1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vom Konsumrausch zur Askese

Ruth Rach29. Mai 2008

Gucci, Prada oder Adidas - er kaufte sie alle und rannte jedem Trend nach. Neil Boorman war markensüchtig - bis er alle Marken-Artikel auf einen Haufen warf und anzündete. Schluss, aus, vorbei: das Leben mit den Logos.

https://p.dw.com/p/E4EL
Marks & Spencer auf der Oxford Street in London - der Straße des Konsums.
Marks & Spencer auf der Oxford Street in London - der Straße des Konsums.Bild: AP

Reebooks, Sony, Prada - seine automatische Markenerkennung kann er immer noch nicht abschalten, wenn er neue Menschen trifft. Dennoch bemüht er sich, sie zumindest wertfrei zu mustern. Neil Boorman, Anfang 30 ist reformierter Label-Junkie. Er trägt Schirmmütze, Anorak, Jeans und Turnschuhe.

Er kaufte sich sein Leben

Er ist wie ein trockener Alkoholiker. "Ich weiß genau wie das ist, süchtig zu sein. Doch nicht Alkohol, sondern Marken waren meine Droge. Diese Sucht musste ich überwinden", sagt Neil Boorman. Er habe, so sagt er jetzt, lange ein Selbstwertproblem gehabt. Er versuchte sein Image dadurch aufzuwerten, dass er ständig die neuesten Labels trug. Das kostete ihn Zehntausende Britische Pfund.

Aber das war nicht sein Problem - als Werbefachmann verdiente Neil genug Geld. Viel schlimmer war der Stress: Er konnte an nichts Anderes mehr denken als an seinen nächsten Einkauf. Vor eineinhalb Jahren inszenierte Neil Boorman dann ein spektakuläres Ritual: Er verbrannte seine Markensachen in einem Park, um sich in aller Öffentlichkeit von seiner Sucht loszusagen. "Danach fühlte ich mich im doppelten Sinne total erleichtert. Ich warf damit ja nicht nur meine Markenartikel auf den Scheiterhaufen, sondern auch meine erkaufte Identität", sagt Boorman.

Dabei wohnt Neil Boorman noch immer nur zwei U-Bahnstationen von der Oxford Street entfernt. Sie ist der Inbegriff von Konsum in London: Hunderte von Läden, tausende von Käufern, Millionen von Produkten. Aber hier wird seine Botschaft wohl nie ankommen.

Marken machen Menschen

Die Oxford Street in London - Inbegriff des Konsums.
Die Oxford Street in London - Inbegriff des Konsums.Bild: picture-alliance/ dpa

Seine Forderungen verhallen im Top Shop, dem Tempel der Trend- und Modejunkies. Dort kaufen Menschen wie Fatuma ein. Die 20-Jährige befingert zärtlich eine Handtasche mit ihrem Lieblingslabel. "Marken sind für mich wie ein Lebensziel, sie machen mich glücklich. Wie kann man bloß so doof sein seine besten Stücke zu verbrennen", kommentiert sie Boormans Aktion.

"Ich shoppe, also bin ich. Kauf mich und ich verändere dein Leben", verkünden poppige Spruchbänder vor dem Edelkaufhaus Selfridges. Gleich um die Ecke wohnt der Markenpapst Wally Olins, der Erfinder des Konzepts der Markenpersönlichkeit und Autor von Büchern zum Thema "Corporate Identity" und "Branding". Modemarken seien weitaus mehr als ein Produkt, sagt Wally Olins: "Sie symbolisieren eine Lebensphilosophie."

Laut Olins stiften Marken Gemeinschaft und zeigen, dass man zu einer Gruppe gehört. Sie seien durchaus auch eine Art Ersatz für einen religiösen Glauben. Und dieser Meinung stimmt auch Neil Boorman zu: "Am Sonntag gehen wir nicht mehr in die Kirche sondern zum Shoppen. Unser Einkaufszentrum ist tatsächlich der neue Gemeindetreff."

Jeder kann der Oberflächlickeit verfallen

Aber nur scheinbar, denn Gemeinschaft entsteht nicht im Schnellverfahren. Identität lässt sich nicht kaufen. Das sei nichts Anderes als massenproduzierter Ramsch, den die Firmen den Menschen unter irgendeinem exklusiven Label andrehen.

Neil Boorman arbeitet inzwischen für eine karitative Organisation. Und lebt so bescheiden wie möglich. Kleider und Lebensmittel kauft er in unabhängigen Läden. Waschmittel und Kosmetika macht er selbst. Eigentlich, sagt Neil Boorman, müsse man sich vor jedem Einkauf fragen, ob man die Sachen wirklich brauche und wenn man es einfach nur kaufen wolle, wer dieses Bedürfnis in einem geweckt habe. Besonders besorgt ist Neil Boorman um seinen Sohn. Der ist zwar noch ein Baby – aber so leicht entzieht sich eben niemand dem Sog der Marken.