1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Auf Borkum regiert der "Klaasohm"

5. Dezember 2001

Nikolausbräuche gibt's überall. Auf der Nordseeinsel Borkum hat sich jedoch noch ein archaischer Brauch erhalten. Hier steht die Nacht zum 6. Dezember unter einem besonderen Stern. Es ist keine Nacht für junge Frauen ...

https://p.dw.com/p/1SOs

Mädchen und junge Frauen verstecken sich in dieser Nacht auf der ostfriesischen Insel Borkum hinter Büschen oder rücken in dunklen Ecken zusammen. Denn wenn sie vom "Klaasohm" in der Nacht zum 6. Dezember entdeckt werden, ergeht es ihnen schlecht. Mit seinem großen geschwungenen Kuhhorn schlägt er sie auf den Allerwertesten - und das richtig hart.

Der Klaasohm, aus dem Plattdeutschen in etwa mit Onkel Nikolaus zu übersetzen, ist nicht zu verwechseln mit der Figur des Rauschebart-Nikolaus, der auf den Bischof von Myra zurückgeht. Die sechs Klaasen, Jugendliche aus drei Altersgruppen, tragen weiße Kittel mit rotem Rand und schwarze Stiefel. Dazu kommt eine 16 Kilo schwere Maske, fast einen Meter hoch und aus hellem Schafpelz. Sie ist geschmückt mit Möwenflügeln und Federn, hat vorne eine lange rote Nase und hinten einen Kuhschwanz.

Das Insel-Tohuwabohu

Wer sich hinter den Masken verbirgt, wissen selbst die Borkumer nicht. Nach geheimnisvollen rituellen Kämpfen, zu denen ausschließlich die männliche Inselbevölkerung Zutritt hat, ziehen die Klaasen je zu zweit durch den Ort. Dabei werden sie von ihrem Gefolge, den Borkumern, mit einem infernalischen Lärm begleitet. Aus Aberhunderten Kuhhörnern, Tröten und Trompeten dröhnt es auf der ganzen Insel.

Der Klaasohm streichelt die Kinder und schenkt ihnen, wie der Nikolaus, Honigkuchengebäck, Moppen genannt. Er besucht die Menschen in ihren Häusern, im Altersheim, im Krankenhaus und verteilt auch hier seine Süßigkeiten. Natürlich lässt er auch keine Kneipe aus, wo er wild mit den männlichen Gästen auf den Tischen tanzt. Mütter mit ihren Kindern haben vom Klaasohm nichts zu befürchten, die Männer schon gar nicht.

Die Tradition der Walfänger

Die Ursprünge des Klaasohm reichen fast vierhundert Jahre zurück in die Zeit der Walfänger, weiß der reformierte Inselpastor Joachim Janssen zu berichten. Damals waren die Borkumer Männer für ein halbes Jahr mit den Walfängern aus Hamburg und Amsterdam auf See gegangen. Als sie heimkehrten, "hatten die Frauen die Hosen an", erzählt der Pastor. Seitdem erobern sich die Männer alljährlich am Nikolaustag die Herrschaft über die Insel zurück. Seit 170 Jahren wird das Fest vom "Verein Borkumer Jungs von 1830" ausgerichtet.

Heidi mit ihrem kleinen Sohn beobachtet das wilde Treiben am Rande. Auch sie ist vor einigen Jahren in die Fänge des Klaasohm geraten. "Da hilft nur noch den Po hinhalten, sonst tut es richtig weh", sagt sie aus schmerzhafter Erfahrung. "Aber das ist nun einmal Tradition, und das Hauen gehört dazu." Tatsächlich scheint es für die jungen Frauen auch eine Art Mutprobe zu sein. Eine 16-Jährige, die es gerade getroffen hat, lacht noch mit Tränen im Gesicht: "Jetzt hat mich der Klaasohm auch erwischt."

Ein Sieg für die Frauen?

Tausende Borkumer haben sich spät in der Nacht auf einem Platz im Ortskern versammelt, um den Höhepunkt des Festes mit zu erleben. Aus drei verschiedenen Straßen kommend, treffen die Klaasen hier wieder zusammen und besteigen eine etwa drei Meter hohe Säule. Dort tanzen sie mit dem Wiefke, einem Mann in Frauenkleidern, angefeuert von der Menge, die laut "Klaasohm, Klaasohm" skandiert. Anschließend stürzen sich die Klaasen einer nach dem anderen kopfüber in die Menschenmenge, wo sie begeistert aufgefangen werden, am Ende auch das Wiefke.

Doch ein Sieg für die Frauen? Heidi zuckt mit den Achseln. "Wer vom Festland kommt, versteht das nicht, muss er auch nicht. Das ist unser Fest, und da wollen wir unter uns sein."