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Die Zukunft der EU

14. September 2008

Silvana Koch-Mehrin (FDP) plädiert für ein dezentrales Europa, das die Bürger ins Zentrum der Politik rückt. Bürokratieabbau, zeitlich befristete Gesetzgebungen und eine Reform der EU-Finanzen hält sie für unabdingbar.

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Silvana Koch-Mehrin
Silvana Koch-Mehrin ist FDP-Abgeordnete im EuropaparlamentBild: dpa - Report

In meiner Vision ist das Europa der Zukunft vielfältig - und bleibt es. Gerade hier liegt sein Potenzial. Vielfältigkeit zeichnet Europa seit Jahrhunderten aus und nährt erfolgreich die gemeinsame europäische Identität. Ein rund geschliffenes zukünftiges Europa mit Hilfe von Gleichmacherei und diktierter Gemeinsamkeit? Das erscheint absurd. Die Idee eines liberalen Europa der Zukunft hat den Reichtum der Vielfalt erkannt und wird ihn auch zukünftig berücksichtigen und fördern. Was aus der Wirtschaft längst bekannt ist - Konkurrenz ist besser als das Monopol - gilt erst Recht für die Politik.

Dezentralisierung fordert und fördert diesen Wettbewerb, der sich durch die verschiedensten politischen Ebenen ziehen muss. Der Wettbewerb um Standorte ist ein solches Beispiel. Bürger und Unternehmen bekommen innerhalb eines Wettbewerbssystems die Chance, besser zu erkennen, wo ihnen welche Leistungen für ihre Steuerzahlungen geboten werden. Um sie an eine Region oder ein Land dauerhaft zu binden, müssen Staaten und Kommunen mit ihren Ressourcen haushalten und gleichzeitig ihre Aufgaben erfüllen. Dezentralisierung ist eine Chance, Regierungen daran zu hindern, überzogen Steuern einzusammeln, um im Anschluss dann Gelder zu verteilen und Schuldenberge zu hinterlassen.

Gegen zunehmende Werbeverbote

In meiner liberalen Vision erkennt Europa Herausforderungen und Chancen, welche die Subsidiarität mit sich bringen. Europa muss genau zu unterscheiden vermögen, in welchen Bereichen einheitliche politische Strukturen sinnvoll und förderlich sind, und in welchen die Entscheidungshoheit bei Mitgliedsländern, Körperschaften oder dem Bürger verbleiben soll. Möglichkeiten aus Fehlentscheidungen zu lernen gibt es zuhauf, wie z.B. bei der verwässerten Dienstleistungsrichtlinie, bei der die Besitzstandswahrer der alten EU-Mitgliedsländer Protektionismus statt Wettbewerb durchgesetzt haben. Oder die zunehmenden Werbeverbote, die - pars pro toto - eine überaus starke Tendenz aufweisen, auf Unionsebene Dinge zu regeln, derer es keiner staatlichen Regulierung bedarf. Oder dem Anti-Globalisierungs-Fonds, bei dem "Opfer" der Globalisierung europäische Hilfsmittelerhalten sollen - eine positive Herangehensweise an die Chancen der Globalisierung sieht anders aus.

Europäische Liebe scheint blind zu machen

Das Europa der Zukunft ist das Europa der Bürger. Heute schon ist Europa den Bürgern näher, als sie vermuten. Und trotzdem herrscht das Gefühl von Distanz. Eine ambivalente Situation. Einerseits wird Europa geliebt - gerade die junge Generation bezeichnet sich gern als "Europäer" und trägt damit zum gelebten und gefühlten Europa aktiv bei. Andererseits scheint diese Liebe blind zu machen, denn die EU, die heute diese Erfolge garantiert, gilt als Synonym für Bürgerferne und Bürokratismus. Diese Ambivalenz gilt es in Zukunft zu überwinden.

Ein Europa der Bürger muss für die Bürger nachvollziehbar sein. Transparenz, Bürokratieabbau, bessere Gesetzgebung, zeitlich befristete Gesetzgebung und auch eine Abschätzung der Folgekosten von Gesetzgebung sind grundlegende Forderungen. Wie kann dies geschehen? Zum Beispiel bei einem Kerngeschäft der EU: der Finanzierung all ihrer Tätigkeiten. Eine Reform würde ein einfaches, transparentes System schaffen. Sonderbehandlungen und Ausnahmeregeln müssen abgeschafft werden, wie etwa der so genannte Briten-Rabatt. Eine eigene EU-Steuer darf nicht sein. Solange die EU keine wirkliche Demokratie ist, bei der die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der Steuerzahlergelder beim Parlament liegt, solange darf die EU keine eigene Steuerkompetenz erhalten. Die EU der Zukunft muss gute, bürgernahe Politik machen, die das Spüren, Sehen und Erleben eines gemeinsamen Europas am eigenen Leibe ermöglicht. Das sind die ersten Schritte weg von der Technokratie hin zu den Bürgern.

Mit verschiedenen Geschwindigkeiten zum Erfolg

Europa wird noch wachsen, soviel ist sicher. Die Länder des Balkan, die Türkei, Nachbarstaaten im Osten - sie alle möchten Mitglied werden. Kann die EU eine solche Erweiterung verkraften? Es gibt darauf eine einfache Antwort: für jedes Land soviel Europa wie es möchte. Ganz eindeutig muss an der Basis des europäischen Erfolgs festgehalten werden: Zusammengehen basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Damit aber nicht Länder, die mehr europäische Gemeinsamkeit wollen von denen ausgebremst werden, die zögerlich oder unwillig sind, sollte ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten offen benannt und gefördert werden. Beim Euro und auch in vielen einzelnen Politikbereichen gibt es ein solches Europa bereits, wird aber immer fast verschämt unter den Teppich gekehrt.

Hier spiegelt sich die alte Idee eines Kerneuropas der Integrationswilligen wieder. Europäer erster, zweiter und dritter Klasse? Darum geht es nicht. Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten hätte Vorteile. Es würde dem individuellen Entwicklungsstand und dem jeweils vorliegenden Integrationswillen der einzelnen Mitgliedstaaten vielmehr gerecht werden. Die Entscheidung läge bei einer jeden einzelnen Nation, wann sie sich für welches Tempo entscheidet. Jeder Mitgliedstaat hätte die Wahl, ob er zu den Innovatoren oder den Nachzüglern gehören möchte. Einzige Kriterien für das Voranschreiten muss der Wille zum Vorantreiben des Europäischen Gedankens bleiben. Europa ist weder alt noch unmodern. Europa ist mitten im Leben. Man mag es also wenden und drehen wie man will: Europa ist und bleibt ein Erfolgsmodell.


Dr. Silvana Koch-Mehrin ist FDP-Abgeordnete im Europaparlament und Vorsitzende der dortigen deutschen FDP-Gruppe.