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Wer foult, verliert

Petra Lambeck29. November 2007

"Alle spielen, alle gewinnen" - so das Motto des zweiten südamerikanischen Straßenfußballtreffens in Paraguay. 100 Jugendliche aus elf Ländern spielen hier Fußball. Nach Regeln, die sie vor jedem Spiel neu aushandeln.

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Jugendliche Fußballspieler in Paraguay
Das zweite südamerikanische Straßenfußballturnier kann beginnenBild: DW Petra Lambeck

Es gibt keine Elfmeter, man darf nicht grätschen und die Tore zählen von überall - abseits gibt es nicht. Soweit ist sich die Gruppe bereits einig. Die Jugendlichen sitzen im Schatten eines Baumes auf dem Boden und diskutieren die Spielregeln. Die Verständigung ist nicht ganz einfach. Die einen kommen aus Brasilien und sprechen portugiesisch, die anderen kommen aus Peru und sprechen spanisch. Doch mit Hilfe von Handzeichen und vielen Wiederholungen versteht man sich irgendwie. Und nach knapp zehn Minuten kann das Spiel beginnen. Auch die Mannschaften auf den Plätzen nebenan sind bereit. Das Thermometer zeigt 30 Grad, vergleichsweise kühl für diese Jahreszeit, sagen die Paraguayer.

Es geht nicht primär um Fußball

Fußballspieler sitzen im Kreis und besprechen die Regeln
Straßenfußball hat drei Teile: Im ersten legen die Spieler die Regeln festBild: DW Petra Lambeck

Eine Woche lang sind die Jugendlichen hier zusammen, auf dem Gelände des Olympischen Komitees in Asunción in Paraguay. Hier wohnen, essen und spielen sie. Ermittelt werden soll der südamerikanische Straßenfußballmeister 2007. Die Teilnehmer sind zwischen 16 und 22 Jahren alt. Viele kommen aus eher armen Regionen und für die meisten ist es die erste Reise in ein fremdes Land. Doch es geht hier nicht primär um Fußball, sagt Luis Ramírez. Er ist der Koordinator des Südamerikanischen Straßenfußballnetzes und zusammen mit seiner Organisation "Zentrum für die Entwicklung der Intelligenz" Ausrichter der Meisterschaft. Straßenfußball ist nicht nur ein Sport, sagt er. Es ist eine Methode, bei der die Kinder lernen selbständig zu agieren. Sie müssen unter sich die Regeln aushandeln, es gibt keinen Schiedsrichter und Jungen und Mädchen spielen immer zusammen. Außerdem entscheidet nicht allein die Anzahl der Tore wer gewinnt, es gibt zusätzlich Punkte für Fairplay und soziales Verhalten.

Streetfootball Paraguay 2007
Gemeinsame Aktivitäten zum Kennenlernen: Teppich-BasketballBild: DW Petra Lambeck

Die Partie zwischen Peru und Brasilien beispielsweise ist zunächst 0:0 ausgegangen. Nach dem Spiel, das eine gute Viertelstunde dauert, sitzen die Mannschaften wieder unter dem Baum zusammen und besprechen, ob sie die Regeln eingehalten haben und welche Mannschaft Sozialpunkte bekommt. Wer hat gefoult, wer hat wem ausgeholfen, wurde fair gespielt? Was ist Fairness überhaupt? Das sind Fragen, die bei solchen Diskussionen aufkommen. Und das ist genau das Ziel, sagt Luis Ramírez.

Eine Methode auch für deutsche Kinder

Streetfootball Paraguay 2007
Zu Beginn der Woche schreiben die Jugendlichen ihre Erwartungen aufBild: DW Petra Lambeck

Carola ist 21 Jahre alt und kommt aus einem Vorort von Buenos Aires in Argentinien. Seit drei Jahren spielt sie Straßenfußball und ihr Blick auf die Welt habe sich seitdem verändert, sagt sie. Früher habe sie sich nie Gedanken gemacht über ihr Leben, über ihre Zukunft, über die Situation in ihrem Viertel. Erst bei den Diskussionen vor und nach dem Spiel entwickelte sie genug Selbstvertrauen, um ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken und Dinge zu hinterfragen. Unter anderem auch ihr Leben. Inzwischen jobbt sie nicht mehr nur beim Kiosk um die Ecke, sondern macht eine Ausbildung zur Kindergärtnerin und trainiert nebenbei die Jüngeren in ihrer Organisation.

Streetfootball Paraguay 2007
Man versteht sich auch ohne SpracheBild: DW Petra Lambeck

Ähnliches erzählt die 17jährige Jessica aus Deutschland. Auch sie nimmt an den südamerikanischen Meisterschaften teil, zusammen mit ihrem Verein "Kick Fair" aus Ostfildern in der Nähe von Stuttgart. Sie sind als Ehrengäste eingeladen, denn "Kick Fair" kooperiert seit einigen Jahren mit sozialen Organisationen in Argentinien und in Paraguay, die ebenfalls hier sind. "Die Leute sind oft überrascht, wenn wir erzählen, dass wir in Deutschland auch Straßenfußball spielen", sagt Steffi Biester, eine der Gründerinnen des Vereins. Doch auch in Deutschland gibt es Entwicklungsprobleme.

Vielen Jugendlichen, besonders an den Hauptschulen, fehlt es an Perspektiven. Und da geht es dann genauso wie in Paraguay oder Argentinien darum, die Jugendlichen dazu zu bringen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich nicht mit der Situation abzufinden. Im Fall von Jessica ist das geglückt. Sie hat mit Straßenfußball angefangen, als sie zehn Jahre alt war. Zwei Jahre später schon half sie mit, Turniere zu organisieren und heute betreut sie den Nachwuchs - alles nebenbei. Die Schule hat sie abgeschlossen, jetzt macht sie ein freiwilliges soziales Jahr in einer Kinderwerkstatt.

Die Straße ist Treffpunkt für alle

Streetfootball Paraguay 2007
Afrikanische Ballkünste in der Pause zwischen den SpielenBild: DW Petra Lambeck

Neben Spanisch, Portugiesisch und Deutsch hört man auf den Fußballplätzen auch afrikanische Stimmen. Drei Mädchen und drei Jungen sowie drei Koordinatoren aus Südafrika sind ebenfalls zu den Meisterschaften eingeladen. Man will sich kennen lernen und Erfahrungen austauschen. Südafrika richtet 2010 das nächste Straßenfußball-Festival aus, parallel zur Fußballweltmeisterschaft der FIFA. Vier Jahre später ist Brasilien dran. Da ist es nützlich, frühzeitig Kontakte zu knüpfen. Afrika will zudem ebenfalls ein Netzwerk von Organisationen gründen, die Jugendförderung durch Fußball vorantreiben, so wie es in Südamerika bereits existiert.

An den ersten Tagen des Turniers wird auf den Wiesen außerhalb der Stadt gespielt. Publikum gibt es nicht. Doch das soll sich zum Ende der Woche ändern. Das Finale findet in der Avenida Mariscal López statt, der Hauptstraße von Asunción. "Wir wollen den Leuten zeigen, was wir tun", sagt Luis Ramírez. "Und außerdem wollen wir die Straße zurück erobern. Die Straße ist ein öffentlicher Ort, an dem man sich aufhalten kann, wo man sich trifft und zusammen lebt. Man muss sich nicht in seinem Haus einschließen. Das wollen wir vermitteln."