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Parallelwelten

Georgi Papakochev4. Dezember 2007

Mit einer 1,3 Kilometer langen Mauer soll das Roma-Viertel in Bulgariens Hauptstadt Sofia geschützt werden. Kritiker fürchten jedoch eine Verschärfung der ohnehin schon vorhandenen ethnischen Spannungen.

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Sofias Stadtviertel 'Fakulteta', Foto: AP
Am Rand von Stadt und Gesellschaft: Die Roma-Siedlung in SofiaBild: AP

Vier Meter soll sie hoch sein, insgesamt 1300 Meter lang und aus Pressgummi: Eine Mauer soll die Bewohner des Roma-Viertels der bulgarischen Hauptstadt Sofia vor dem gefährlichen Überqueren der Eisenbahnlinie schützen. Und sie soll verhindern, dass die Züge mit Gegenständen beworfen werden und das Umfeld zur illegalen Müllhalde wird. Menschenrechtler in Sofia vermuten jedoch eine andere Absicht hinter den Mauer-Plänen: Ein neues Ghetto zu schaffen und die Roma von den Nachbarn in den umliegenden Wohnblöcken vollständig zu isolieren.

Auch Ivaylo ist dieser Verdacht schon gekommen: Er ist einer von den 35.000 Roma, die in der Stadt wohnen: "Ich wohne unmittelbar neben der geplanten Mauer und ich bin dagegen. Wie soll ich das meinen beiden Kindern, wenn sie groß werden, erklären?", fragt er. "Was soll ich ihnen sagen, wenn sie Freunde nach Hause einladen wollen und die sehen die Mauer? Die anderen Kinder werden nicht mit ihnen zusammen sein wollen", befürchtet er.

Sofias Stadtviertel 'Fakulteta', Foto: AP
90 Prozent der Roma leben in Armut, 80 Prozent sind arbeitslosBild: AP



Kommunistisches Erbe

Die Isolierung der Roma ist ein Erbe des totalitären kommunistischen Regimes in Bulgarien. Nach der Wende 1989 waren die Probleme der Bulgaren so vielfältig und kompliziert, dass diese ethnische Gruppe vom Staat unbeachtet blieb. Internationale Organisationen wie Open Society, die Weltbank, die Europäische Union und andere Institutionen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Roma in Bulgarien - 400.000 nach offiziellen und 800.000 nach inoffiziellen Angaben - in bitterer Armut leben, keinen Zugang zu Bildung und keine Chancen auf politische, wirtschaftliche oder soziale Integration haben. 80 Prozent von ihnen sind arbeitslos.

In den letzten 17 Jahren wurden etliche Millionen Euro in verschiedene Programme und Projekte investiert, um die Lage der Roma zu verbessern - jedoch ohne Erfolg. Die Verantwortung dafür liegt in erster Linie beim Staat, der keine langfristige und nachhaltige Politik in dieser Frage verfolgt.

Die Minderheit wird mehr

Bei der letzten Bevölkerungszählung in Bulgarien wurde festgestellt, dass alle ethnischen Gruppierungen geschrumpft sind und nur die Roma einen Zuwachs von 57.000 zu verzeichnen hatten. Und dieser Trend könnte weitergehen, vermutet die Historikerin und Vorsitzende des Internationalen Zentrums für Minderheitenforschung Antonina Scheljaskova: "Bei der nächsten Bevölkerungszählung 2010 oder 2011 werden sich noch Tausende bulgarische Bürger mehr zur Roma-Minderheit bekennen, da sie sich ihrer Bedeutung als europäische Minderheit bewusst geworden sind."



"Jahrzehnt der Roma-Eingliederung"

Bereits vor zweieinhalb Jahren ist das "Jahrzehnt der Roma-Eingliederung" ausgerufen worden. Unter dem Druck der Europäischen Union, der Bulgarien seit Jahresbeginn 2007 angehört, wurden zahlreiche Projekte zur Integration der Roma auf den Weg gebracht. Doch die Vorurteile konnten nicht vermindert werden, stellt Scheljaskowa fest. Im Gegenteil. Die neue Förderung lässt die slawischen Bulgaren immer lauter klagen, die Roma stünden "über dem Gesetz".

Als Reaktion ist in drei Städten jetzt eine nationalistische "Garde von Freiwilligen" gegründet worden. Zwar steckt die noch in den Kinderschuhen und umfasst in Sofia erst 30 bis 35 Mann samt Ablegern in der zweitgrößten Stadt Plowdiw sowie im südöstlichen Jambol und im mittelbulgarischen Weliko Tarnowo. Selbst gestecktes Ziel ist der "Schutz des Lebens, des Eigentums und der Familien der Bürger" vor dem "Terror der Zigeuner". Dass die Uniformen der Radikalen an die der Hitler-Jugend erinnern, ist möglicherweise auch kein Zufall.

Parallelwelten in Bulgarien

Ein bulgarischer Roma will seine Familie mit einer Mistgabel in der Hand in einem Vorort von Sofia vor Übergriffen schützen (Archiv), Foto: dpa
Immer wieder kommt es zu gewaltsamen AuseinandersetzungenBild: picture-alliance/ dpa
Die 'Miss Roma-Wahlen' in Sofia, Foto: AP
Die Roma leben in ihrer eigenen Welt: Die Miss Roma-Wahlen in SofiaBild: AP

"Es sind zwei parallele Welten", beschreibt Scheljaskowa das gestörte Zusammenleben der Roma mit den slawischen Bulgaren. Es gebe "einen permanenten Nährboden für Spannungen", sagt sie. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu gewaltsamen Zusammenstößen. "Es hat immer Feindseligkeiten zwischen den Roma und den anderen ethnischen Gruppen in Bulgarien gegeben - sie wurden durch Vorurteile verstärkt." Dementsprechend fiel auch eine Medienbefragung unter 118 Bulgaren zur geplanten Mauer-Errichtung aus: 108 waren dafür und nur 9 dagegen.

Dennoch ist Ivaylo entschlossen: "Unsere Leute sollten das nicht hinnehmen und offen rebellieren", fordert er.