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"Balkan und Türkei brauchen baldige EU-Beitrittsperspektive"

15. November 2007

Lale Akgün, stellvertretende europapolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, hat vor einer einseitigen Anerkennung des Kosovo gewarnt. Zudem sprach sie über den EU-Beitritt des Westbalkan und der Türkei.

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Plädoyer für zügigen AufnahmeBild: SPD

DW-Südosteuropa: Am 10. Dezember steht möglicherweise eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo auf der Agenda. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Lale Akgün: Sehr schwierig. Ich glaube, eine einseitige Anerkennung Kosovos ohne die Einbeziehung der weiteren Akteure in der Region – das ist für mich nicht nur Serbien, das ist auch Mazedonien, Bosnien, aber auch Albanien: ohne ein Gesamtkonzept für das ehemalige Jugoslawien wird eine einseitige Anerkennung zu mehr Problemen führen, als dass sie Probleme lösen könnte. Ich fürchte sogar, dass eben weitere Auseinandersetzungen bewaffneter Art entstehen könnten. Deswegen kann ich eigentlich nur immer wieder meine Skepsis äußern und zur größten Umsicht raten. Ich glaube, Kosovo ist keine Insel auf dem Balkan, sondern der Balkan ist nur als Gesamtes zu sehen und zu behandeln. Erstens, die Akteure auf dem Balkan kennen sich mehr und besser, als wir das von außen jemals könnten. Sie leben schon seit Jahrhunderten zusammen. Man kennt sich. Man weiß um die Schwächen des anderen, um seine Stärken. Und zum zweiten ist es so, dass jeder Eingriff von außen durchaus instrumentalisiert wird von den Akteuren vor Ort. Deswegen halte ich es immer wieder für ganz wichtig, dort alle Akteure am Tisch zu haben und nicht die Interessen einer Gruppe über die Interessen der anderen Gruppen zu stellen. Das könnte sich dann für uns sehr zum Nachteil auswirken.

Thema Nordirak – was glauben Sie, welche Auswirkungen könnte ein militärisches Vorgehen der Türkei im Nordirak auf die EU-Beitrittsperspektive des Landes haben?

Abgesehen davon, dass ein militärischer Eingriff im Irak die Probleme der Türkei mit der PKK nicht lösen würde, ist das ein ganz weites Thema. Ich glaube, und die Türkei weiß das auch, dass natürlich ein militärisches Eingreifen der Türkei Wasser auf die Mühlen der Türkei-Gegner in der EU wäre, die das sofortige Einfrieren der Beziehungen und der Verhandlungen verlangen würden. Die Türkei würde sehr viel an Terrain verlieren und sich in eine Isolation stürzen, die ihr sehr schaden würde. Deswegen kann man die Türkei nur davor warnen, militärisch im Irak vorzugehen.

Wie schätzen Sie als Beobachterin der EU-Politik, auch der Erweiterungspolitik, die aktuelle Stimmung ein? Werden diejenigen Länder, die jetzt noch in der Schlange stehen, um der Union beizutreten, länger warten müssen, als es die bisherigen Beitrittskandidaten getan haben, zuletzt Rumänien und Bulgarien?

Ich fürchte ja. Ich glaube, wenn man mit bestimmten Kriterien der EU misst, was Rechtsstaatlichkeit, Innenpolitik, Justiz usw. angeht, dann waren einige Kandidaten die beigetreten sind, noch nicht so weit,. Aber die Entscheidungen waren politischer Natur. Ich denke, es war richtig, diese Länder aufzunehmen. Leider wird es in den nächsten Jahren so sein, dass die Entscheidungen eben nicht nur rein politischer Natur sein werden, sondern dass man durchaus auch auf die strukturelle Veränderung im Land schauen wird. Ich würde mir für die EU und das friedliche Zusammenleben wünschen, dass man jetzt zügig auch Kroatien, die weiteren Balkanländer und die Türkei aufnimmt und dann einen Schlussstrich zieht und sich dann für die Konsolidierung der EU stark macht. Aber ich fürchte, die EU wird sich jetzt bei der Aufnahme der nächsten Kandidaten sehr viel mehr Zeit lassen. Dies wird wiederum ohne eine echte Perspektive für die EU auf dem Balkan zu weiteren Problemen führen. Also da kann ich nur an die EU nur appellieren: Eure Politik der politischen Entscheidung, nicht der strukturellen, der politischen Entscheidung solltet ihr auf dem Balkan auf jeden Fall fortsetzen und diesen Ländern eine baldige Perspektive zur Verfügung stellen.

Das Interview führte Verica Spasovska, DW-Südosteuropa