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Maulkorb für Journalisten

Kirstin Hausen22. Mai 2008

Um die Pressefreiheit in Italien steht es schlecht: Ein Journalist prangerte die Mafia-Vergangenheit von Politikern öffentlich an und geriet deshalb selbst in die Kritik. Viele Journalisten lassen nun die Finger davon.

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Symbolbild Presse-Kiosk
Freie Presse in Italien oder Propaganda-Instrument der Politiker?

Fernsehmoderator Fabio Fazio wusste, worauf er sich einließ, als er den Journalisten Marco Travaglio in seiner Sendung zu Gast hatte. Travaglio nimmt kein Blatt vor den Mund, schon gar nicht, wenn es um eine kritische Auseinandersetzung mit italienischen Politikern geht. So sprach er öffentlich im Fernsehen aus, was alle sowieso schon wussten: Senatspräsident Renato Schifani machte vor 20 Jahren Geschäfte mit einem Mafiaboss.

Doch im Unterschied zu Travaglio spricht sonst niemand darüber – schon gar nicht öffentlich. So sorgt nun nicht die Tatsache der Mafiageschäfte für Furore in Italien, sondern deren öffentliche Thematisierung.

Viele wollen Berlusconi nicht verärgern

Moderator Fabio Fazio (Quelle: AP)
Moderator Fabio Fazio - auch er will Berlusconi lieber nicht verärgernBild: AP

Selbst im Fernsehinterview distanzierte sich Moderator Fazio noch während des Interviews von Travaglio, schaute peinlich berührt in die Kamera, als suche er den direkten Blickkontakt zu Silvio Berlusconi, um sich bei ihm zu entschuldigen. Denn Berlusconi gefallen solche unbequemen Wahrheiten über Parteifreunde wie den sizilianischen Forza-Italia-Politiker Schifani ganz und gar nicht. Und auch Politiker anderer Parteien ereifern sich nun täglich in Talkshows und Zeitungen darüber.

Der eigentliche Skandal ist vollkommen in den Hintergrund gerückt: Nämlich, dass der frisch gekürte Senatspräsident früher die Versicherungsagentur Sikula Broker gemeinsam mit dem später verurteilten Mafiaboss Mandalà betrieb, und dass er als externer Berater für den Gemeinderat von Villabate bei Palermo arbeitete, der dann wegen Mafiainfiltration aufgelöst wurde. Stattdessen steht Travaglio am Pranger für seine öffentlichen Äußerungen darüber.

Politiker halten zusammen - gegen die Journalisten

Renato Schifani (Quelle: AP)
Renato Schifani - eigentlich müsste er wegen seiner früheren Mafiageschäfte in der Kritik stehenBild: AP

Das staatliche Fernsehen RAI, das das Gespräch mit Travaglio live ausstrahlte, hat sich bereits öffentlich bei Schifani entschuldigt - zur Genugtuung der Regierungsparteien. Aber auch Giovanna Melandri, zuständig für Kommunikation im Schattenkabinett der Opposition, hat diesen Schritt begrüßt. Niemand aus der Partei von Veltroni hat Travaglio verteidigt.

Aber das ist der angefeindete Journalist bereits gewöhnt. Und es kümmert ihn nicht, denn er weiß, dass er keine Lügen verbreitet. "Ich bin Journalist und mir ist egal, was die Politiker über mich sagen. Journalisten müssen über die Wahrheit informieren und das habe ich getan."

Travaglio hat einen Berufsethos, der vielen italienischen Journalisten längst abhanden gekommen zu sein scheint oder ausgetrieben wurde. Travaglio betrachtet es als Tragödie, dass die Zeitungen nun schreiben, was das Fernsehen am Tag zuvor berichtet hat. Denn über diese Nachrichten entschieden die Politiker. "Sie verpassen der Pressefreiheit mit Hilfe ihrer Aufsichtsorgane einen Maulkorb, die Journalisten wissen das und verhalten sich entsprechend", meint Travaglio.

Die Italiener interessiert das wenig

Zensur sei also gar nicht nötig, wenn bestimmte Themen von vorneherein ausgeklammert werden, weil die Journalisten Unannehmlichkeiten befürchten. Gleichzeitig ist auch ein Abstumpfen in der italienischen Gesellschaft zu beobachten. Viele Italiener winken müde ab, wenn es um die nicht so weißen Westen der Politiker geht. Eine weiche Diktatur nennt das der Schriftsteller Nanni Ballestrini. Sie betreffe die gesamte Gesellschaft bereits seit dem Beginn der Ära Berlusconi.

Travaglio habe etwas gesagt, was nicht neu sei und was man nachlesen könne. "Aber es liest niemand nach, weil es den Italienern gleichgültig ist. Im Gegenteil: Wenn ein Politiker sich so verhält, dann ist er clever und wird auch noch bewundert. So wie die Faszination für Berlusconi auch daher rührt, dass er so viele Prozesse am Hals hat", sagt Ballestrini.

Trotzdem mag es Berlusconi nicht, wenn über diese Prozesse in den Medien gesprochen wird. Bei seinen eigenen Fernsehkanälen genügt ein Anruf, um kritische Berichte zu unterbinden. Beim staatlichen Fernsehen RAI ist sein Einfluss noch nicht so direkt, aber trotzdem spürbar. In Italien besetzen nämlich die Regierungsparteien die Führungspositionen in der RAI mit ihren Wunschkandidaten. Und schon bald wird über diese Posten neu entschieden.