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Massaker in My Lai

Daniel Scheschkewitz16. März 2008

Das Massaker US-amerikanischer Soldaten an vietnamesischen Zivilisten in My Lai am 16. März 1968 gehört zu den grausamsten der modernen Kriegsgeschichte. Es war einzigartig und doch kein Einzelfall.

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Soldaten neben Ruinen (Quelle: AP)
Untersuchung: 1970, zwei Jahre nach dem Massaker, begutachten US-Soldaten den Ort der BluttatBild: AP

An diesem Sonntag (16.3.2008) jährt sich zum 40. Mal das Massaker von My Lai. In dem kleinen Dorf mit gleichem Namen hatten US-Soldaten gegen Ende des Vietnamkrieges bis zu 500 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder brutal ermordet. Nur ein US-Soldat wurde von einem amerikanischen Kriegsgericht dafür jemals zur Verantwortung gezogen. Nach umfänglichen Recherchen in US-Archiven ist mittlerweile klar, dass My Lai im Vietnamkrieg kein Einzelfall war.

"Aufspüren und Vernichten!"

Mann in Uniform (Quelle: AP)
Leutnant Calley gab die verhängnisvollen BefehleBild: AP

In den frühen Morgenstunden des 16. März 1968 landen Soldaten der 11. US-Brigade in der Nähe des Dorfels My Lai mit ihren Hubschraubern. Ihr Auftrag: Schlupflöcher der Vietcongkämpfer auszumachen, die seit Jahren einen zermürbenden Guerillakrieg gegen die stärkste Armee der Welt führen. Der 24 Jahre alte Leutnant William Calley jr. hat seinen Soldaten die Vorgehensweise eingeimpft: Search and Destroy (Aufspüren und vernichten).

Die Soldaten durchkämmen Strohhütten und treiben, weil sie keine Rebellen finden, die Bauern zusammen. Dann beginnen sie mit dem Mord an Männern, Frauen, Greisen und Kindern. Eine der wenigen Überlebenden ist die Bäuerin Fran Ha Thi Qui. "Als die Amerikaner kamen, war mein Mann auf dem Reisfeld bei den Kühen. Ich war mit meinem Kind zuhause", berichtet die heute 75-Jährige. "Plötzlich schossen sie wie wild um sich. Ich wurde angeschossen. Mein Kind war dabei. Er bettelte um sein Leben, doch ohne Erfolg. Es war so grausam."

Die Soldaten werfen Handgranaten in Hütten, benutzen Babys als Zielscheiben und stechen mit ihren Bajonetten auf Flüchtende ein. Drei Stunden später sind bis zu 500 unschuldige Menschen tot.

My Lai kein Einzelfall

Leichen auf einem Feldweg (Quelle: AP)
Tote Zivilisten auf der Straße nach My LaiBild: AP

Den US-Militärbehörden und der Nixon-Regierung gelingt es, den grausamen Vorfall 18 Monate lang zu vertuschen. Es war der Journalist Seymor Hersh, der das Massaker an der vietnamesischen Zivilbevölkerung schließlich im Spätherbst 1969 durch einen Artikel im Life-Magazin aufdeckte. Die Weltöffentlichkeit war schockiert. Dabei weiß man heute: My Lai war beileibe kein Einzelfall.

"Jede einzelne in Vietnam eingesetzte Kampfeinheit - das geht von der Divisionsebene bis hin zu einzelnen Zügen oder 'Platoons' - kann in der einen oder anderen Form mit Kriegsgräuel und Kriegsverbrechen in Zusammenhang gebracht werden", sagt Historiker Bernd Greiner. Lange Zeit hat er in US-Archiven forschen können. Greiner schätzt, dass die Zahl der so getöteten Zivilisten in die Zehntausende gehen könnte - "sei es durch Folter, Gefangenenmord oder ein Massaker".

Ein Held - Täter bleiben ungeschoren

Gesicht eines Mannes auf Schwarzweiß-Foto (Quelle: dpa)
Ein Mensch unter Wahnsinnigen: Hubschrauberpilot Thompson rettete vietnamesische Zivilisten vor den MarodeurenBild: picture-alliance/ dpa

Die in My Lai massakrierten Einwohner wurden der Summe getöteter Vietcong-Kämpfer hinzugerechnet. Kaum ein Soldat verweigerte den Gehorsam. Lediglich der Hubschrauberpilot Hugh Thompson junior rettete einige Frauen und Kinder, indem er den GIs damit drohte, seine Bordschützen mit dem MG auf sie feuern zu lassen. Danach evakuierte er die Zivilisten.

Von den Tätern wurde nur Leutnant Calley zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Davon verbrachte er lediglich drei Tage im Gefängnis. Drei Jahre verbrachte er in Hausarrest, bis ihn Präsident Nixon 1974 begnadigte.

Die Massaker führen Kriegsforscher heute nicht zuletzt auf die asymmetrische Kriegführung zurück, bei der der Vietcong mit seiner Guerilla-Taktik eine für diesen Krieg nicht ausgebildete Armee zermürbte. Wut und eine Eskalation der Gewalt auf Seiten der US-Armee waren die Folge.

Irak - nichts gelernt aus Vietnam?

Vierzig Jahre später ist auch die amerikanische Kriegführung im Irak nicht unumstritten. Auch hier kam es zu Massakern an Zivilisten wie in Haditha oder zu Übergriffen wie in Abu Ghraib. Das Militär habe durchaus aus diesen Erfahrungen gelernt, sagt Greiner: "In den 1970er, 1980er, ja bis weithin in die 1990er Jahre hat man der politischen Führung zu verstehen gegeben: 'Schickt uns nie wieder in eine vergleichbare Situation! Wir sind nicht bereit, einen asymmetrischen Krieg zu führen und nicht dafür ausgebildet'." Die politische Führung in den USA habe sich aber über diesen professionellen Einwand hinweg gesetzt und im Irak einen Krieg verordnet, "der die US-Armee in eine ähnliche Situation manövriert hat, mit vergleichbaren Ergebnissen, wenn auch nicht in der Dimension wie in Vietnam".