreiber noch die zuständige Aufsichtsbehörde informieren die Öffentlichkeit umfassend.

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Außenansicht eines spanischen Atomkraftwerks
Acht Atomkraftwerke gibt es in Spanien noch - diese Anlage wurde im April 2006 für immer geschlossenBild: picture-alliance/ dpa

Francisco Castejón bekommt immer wieder Anrufe von Mitarbeitern spanischer Atomkraftwerke, die Unfälle aus den Anlagen melden. Zum Beispiel klingelte das Telefon des Nuklearexperten der Organisation "Umweltschützer in Aktion" im Mai, als das Kühlbecken des Kraftwerks Almaráz nach einem Austausch der Brennelemente mit radioaktivem Wasser überlief. Oder im April, als im Kraftwerk Trillo eine Schraube im Reaktorbecken verschwand.

Arbeiter fürchten um ihre Gesundheit

Dass die Arbeiter damit ausgerechnet bei ihm landen, wundert ihn nicht: "Die Arbeiter in den Atomkraftwerken trauen den Betreibern nicht", sagt Castejón. "Die halten Störfälle ja immer geheim. Der Aufsichtsbehörde trauen sie aber auch nicht, denn auch die gibt die Störfälle nicht bekannt. Das machen immer nur wir, die Umweltverbände. Darum ist es auch verständlich, wenn die Arbeiter immer bei uns anrufen. Schließlich steht ja ihre Gesundheit auf dem Spiel."

Außenansicht des spanischen Atomkraftwerks Trillo (dpa/16.02.2006)
Im Atomkraftwerk Trillo in Guadalajara verschwand eine Schraube im ReaktorbeckenBild: picture-alliance/ dpa

Die Häufung der Unfälle in der letzten Zeit führt der Energieexperte auf Stellenstreichungen zurück. In Spanien gibt es acht Atomkraftwerke, die zusammen rund 18 Prozent der Elektrizität produzieren. Die Kernenergie ist nicht beliebt bei den Spaniern: Ausbaupläne liegen seit 1984 auf Eis, Regierungschef Zapatero spricht vom schrittweisen Aus für die Kernenergie.

Austritt von Radiaktivität erst nach fünf Monaten gemeldet

Als im November des vergangenen Jahres bei einem Störfall in Ascó sogar Radioaktivität freigesetzt wurde, waren es wiederum die Arbeiter, die sich bei Greenpeace meldeten. Beim Wechsel ausgebrannter Brennelemente waren in einer Röhre kleinste radioaktiv verunreinigte Teilchen und Kühlwasser zurückgeblieben. Das wird normalerweise abgesaugt und entsorgt, doch die Arbeiter kippten das Material zurück ins Kühlbecken. Dort wurde es von einem Lüftungssystem aufgesaugt.

"Sie bemerkten das Versehen und versuchten, die Filter zu reinigen. Aber sie stellten die Lüfter dabei nicht ab, sonst hätte der ganze Betrieb des Kraftwerks unterbrochen werden müssen. Außerdem haben sie die Messgeräte im Lüftungssystem manipuliert", erklärt Greenpeace-Energieexpertin Sara Pizzinato.

Durch die Manipulation schlugen die Sensoren nicht Alarm und Ventilatoren bliesen radioaktive Partikel ins Freie. Erst am vierten April, also fünf Monate später, informierte die Aufsichtsbehörde die Öffentlichkeit darüber.

Aufsichtsbehörde meidet die Öffentlichkeit

Blick in die Turbinenhalle des Atomkraftwerks in Almaráz (dpa/1998)
In diesem Kraftwerk in Almaráz lief das Kühlbecken mit radioaktivem Wasser überBild: picture-alliance/ dpa

"Entweder haben die davon wirklich nichts mitbekommen - in diesem Fall stellt sich die Frage, was die in jedem Kraftwerk tätigen Vertreter der Aufsichtsbehörde eigentlich machen - oder der Betreiber hat den Störfall aktiv vertuscht, damit er die Anlage nicht abschalten muss", schätzt Pizzinato. Sie kritisiert weiter: "Dort werden Lastwagen und Züge, die aus dem Kraftwerk herausfahren, immer noch nicht auf Radioaktivität überprüft. Die dafür vorgesehenen Anlagen gibt es zwar, sie stehen aber bis heute verpackt im Lager."

Bevölkerung wird auf Radioaktivität getestet

Seit November ist mehrmals radioaktives Kobalt 60 in der Umgebung des Kraftwerks gemessen worden, räumt die Atomaufsicht nun ein. Die Behörde hält sich gegenüber den Medien stark zurück, wiederholte Interviewanfragen bleiben unbeantwortet.

Eine Anhörung der Vorsitzenden der für die Reaktorsicherheit zuständigen Behörde, Carmen Martínez Ten, im Industrieausschuss des spanischen Parlaments fand im Mai unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ihre Pressestelle verweist auf die Internetseite auf der zu lesen ist, dass die Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen sei. 2200 Menschen habe man bereits untersucht, ohne dass bei ihnen Radioaktivität festgestellt worden sei.

Strafen aus der Portokasse

Die mangelnde Transparenz und zurückhaltende Informationspolitik der Atomindustrie verwundert Francisco Castejón, schließlich wollten die Betreiber die Laufzeiten ihrer alten Kraftwerke auch in Spanien verlängern. Er kritisiert aber vor allem die Aufsichtsbehörden: "Der Atomaufsicht fehlt es an Ernsthaftigkeit. Ihre Kontrollen sind nicht konsequent genug, und die ausgesprochenen Strafen sind viel zu niedrig."

Im Falle Ascó erhielt der Betreiber wegen seines fahrlässigen Verhaltens eine Strafe von 1,6 Millionen Euro. "Das fährt das Atomkraftwerk an einem halben Tag ein. Angesichts einer solchen Aufsicht nehmen die Betreiber die Sicherheitsvorschriften eben etwas lässiger", schätzt Castejón.