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In Geiselhaft

José Ospina-Valencia 3. Januar 2008

Rund 3000 Geiseln hat die kolumbianische Guerilla FARC in ihrer Gewalt. Ulrich Künzel, ehemaliger Mitarbeiter des Entwicklungsministeriums, der 2001 selbst von der FARC entführt wurde, schildert seine Erfahrungen.

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Ulrich Künzel nach seiner Befreiung 2001, Quelle: dpa
Ulrich Künzel nach seiner Befreiung 2001Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

DW-WORLD.DE: In diesen Tagen sollten einige der Geiseln befreit werden. Dazu es ist aber leider nicht gekommen. Was empfinden Sie, wenn Sie solche Nachrichten hören?

Ulrich Künzel: Ich kann mir denken, dass die Geiseln, denen man signalisiert hat, dass sie bald freikommen, furchtbar enttäuscht sein müssen. Sie müssen einen furchtbaren Stress spüren in der Ungewissheit, ob sie bald frei kommen oder nicht. Ich weiß es aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn man einmal gehört hat, dass die Freilassung geplant wird. Dann kommt einem die Zeit viel länger vor, als sie in einer Geiselhaft sowieso schon ist.

Sie wurden im Juli 2001 entführt …

Ich war unterwegs, um ein Entwicklungsprojekt im Südwesten Kolumbiens zu besuchen. Meinen Bruder und meinen Freund hatte ich auch im Auto, als uns eine Gruppe Bewaffneter den Weg versperrte und uns wegbrachte. Zunächst wussten wir aber nicht, wer die Entführer waren. Erst nach etwa drei Wochen hörten wir im Radio, dass sich ein hoher Kommandant der FARC zur Entführung bekannt hatte.

Wie wichtig war für Sie die Berichterstattung über Ihre Entführung?

Das Radio war sehr wichtig. Wir konnten die Deutsche Welle hören - zunächst wegen der Bundesliga-Ergebnisse. Aber wir konnten auch die Nachrichten hören. Die Deutschen Welle war so unsere einzige Verbindung zur Außenwelt.

Wie wichtig war das für Sie?

Es war äußerst wichtig. Sie müssen sich vorstellen: Ich war drei Monaten in Geiselhaft und hatte während dieser Zeit kein einziges Schriftstück zu lesen bekommen. Das Radio war das einzige Medium, das uns zur Verfügung stand um etwas zu erfahren. In der Zeit, in der wir Gefangene waren, passierten die Attentate des 11. Septembers 2001. Ich habe erst in November Bilder davon gesehen, aber dank des Radios hatten wir gehört, was in New York und Washington passiert ist.

Welchen Hintergrund hatte Ihrer Entführung?

Sie wollten eigentlich nur mich entführen, weil die FARC wusste, dass ich in der Gegend arbeitete. Mein Bruder und mein Freund sind tragischerweise verwickelt worden, weil uns die Guerilla-Gruppe bei dem Überfall nicht auseinander halten konnte.

Warum wurden ausgerechnet Sie zum Ziel der FARC?

Ich war im ganzen Südwesten Kolumbiens unterwegs, weil wir viele kleine Entwicklungsprojekte betreuten: Es gab zum Beispiel Gebiete, die ich nur mit Erlaubnis der FARC betreten konnte. Die Guerilla wusste also, dass ich da war, aber sie konnten sich keine Vorstellung meiner Arbeit machen. Ich musste also für die FARC in einem Schulheft die deutsche Entwicklungszusammenarbeit beschreiben. Die Guerilla wollte anscheinend wissen, ob Deutschland verdeckte Militärhilfe an Kolumbien leistete. Daraufhin haben sie gefordert, Deutschland solle die Zusammenarbeits-Abkommen gefälligst mit der FARC und nicht mit der Regierung abschließen.

Die FARC wollte also als Institution der Entwicklung und des Fortschritts wahrgenommen werden?

Das kann man sagen. Inzwischen hat aber die Politik des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe zu einer starken territorialen Eingrenzung der FARC geführt. Damals konnte man von Gebieten sprechen, wo der Staat überhaupt nicht mehr präsent war. Damals gab es viele Gemeinden, wo es nicht mal einen Polizisten gab.

Sie meinen es hat sich in der Politik gegenüber der FARC etwas geändert?

Heute können die Leute die Landstraßen wieder benutzen, die Leute können wieder in Urlaub gehen. Die Anzahl der Entführungen ist stark zurückgegangen. Damit ist aber das Problem der FARC längst nicht gelöst. Die Situation Kolumbiens hat sich in den letzten fünf Jahren aber bedeutend gebessert.

Was würden Sie den Menschen raten, die in Geiselhaft sind?

Ich würde ihnen sagen: Ihr müsst alles tun, um durchzuhalten. Ihr müsst Euch beschäftigen - mit einfachen Tischspielen zum Beispiel. Ihr müsst lesen, wenn das geht. Ihr müsst den Kopf intakt halten. Das ist der einzige Rat den ich den Entführten geben kann.

Sie haben nach Ihrer Rückkehr die Website farc.de eingerichtet. Weshalb?

Auf der Seite erscheinen Informationen, Meldungen und Nachrichten auf Deutsch, die das Problem der Entführungsindustrie behandeln. Wir wollen damit einen kleinen Beitrag leisten, dass hier im deutschsprachigen Gebiet Menschen, die über Kolumbien nicht so gut informiert sind, nicht in dem Irrtum verfallen, bei der FARC handele sich um eine Befreiungsbewegung, die gegen eine Diktatur ankämpft. Kolumbien ist wohl ein Land mit großen Ungerechtigkeiten, aber Kolumbien ist keine Diktatur. Es ist ein Märchen, dass hier eine Diktatur beseitigt werden soll. Die FARC ist eine Entführer-Gruppe und Kolumbien keine Diktatur.