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Große Koaliton in Österreich geplatzt

7. Juli 2008

Die Große Koalition aus Sozialdemokraten und Volkspartei ist nach eineinhalb Jahren gescheitert. ÖVP-Vizekanzler Molterer forderte eine sofortige Neuwahl. SPÖ-Kanzler Gusenbauer verzichtet auf nochmalige Kandidatur.

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Foto von Molterer und Gusenbauer als sie sich noch einig waren
ÖVP-Finanzminister Molterer (links) und SPÖ-Kanzler Gusenbauer beraten über die Auflösung des NationalratsBild: picture-alliance/ dpa

Einen Tag nach den gescheiterten Gesprächen zur Gesundheitsreform und parallel zur Präsidiumssitzung des Koalitionspartners SPÖ hat ÖVP-Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer am Montag (07.07.2008) das Heft des Handelns in die Hand genommen. In einer überraschend anberaumten Pressekonferenz in Wien forderte der Chef der konservativen Volkspartei ÖVP eine vorgezogene Neuwahl des Parlaments.

Grund: Die Krise in der SPÖ

Molterer wörtlich: "Es reicht." Gute Arbeit in dieser Bundesregierung sei mit der SPÖ nicht mehr möglich, so der Vizekanzler weiter. Er warf dem Koalitionspartner mit Blick auf den Kurswechsel der SPÖ in der EU-Politik vor, die gemeinsame Basis und das Regierungsprogramm verlassen zu haben. Die SPÖ sei orientierungs- und führungslos und "nur mit sich selbst und nicht mit den Menschen beschäftigt". Neuwahlen seien der Ausweg aus "dieser Sackgasse", meinte der Vizekanzler weiter.

Molterer berichtete, er habe es sich nicht leicht gemacht. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und die SPÖ-Führung seien über seine Entscheidung, die Koalition mit der SPÖ zu beenden, bereits informiert.

Gusenbauer gibt auf

SPÖ-Kanzler Gusenbauer und SPÖ-Chef Faymann
Noch-Kanzler Gusenbauer und der neue SPÖ-Chef FaymannBild: AP

Der politisch angeschlagene Kanzler teilte im Anschluss an eine SPÖ-Präsidiumssitzung mit, dass er bei der für den Herbst anvisierten Neuwahl des Nationalrats nicht mehr als Spitzenkandidat antreten werde. Der neue SPÖ-Chef Werner Faymann solle die Sozialdemokraten in die Wahl führen. Gusenbauer steht seit einigen Monaten auch in seiner eigenen Partei unter Beschuss. SPÖ-Politiker werfen ihm Führungsschwäche und mangelnde Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der ÖVP vor. Nach Wahlniederlagen der SPÖ in Niederösterreich und Tirol gab der Kanzler Mitte Juni sein Amt als Parteichef der Sozialdemokraten an Infrastrukturminister Faymann ab.

Der Spitzenkandidat der ÖVP wird Molterer sein. Nach dem Willen der beiden großen Parteien soll die Wahl so rasch wie möglich stattfinden, spätestens im September.

Große Koalition schon seit Wochen in der Krise

Der Schwenk der Sozialdemokraten in der Europa-Politik hatte in den vergangenen Wochen zu schweren Spannungen in der Großen Koalition geführt, die seit Januar 2007 im Amt ist. Die SPÖ hatte angekündigt, die Österreicher über künftige EU-Verträge in einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen - etwa den EU-Beitritt der Türkei. Die ÖVP ist strikt gegen Referenden, weil diese ihrer Ansicht nach dem Populismus Tür und Tor öffnen würden.

Am Sonntagabend war darüber hinaus mit der Gesundheitsreform das letzte größere Reformprojekt der rot-schwarzen Koalitionsregierung gescheitert. Regierungsvertreter der SPÖ und ÖVP konnten sich nach langwierigen Verhandlungen nicht auf Maßnahmen zur Sanierung der hochdefizitären Krankenkassen einigen. In den vergangenen Wochen hatten österreichische Ärzte mehrere Tage gegen die Reform gestreikt. Die Parteien wollen nun nach der parlamentarischen Sommerpause weitere Beratungen aufnehmen. (se)