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Die Mär vom bösen Brüssel

Torsten Schäfer25. Juni 2008

EU-Geschichten gibt es viele, doch nicht immer sind sie wahr. Mit den Vorurteilen lässt sich Stimmung machen - wie das irische Referendum gezeigt hat. Warum wird Brüssel zum Mythen-Opfer? Der Versuch einer Antwort.

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Spreewaldgurken (Foto: dpa)
In der Tat: Gurken sind in der EU genormt. Das hat seine GründeBild: dpa

"Aufgeblähter Beamtenapparat, sinnlose Gesetze - sogar zur Krümmung einer Gurke." Solche oder ähnliche Argumente bestimmen nicht selten Gespräche über die EU. Sicher: Manche Richtlinie lässt Zweifel aufkommen. Dennoch ist die EU besser als ihr Ruf; viele Geschichten über sie entpuppen sich bei genauerem Hinschauen als Unwahrheiten. Mit 20.000 Beamten ist der Apparat der Kommission nicht aufgebläht, für die Stadt Hamburg arbeiten 42.000. Regeln zur Krümmung der Gurke gibt es - auf Wunsch der Unternehmen. Die Vereinheitlichung macht Sinn, wie die Wirtschaftskammer Österreich in ihrer Broschüre "EU-Mythen" erklärt. Denn damit " kann schnell festgestellt werden, wie viele Gurken sich in einem Karton befinden. Dadurch tut sich der Großhandel leichter, die Gurken zu vertreiben und kann die Ware günstiger an den Endverbraucher verkaufen."

Kein Dekolleté-Verbot für Kellnerinnen

Andere Richtigstellungen sind weniger komplex: Der Euro war kein Teuro, nur in gewissen Branchen. Die Richtlinie zum Schutz vor optischer Strahlung (Sonne) sah keine Details vor, und schon gar kein Dekolleté-Verbot für Kellnerinnen. Das Parlament ist kein zahnloser Tiger, sondern Gesetzgeber bei drei von vier EU-Gesetzen. Nicht der Großteil des EU-Haushaltes wird für Personal- und Verwaltung ausgegeben, sondern nur rund fünf Prozent. Und der Haushalt nimmt sich mit 134 Milliarden Euro (2009) gegenüber dem 282 Milliarden starken Bundeshaushalt (2008) bescheiden aus.

EU-Flaggen vor dem Berlaymont Haus in Brüssel (Foto: EU)
Aufgeblähte Bürokratie? Die EU-Kommission beschäftigt halb so viele Beamte wie die Stadt HamburgBild: EU

"Es ist schwer, die Mythen aus der Welt zu schaffen", erklärt Steffen Schulz, Pressesprecher der EU-Kommission in Bonn. "Medien schreiben sie voneinander ab, und Abstruses wird gerne gelesen." Die EU wird nicht nur Opfer von Gerüchten. Ihr gelingt es überdies oft nicht, Erfolge zu verkaufen. Dabei bringt sie Vorteile - und nicht nur für Friede und Wohlstand, auch im Detail: Sicheres Kinderspielzeug, billigere Handy-Gebühren, kontrollierte Lebensmittel, saubere Müllverbrennung, bleifreies Benzin, Katalysatoren - die Liste der sinnvollen EU-Gesetze ist lang.

Ausbau der Pressestäbe

Doch warum ist die EU Mythen-Opfer, weshalb kann sie ihren Nutzen nicht kommunizieren? Diese Fragen beschäftigt die Kommission so sehr, dass sie Forschungsprojekte finanziert, die ihre Kommunikationsdefizite analysieren. Und eine große Kommunikationsoffensive in Gang gesetzt hat. Mit ihr geschieht ansatzweise das, was Forscher seit Jahren fordern: Die Pressestäbe der nationalen Vertretungen wurden ausgeweitet, die Öffentlichkeitsarbeit insgesamt mit mehr Mitteln ausgestattet. Doch noch immer besteht Handlungsbedarf, sagen die Experten. Den gibt es auch bei den institutionellen Reformen: Erst wenn die EU-Politik konfliktstärker, transparenter und von bekannteren Gesichtern bestimmt wird, ist "Brüssel" sichtbarer und medial attraktiver. Dann würden Medien öfter berichten, und sich Bürger stärker interessieren - und besser informieren. Soweit zur Funktionskette, die EU-Kommission und Europawissenschaftler im Auge haben.

EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel (Foto: dpa)
Weitgehend unbekannt, dennoch wichtig: EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer BoelBild: picture-alliance/dpa

Neue Gesichter brächte der Vertrag von Lissabon, der einen stärkeren Außenbeauftragte und den EU-Präsidenten vorsieht. "Diese Ämter verkörpern europäische Politik in einer sichtbaren und medial attraktiven Weise. Das wäre ein mittelgroßer Schritt zur Lösung der Probleme", erklärt Prof. Thomas Meyer, Politologe an der Universität Dortmund. Mehr Transparenz schaffen die - bereits begonnenen - öffentlichen Tagungen des Ministerrates. Besonders wirksam wären Direktwahlen, wie sie etwa Daniel Cohn-Bendit, Grünen-Chef im EU-Parlament, fordert. Wenn EU- und Kommissionspräsident, oder auch die Kommissare, in einem europaweiten Wahlkampf für sich werben müssten, wäre José Manuel Barroso vermutlich sehr und Agrarkommissarin Fischer Boel, die den Großteil des Haushaltes verwaltet, zumindest etwas bekannt. Doch zu solchen weitgehenden Reformen ist die zerstrittene EU derzeit kaum in der Lage.

Negative Berichterstattung

Ein weiteres Problem der EU ist die Art der Berichterstattung über sie: Zwar sind deutsche Journalisten recht europafreundlich eingestellt, dennoch wird überdurchschnittlich oft negativ berichtet. Und in vielen Redaktionen herrschen Scheu und Unwissen vor; nur selten gibt es EU-Experten. Das zeigen Studien wie etwa die des Fachdienstes Media Tenor oder ein EU-finanziertes Projekt am Dortmunder Erich-Brost-Institut. Dessen Fazit lautet: Die journalistische Aus- und Weiterbildung zu Europa muss eine größere Rolle spielen. Vor allem Journalistenschulen und Verlage sind gefordert, der EU in Lehr- und Weiterbildungsplänen einen festen Platz einzuräumen.

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