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Vesselina Kasarova - „Ich brauche nicht den größten Applaus“

25. Januar 2008

Vesselina Kasarova am 3. Februar und am 17. Februar 2008 jeweils um 21.05 Uhr MEZ.

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Vesselina Kasarova, SängerinBild: Sonybmg, Foto: Marco Borggreve

Werner Pfister Vesselina Kasarova, wenn ich richtig gezählt habe, singen Sie mittlerweile seit 18 Jahren.

Vesselina Kasarova Eigentlich sind es bereits 20 Jahre, wenn Sie die beiden Jahre in Bulgarien noch hinzunehmen. Aber für mich zählen die nicht.

WP Gab es im Lauf dieses langen künstlerischen Werdegangs irgendwann einmal einen Moment, wo Sie dachten: Jetzt möchte ich nicht mehr weitermachen?

VK Ja, nach der Geburt meines Sohnes. Da war ich in einem großen Dilemma. Sollte ich weitermachen, sollte ich mich ganz meiner Familie widmen? Was erwarte ich vom Leben? Das waren schwierige Fragen, denn eigentlich bin ich ein familiärer Mensch, und deshalb ist der Sängerinnenberuf für mich ein Paradox. Sicher, ich liebe die Bühne, ich liebe die Musik, und ich habe auch keine Angst vor den Auftritten. Aber ich bin nicht eine, die stets im Mittelpunkt stehen muss. Bei einer Vorstellung erwarte ich nicht automatisch, dass ich den größten Applaus bekomme; das interessiert mich nicht. Wichtig für mich ist einzig, dass ich das Publikum nicht enttäusche. Darüber hinaus aber bin ich eher ein scheuer Mensch, und ich bin zum Beispiel froh, wenn man mich auf der Straße nicht erkennt.

WP Wie bringen Sie heute die Mutterrolle mit Ihren anderen Rollen auf den Opernbühnen in Einklang?

VK Ich glaube nicht, dass ich wirklich eine gute Mutter bin. (Denkt lange nach.) Ich wollte unbedingt Mutter werden. Und ich bin sehr dankbar dafür. Aber die Probleme stellen sich ja erst nachher ein.

WP Welche Probleme stehen heute im Vordergrund?

VK Seelische.

WP Nicht primär organisatorische – wie man Kind und Karriere unter einen Hut bringt?

VK Nein, in dieser Hinsicht bin ich sehr verwöhnt. Ich habe einen Mann, der mir in allem hilft, der sich zu Hause um alles kümmert. Wir sind seit 1992 verheiratet, und er hat mir als Mensch enorm viel gegeben, zumal ich privat eher ein unsicherer Mensch bin. Ich war jetzt gerade für vier Wochen in Paris engagiert und konnte meine Familie in dieser Zeit nie sehen. Glauben Sie mir, das ist etwas, was man mit Worten gar nicht beschreiben kann. Manchmal frage ich mich: Ist das der Preis dafür? Soll ich das Ganze überhaupt noch weitermachen?

WP Was ist das Geheimnis, dass Sie Ihre Stimme über bald zwei Jahrzehnte derart elastisch und fit halten konnten?

VK Das Wichtigste ist das Piano – crescendo und decrescendo, das dynamische Jonglieren mit der Stimme. Wenn ich das nicht mehr kann, dann mache ich etwas falsch. Ich will die Kontrolle über meine Stimme behalten können. Es darf nicht sein, dass mir die Stimme vorgibt, was sie will. Meine Stimme muss machen, was ich möchte. Ich bin ein sehr intuitiver Mensch. Intuition, so wie ich sie verstehe, ist immer auch Intelligenz. Entsprechend lernt man von seinen eigenen Fehlern und macht sich Gedanken darüber. Sich Zeit lassen ist wichtig für mich.

WP Dennoch gehen Sie auch Wagnisse ein, sangen beispielsweise in einer einzigen Spielzeit am Zürcher Opernhaus Monteverdi, Mozart, Rossini und den Oktavian im „Rosenkavalier“. Geht bei so viel unterschiedlichem Repertoire die Stimme nicht irgendwann kaputt?

VK Ich habe meinen ersten Oktavian erst mit 39 Jahren gesungen. Wenn jemand sich kaputt gemacht hat, dann waren es jene Sängerinnen, welche die Rolle bereits mit 25 sangen. Zudem bin ich mit dieser Partie sehr vorsichtig. Ich habe sie bislang nur in Zürich und in einem Japan-Gastspiel des Zürcher Opern­hauses gesungen und weiß gar nicht, ob ich sie noch einmal aufnehmen werde. Überhaupt der ganze Richard Strauss – den Komponisten in „Ariadne“ habe ich nie gesungen, erst recht nicht die Färberin in „Frau ohne Schatten“, das muss nicht sein. Dort, wo die Stimme in Richtung Sprechgesang geht, gefällt es mir nicht mehr.

WP Wie viele Opernauftritte muten Sie sich heute pro Saison zu?

VK Um die fünfzig.

WP Kann man davon leben?

VK Ich kann mich über meine Gagen nicht beklagen. Auch diesbezüglich lebe ich nach der Devise: Nicht stets noch mehr und noch mehr wollen, sondern jenes Niveau, das man erreicht hat, auf möglichst lange Zeit hinaus beibehalten. Zudem lebe ich vernünftig. Ich muss mir nach einer Vorstellungsserie nicht einen Schmuck für 100.000 Franken kaufen; das brauche ich wirklich nicht. Ich habe einen Sohn, und ich möchte, dass er es später einmal gut hat. Er muss nicht ein Sängerstar oder ein Professor werden, aber er soll seine Interessen im Leben verwirklichen können. Eigentlich mache ich das Ganze für ihn – auch für mich und meinen Mann, aber vor allem für meinen Sohn.

* Das vollständige Interview lesen Sie in FONO FORUM 2

Biographie

Vesselina Kasarova stammt aus Stara Zagora (Bulgarien), erwarb das Konzertdiplom als Pianistin und studierte darauf an der Musikakademie von Sofia Gesang. 1989 wurde sie für zwei Jahre Ensemblemitglied am Opernhaus Zürich. Ihre Debüts als Annio („La clemenza di Tito“) bei den Salzburger Festspielen 1991 und kurz darauf als Rosina („Il barbiere di Siviglia“) an der Wiener Staatsoper eröffneten ihr eine internationale Karriere. Seither gastiert die ausgewiesene Mozart- und Belcanto-Spezialistin an allen großen Bühnen und Festivals in Europa und in den USA. Ihre CD-Einspielungen wurden mehrfach ausgezeichnet. Zu den Verpflichtungen dieser Saison zählen „Alcina“ an der Opéra de Paris, „Ariodante“ in München, „Il barbiere di Siviglia“ an der Dresdner Semperoper, „La clemenza di Tito“ am Teatro Real Madrid sowie „Carmen“ in Zürich. Vesselina Kasarova ist Bayerische Kammersängerin und erhielt letztes Jahr den Münchner Theaterpreis.

CD-Hinweis

Offenbach, Arien (Live-Mitschnitt aus München); Münchner Rundfunkorchester Schirmer; Sony BMG (Februar 2008)