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Kunst gegen Persönlichkeit

Oliver Samson27. Februar 2008

Klagen haben Konjunktur: Verlage sehen sich immer häufiger Unterlassungsklagen ausgesetzt. Wo Literatur aufhört und wo Schaden anfängt ist dabei international höchst umstritten.

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Wer sich erkennt, kann vielleicht kassieren: Gründgens mit Willi Quadflieg als MephistoBild: picture-alliance / KPA Honorar & Belege
Gustav Gruendgens
Posthume Persönlichkeitsrechte: Gründgens 1959Bild: AP

Es begann 1971 mit einem Stück großer Literatur: Klaus Manns Roman "Mephisto" wurde in der Bundesrepublik nach jahrelangem Rechtsstreit in letzter Instanz verboten. Das Bundesverfassungsgericht wertete die Persönlichkeitsrechte des verstorbenen Schauspielers Gustav Gründgens, dessen Verwicklung in der NS-Zeit in dem Roman kaum verschlüsselt dargestellt wird, höher als die Freiheit der Kunst. Das Buch wurde auch verboten zum Klassiker: Über die DDR war es immer beziehbar und erlebte sechs Auflagen. Seit 1981 wird es wieder in der Bundesrepublik vertrieben.

"Es wird immer mehr"

Wie die Presse über wen berichten darf, oder wieweit es von der Freiheit der Kunst gedeckt ist, wenn sich jemand in Romanen, Filmen oder Theaterstücken wiederentdeckt, hat seitdem immer mal wieder Gerichte beschäftigt. Mal neigte sich Justitias Waage mehr in Richtung Persönlichkeitsschutz, mal in Richtung Presse- und Kunstfreiheit. In den vergangenen Jahren sind die Justiziariate der Verlage aber häufiger gefordert denn je. "Es wird immer mehr verklagt", sagt Rainer Dresen, Leiter der Rechtsabteilung von Random House, der deutschen Dependance des weltgrößten Verlagshauses. "Manchmal nur wegen eines oft nichts sagenden Satzes – auch um ein vom Gesamtinhalt her missliebiges Buch vom Markt zu bekommen."

Prinzessin Caroline von Monaco
Tabu: Caroline von MonacoBild: AP

Die Konjunktur der Klagen hat wesentlich mit zwei Urteilen zu tun: 2004 schränkte das so genannte Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Möglichkeiten der Berichterstattung über Prominente deutlich ein. Im Herbst 2007 kam es zum nächsten höchstrichterlichen Verbot eines Buches in Deutschland: Das Bundesverfassungsgericht untersagte die weitere Verbreitung von Maxim Billers Roman "Esra" wegen Verletzung der Intimsphäre. Die Ex-Freundin des Autoren hatte sich in der Hauptfigur des Romans erkannt. Das Buch wurde verboten, der Geschädigten 50.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

"Noch nie so aggressiv"

Kritiker des "Ezra-Urteils" sehen darin den Beginn einer Entwicklung, in der die Rechtsprechung über die Yellow Press in die Literatur hinübergezogen werden soll. "Es ist in der Tat so, dass die Einwände stark zugenommen haben", sagt Peter Roeder, Geschäftsführer des Frankfurter Suhrkamp Verlages. Früher hätte man sich vielleicht geärgert oder geschmeichelt gefühlt, heute würde eher geklagt. "Ansprüche wurden noch nie so aggressiv umgesetzt", sagt Dresen von Random House.

"Vom Keller zum Bestseller"

International wird über die Schutzbedürftigkeit der Persönlichkeitsrechte höchst unterschiedlich geurteilt. Die nicht autorisierte Biografie "Girl in the Cellar – The Natascha Kampusch Story" darf in England veröffentlicht werden, im deutschsprachigen Raum nicht. "Vom Keller zum Besteller", wie der englische "Guardian" blödelte. 2006 untersagte das Oberlandesgericht Frankfurt die Aufführung des Films "Der Kannibale von Rohtenburg". Armin Meiwes müsse es nicht hinnehmen, dass der Film ein Leben und Verbrechen zeige, das seinem Leben und Verbrechen gleicht. Nichtsdestotrotz wurde der Film aber auf dem renommierten katalanischen Festival in Sitges gezeigt. Ein Besucher wurde Berichten zufolge bei der Vorstellung zwar ohnmächtig, der Film räumte aber sogar die Preise für beste Regie und Hauptdarsteller ab.

Maxim Biller, Schriftsteller, aufgenommen am 18.08.2006 bei der Aufzeichnung der ZDF-Sendung "Nachtstudio" in Berlin
Maxim Biller, Schriftsteller mit verbotenem Roman (2006)Bild: picture-alliance / ZB

Gerade jüngst (26.2.2008) bestätigte das Berliner Landgericht einstweilige Verfügungen gegen das Buch "Interview mit einem Kannibalen" über das Leben von Meiwes. Angehörige hatten sich gegen die Veröffentlichung von Details aus ihrer Intimsphäre gewandt, obwohl das Buch in Zusammenarbeit mit dem Kannibalen geschrieben wurde.

"Völlig tabu"

Im internationalen Vergleich steht Deutschland auf einem Mittelfeldplatz, wenn es um Persönlichkeitsrechte geht. "Frankreich schützt das Privatleben 'la Vie Privée' deutlich stärker – das Privatleben ist völlig tabu", sagt Karl-Nikolaus Peifer, Professor am Institut für Medien- und Kommunikationsrecht der Universität Köln. Dem Journalisten Airy Routier droht aktuell sogar eine Haftstrafe, weil er im "Nouvel Observateur" über eine SMS berichtete, in der Präsident Sarkozy wenige Tage vor der Hochzeit seine Ex-Frau um eine Rückkehr gebeten haben soll. Der Staatschef verklagte daraufhin das Magazin wegen Fälschung und Verbreitung falscher Informationen.

"Wenig anfangen"

Kannibale, Armin Meiwes vor Gericht
Armin Meiwes vor Gericht, nicht im FilmBild: AP

Deutlich liberaler ist es in den USA, wo die "Freedom of Expression", die Freiheit des Ausdrucks fast alles schützt, auch persönliche Hasstiraden, Pornographie oder die Leugnung des Holocaust. "Mit dem Konzept Persönlichkeitsschutz kann man dort sehr wenig anfangen", sagt Peifer.

Verlagsjurist Dresen kann das bestätigen. "Unsere amerikanischen Kollegen wundern sich schon sehr über die deutschen Zustände", sagt Dresen. Gegen die Klagewelle könne man momentan wenig ausrichten, meint Dresen - nur hoffen, dass sich der Zeitgeist wieder pro Kunst und Presse und gegen die Lust an der einstweiligen Verfügung wendet.