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Sprache ist Identität

Helle Jeppesen24. Februar 2008

Kein Denken ohne Sprache, keine Identität ohne Worte. Ob Englisch, Russisch oder Bayerisch: Sprache ist Teil von Kultur - und ihr Erhalt maßgeblich für die Kulturenvielfalt. Daran erinnert das UN-Jahr der Sprachen 2008.

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Die Macht der Sprache
Sprache ist Macht - Aber auch Kultur und Identität

In der Sprache der Inuit auf Nord-Grönland werden Entfernungen nicht in Kilometern gemessen, sondern in "sinik“ - in "Schlaf“. Sprich: Wie oft musste ich schlafen, um von Punkt A nach Punkt B zu kommen. In einem Land mit widrigen Klima- und Wetterbedingungen machen Angaben wie "Kilometer“ oder "Stunde“ keinen Sinn. Das weiß, wer einmal drei Tage im Flughafen von Kangerlussuaq festsaß.

Quelle:DW
Trotz modernster Technik: die Inuit messen Entfernung in Schlaf, nicht in KilometernBild: DW-TV

Dies ist nur ein Beispiel für die Sprache als Spiegel von Kultur und Tradition. Sie gibt die Identität von Menschen wieder, ihre Traditionen und ihre Lebenswelt. Wenn Sprache verloren geht, geht auch unwiderruflich Kultur zu Grunde. Sprachliche Vielfalt sei Teil der biologischen Vielfalt, sagt Davyth Hicks. "Wenn Tier- oder Pflanzenarten verloren gehen, dann ist das schlecht für den Planeten." Hicks ist Chefredakteur von Eurolang, einem Nachrichtendienst für kleine europäische Sprachen. "Wenn wir unsere Sprachen verlieren und nachher nur noch mit Deutsch, Französisch, Englisch und Chinesisch da stehen, dann ist die Welt ein Stück ärmer."

Angst, die eigene Sprache zu sprechen

Um diese Sprachenvielfalt, diese Biodiversität der Kulturen, zu erhalten, haben die Vereinten Nationen das Jahr 2008 zum Internationalen Jahr der Sprachen erklärt. Denn eines ist klar: Die Sprachenvielfalt könnte verkümmern. Von den heute weltweit 7000 bekannten, gesprochenen Sprachen ist mehr als die Hälfte vom Aussterben bedroht. Auch wenn nur noch wenige Regierungen so brutal gegen Minderheitensprachen umgehen wie Australien. Er habe seine eigene Sprache nie wirklich gelernt, berichtet ein australischer Aborigine. "Traditionell war es den Aborigines untersagt, ihre eigene Sprache zu sprechen. Wenn sie erwischt wurden, konnten sie mit Prügel oder gar mit dem Tod bestraft werden. Ganz viele meiner Vorfahren wollten die alte Sprache nicht mehr sprechen. Sie hatten zu viel Angst."

Quelle: dpa
In der Schule lernen sie vor allem Englisch: Schülerinnen und Schüler in Sierra LeoneBild: picture-alliance/dpa/T. Schulze

Heute gehen die meisten Staaten mit Minderheitensprachen etwas milder um. Doch Kurdisch etwa wird immer noch nicht in Schulen in der Türkei unterrichtet. Viele Sprachen stehen vor dem Aussterben, bevor sie jemals niedergeschrieben werden konnten. Allein in Afrika gibt es rund 2000 Sprachen - aber in den meisten afrikanischen Ländern ist Englisch, Französisch oder Portugisisch die einzige offizielle Landessprache. Das wirkt sich auch auf die Zivilgesellschaft aus, denn Sprache, Herrschaft und Demokratie sind eng verquickt, betont der Sprachwissenschaftler Kofi Yakpo. "Wenn wir ein Land haben, in dem ausschließlich eine ehemalige Kolonialsprache verwendet wird, dann haben wir eine Situation, in der der Großteil der Bevölkerung vielleicht gar nicht wirklich partizipieren kann, gar nicht die Möglichkeit hat, sich selbst einzubringen, gerade auf der lokalen Ebene."

Die Sprache der Bevölkerung sprechen

Auch in der öffentlichen Informationspolitik müssen die Lokalsprachen eine immer größere Rolle spielen, so die Forderungen heute. Wie will man zum Beispiel über Aids aufklären, wenn Kampagnen eine Sprache benutzen, die nur von der Hälfte der Bevölkerung verstanden wird ?

Beispiel Indien. Hindi ist zwar - zusammen mit Englisch - die offizielle Bundessprache, wird jedoch nur von 40 Prozent der Bevölkerung gesprochen. Allein 600 Bergvölker in Indien sprechen Sprachen, die nicht in der Schule gelehrt werden. Und auch von den rund 400 indischen Kommunikationssprachen werden nur 60 in der Schule unterrichtet.

Ein guter Job oder die eigene Sprache

Stadtansicht Peking, Quelle: AP
Wer in Peking arbeiten will kommt ohne Mandarin-Kentnisse nicht weitBild: AP

In der Volksrepublik China gibt es mindestens sieben spezifische Sprachgruppen mit mehr als 130 unterschiedlichen Dialekten, doch seit den 1950er Jahre ist Mandarin, oder Putonghua, die offizielle Sprache. Dabei können nur gut die Hälfte der 1,3 Milliarden Chinesen Mandarin sprechen. Viele Dialekte werden wahrscheinlich nach und nach aussterben. Denn ohne Mandarin-Kentnisse bekommt man keinen guten Job, betont Beatrice Kaldun vom UNESCO-Büro in Peking. "Viele Eltern, die ihren Kindern einfach bessere Karrieremöglichkeiten und eine bessere Ausbildung ermöglichen wollen, werden das viel wichtiger finden als ihre eigene Minderheitensprache."

Die Befürchtungen vieler Experten decken sich mit den Erfahrungen von Beatrice Kaldun. Doch auf der anderen Seite gibt es auch positive Zeichen für ein neues Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen Sprache, Kultur und Identität. So werden heute etwa auch Texte in Sprachen geschrieben, die früher nur mündlich überliefert wurden. Und genau diesen Ansatz will das UN-Jahr der Sprachen verstärken, es will das Bewusstsein für die Einzigartigkeit und den Wert der Sprachenvielfalt zu wecken.