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Verlierer des Bio-Booms

Linda Vierecke21. Februar 2008

2007 war ein Jubeljahr für die Bio-Branche in Deutschland. Der Umsatz stieg auf fünf Milliarden Euro und wuchs damit um satte 15 Prozent. Doch nicht alle Läden profitieren vom Bio-Boom.

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GestapelteKarottenbünde (Quelle: Bilderbox)
Appetitlich soll das Gemüse auf jeden Fall aussehenBild: Bilderbox

Geld war nie allein der Grund, warum Ralf Murmann seinen Bioladen betreibt. Aber zum Leben hat es immer gereicht. 33 Jahre gibt es das Bio-Lebensmittelgeschäft im Bonner Stadtteil Kessenich bereits. Doch seit Bio in Deutschland boomt, steht der Laden kurz vor der Schließung. "Bei uns kommt von dem Boom nichts an. Die Läden unserer Größenordnung sind die Verlierer dieses Bio-Booms", sagt Murmann.

Altes Bio – neues Bio


Sein Bioladen führt dieselben Joghurts wie der Biosupermarkt zwei Kilometer weiter. Er hat eine große Käsetheke, daneben frisch gebackenes Brot, Obst und Gemüse von regionalen Bauern. Nur die Kunden fehlen zunehmend, seit um ihn herum auch noch immer mehr konventionelle Geschäfte Bioprodukte führen.

Kein Wunder, dass Murmann den Bio-Boom kritisch sieht: "Bio ist nicht einfach nur ein Produkt, auf das man 'Bio' stempelt," sagt er und erinnert sich an die Anfangszeit seines Bioladens. "Als wir angetreten sind, wollten wir andere Landwirtschaft, wir wollten auch ein anderes Handeln. Wir wollten nicht irgendwelche Supermärkte auf der grünen Wiese." Heute gibt es sogar eine eigene internationale Biofachmesse. Seit Donnerstag (21.2.2008) treffen sich wieder Bio-Hersteller für vier Tage in Nürnberg.

Mehr Verkaufsfläche – mehr Erfolg


Sein kleiner Laden hat gegen die großen Ketten nun das Nachsehen – auf seinen 130 Quadratmetern kann er nur halb so viel anbieten, wie ein großer Bio-Supermarkt. Und hat deswegen viel eher das Nachsehen gegenüber den Bedürfnissen der Biokunden im Jahr 2008: "Der Kunde möchte da, wo er einkauft, alles bekommen, was er will", erklärt Andreas Gerber vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. "Deshalb profitieren vom Bio-Boom vor allem die Filialisten, die die Power haben neue, große Filialen zu gründen. Oder die Läden, die ihre Verkaufsfläche ausweiten können." Die Verkaufsfläche zu vergrößern, ist bei den kleinen Bioläden - meist in engen Wohngebieten platziert - aber oft nicht möglich.

Bio an jeder Ecke

Während Kunden früher weite Wege auf sich nehmen mussten, um Bioprodukte zu kaufen, gibt es diese heute außerdem in jedem Supermarkt. Neben den Bio-Supermärkten mit Komplettsortiment hat auch das fatale Folgen für die kleinen Ökoläden. "Es ist tatsächlich so, dass eine ganze Reihe von kleinen Bioläden schließen mussten", sagt Gerber.

Bio-Hänchenbrustfilest: Gerade bei Fleisch achten nach den Skandalen mit Gammelfleisch zunehmend Kunden auf die Qualität (Quelle: dpa)
Gerade bei Fleisch achten nach den Skandalen mit Gammelfleisch Kunden auf die QualitätBild: picture-alliance/ dpa
Bio ist gut fürs Image - von Laden und Kunde: Regale mit Bioprodukten im Supermarkt (Quelle: dpa)
Bio ist gut fürs Image - von Laden und KundeBild: picture-alliance/ dpa
Von links: frischer Knoblau, Möhren, Schlangengurken und Kartoffeln (Quelle: dpa)
Vitaminreich und ohne Schadstoffe soll das Gemüse seinBild: dpa



Erfolgsmodel Bio-Supermarkt

Während die Kleinen ihre Türen schließen, öffnen immer mehr große Bio-Supermärkte. 80 wurden allein 2007 in Deutschland eröffnet. Auch die Rewe-Gruppe – einer der größten Lebensmittelhändler Europas - ist auf diesen Zug aufgesprungen und bietet Bioprodukte in ihren Supermärkten an. Vor zwei Jahren eröffnete sie sogar ihre eigene Filialkette für Bioprodukte -"Vierlinden" heißt sie. Bisher gibt es zwar nur wenige Standorte, jährlich sollen allerdings zwei bis drei hinzukommen, sagt Unternehmenssprecher Andreas Krämer. "Wir wollen mit 'Vierlinden' weiter expandieren, denn die Marke lohnt sich auf jeden Fall – sowohl von den Erfahrungen her, die wir mit den Kunden machen, als auch vom Image her."

Bio fürs Image

Oft ist das Image, das mit Bio verbunden ist, für die Lebensmittelhändler wichtiger als der Gewinn. "Das ist sozusagen eine Art Werbemaßnahme, zur Kundenbindung. Und ich denke, dass manche Produkte, vor allem Dingen bei den Discountern, durch konventionelle Produkte querfinanziert werden", meint Gerber vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft.


So etwas könnte sich nur ein großes Unternehmen leisten. Trotzdem ist Bio auch bei den Discountern keine Mogelpackung. Das muss auch Kleinhändler Ralf Murmann zugeben. "Zum Teil sind es tatsächlich unsere Hersteller, die sich mit einer Zweitmarke bei Lidl, Aldi oder dm unterbringen. Darum kann man nicht sagen, dass es eine andere Qualität ist, die da verkauft wird."

Die Pioniere sind die Verlierer

Paradox findet er es trotzdem. Bio ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und er, der sich als Pionier der Bio-Bewegung sieht, ist der große Verlierer. "Die, die jetzt von Bio profitieren, sind die, die einst die Lebensmittel versaut haben – die Discounter im Lebensmittelhandel. Wegen denen haben wir überhaupt Bioläden gegründet", sagt Murmann.

In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob und wie es mit dem Bioladen in Bonn weitergeht. Zuversichtlich ist Murmann nicht gerade. In Berlin hat vor kurzem der älteste Bioladen Deutschlands geschlossen – auch ein Kleinbetrieb.

Aus reiner Überzeugung wird auch Murmann den Laden nicht weiter halten können, wenn seine neue Geschäftsidee nicht funktioniert: Seit Anfang des Jahres führt er in einer Ecke des Ladens ein kleines Kaffee. Aber diese Idee hatten die Bio-Supermärkte schon vor ihm.

Der andere Joghurt: mit Biomilch und im Mehrwegglas (Quelle: dpa)
Der andere Joghurt: mit Biomilch und im MehrwegglasBild: picture-alliance/dpa