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Glücklich ohne Lissabon

Bernd Riegert20. Juni 2008

Die Staats- und Regierungschefs haben keine Lösung für die EU-Krise gefunden. Dabei braucht die EU nicht unbedingt einen Reformvertrag, sondern nur den gemeinsamen Willen, Politik zu gestalten, kommentiert Bernd Riegert.

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Bild: DW

Es geht ein klares Signal vom Gipfeltreffen der Europäischen Union aus und das heißt: 'Wir sind ziemlich ratlos und vertagen uns.' Das wird das Vertrauen in die politische Führung Europas bei den Bürgern und vor allem bei den verzagten Iren nicht gerade steigern. Mit der Vertagung des Problems in den Oktober oder Dezember zeigt man nicht gerade Entschlusskraft.

Wie der Reformvertrag von Lissabon, der ja angeblich so dringend gebraucht wird, nun doch noch in allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden kann, ist fraglich. Vielleicht droht dem Vertragswerk das gleiche Schicksal wie der EU-Verfassung vor drei Jahren, die am Widerstand aus Frankreich und den Niederlanden scheiterte und schließlich beerdigt wurde.

Was der EU fehlt, ist der politische Wille

Die Frage ist nun, ob die Europäische Union auf der Grundlage des Nizza-Vertrages weiter "wurschteln" kann. Die Antwort lautet: Sie kann. Denn es fehlt der heutigen Union nicht so sehr an funktionierenden Entscheidungsabläufen, sondern eher am politischen Willen, die Integration voranzutreiben und gemeinsame Politik zu machen. Den politischen Willen aber müssen die nationalen Regierungen aufbringen.

Bernd Riegert
Bernd Riegert

Wenn man ein konkretes Projekt durchsetzen will, wird man einen rechtlichen Weg auch mit dem Nizza-Vertrag finden können. Der künftige EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy setzt auf dieses Konzept. Er will politische Ziele in den Feldern Energie, Einwanderung und Verteidigung erreichen, mit oder ohne neuen Reformvertrag. Die Frage ist, ob andere Staats- und Regierungschefs ihm folgen werden oder ob sie sich weiter hinter den institutionellen und vertraglichen Krisen verstecken.

Die EU funktioniert auch ohne Lissabon

Der Vertrag von Lissabon wäre keine Wunderheilung, der die Defizite der Union mit einem Schlag beseitigen würde. Sollte für das Funktionieren der EU tatsächlich ein permanenter Ratspräsident oder ein Außenminister wichtig sein, so ließe sich der auch ohne großartiges Vertragswerk per Beschluss der 27 Mitgliedsstaaten installieren, wenn der politische Wille vorhanden ist.

Auch die Gleichberechtigung aller Mitgliedsstaaten und das Einstimmigkeitsprinzip bei wesentlichen Fragen stellt der Vertrag von Lissabon nicht in Frage. Insofern unterscheidet er sich nicht diametral von dem heutigen Nizza-System. Fazit: Man kann auch ohne Lissabon-Reformvertrag glücklich werden und EU-Politik gestalten, wenn alle es wollen.

Die Aufnahme neuer Mitglieder wird schwierig

Rechtlich kniffelig wird es allerdings bei der Aufnahme von neuen Mitgliedstaaten. Da hieß es bisher immer: 27 sei nach dem Vertrag von Nizza die Obergrenze. Darauf bestehen Frankreich und Deutschland. Österreich, Slowenien und andere sehen das gelassener. Sie wollen auch ohne neuen Vertrag die Versprechen der EU einlösen und die Balkanstaaten nach und nach im "Klub" begrüßen.

Da droht noch erheblicher Streit, je näher der mögliche Beitrittstermin für Kroatien – nämlich das Jahr 2010 – rückt. Der könnte noch einmal zu der grundsätzlichen Debatte führen, ob sich die EU durch die ständige Erweiterung auf irgendwann 34 Mitglieder nicht selbst lähmt.

Aufnahme mit mehreren Geschwindigkeiten?

Das oft genannte Europa der zwei Geschwindigkeiten könnte hier wieder eine Rolle spielen und in die Tat umgesetzt werden. Wenn man dem Balkan und später der Türkei nur eine Assoziierung oder privilegierte Partnerschaft anbietet, hätte man de facto eine EU erster und zweiter Klasse. Die dritte Klasse oder Geschwindigkeitsstufe könnten Staaten wie die Ukraine, Georgien oder Moldawien bilden, die ebenfalls in die EU aufgenommen werden möchten. Selbst wenn die Staats- und Regierungschefs dafür sorgen, dass die Ratifizierungsverfahren für den Lissabon-Vertrag tatsächlich in ein, zwei Jahren erfolgreich abgeschlossen sind, ist eine Diskussion darüber, wo die Grenzen einer Vergrößerung der EU liegen, wieder einmal überfällig.

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