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Mindestlohn und Energie

Das Gespräch führte Alexander Kudascheff15. September 2007

Die Linke hat immer mehr Zulauf. "Man muss sich mit den Menschen unterhalten", meint ihr Mitvorsitzender Oskar Lafontaine. Im DW-Gespräch äußert er sich über Mindestlohn, Atomenergie und Afghanistan.

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Porträtbild von Oskar Lafontaine (Quelle: AP)
Von der Zustimmung aus der Bevölkerung beflügelt: Oskar Lafontaine.Bild: AP

Deutsche Welle: Herr Lafontaine, sie waren gerade in Kuba. Kann eigentlich ein deutscher Sozialist etwas von Fidel Castro lernen?

Oskar Lafontaine: Sozialismus heißt immer für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eintreten. Die Frage wie man eine Gesellschaft gestaltet, ist in jedem Land unterschiedlich. Insofern wird ein Sozialist in Europa immer andere Antworten geben als jemand in Südamerika. Das gilt nicht nur für Kuba, sondern das gilt auch für Venezuela oder Bolivien oder auch für Chile oder Argentinien, wo überall Staatsmänner am Werke sind, die sich auf Sozialismus berufen. Insofern gibt es keine eindeutigen Antworten.

Die Mehrheit der Deutschen, so sagen Umfragen, fühlt und denkt links - wobei links nicht ganz genau bestimmt ist - beflügelt sie das?

Das beflügelt uns selbstverständlich, insbesondere diese ungewöhnliche Ausnahmesituation, dass jetzt in der Sommerpause eine ganze Reihe von Untersuchungen ergaben, dass die politischen Themen, die konkreten Forderungen unserer jungen, neuen Partei der Linken von der großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden. Das heißt ja mit anderen Worten, dass die mit uns konkurrierenden Parteien eine Politik machen, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen wird.

Was sind das für Ideen und Themen?

Das sind ganz einfache, verständliche Ideen und Themen, man braucht gar nicht in philosophische Höhen zu fliegen, sondern man muss sich mit den Menschen unterhalten. Ein Thema ist ein gesetzlicher Mindestlohn. Die Frage, welchen Lohn ein Mensch in einem Industriestaat haben muss, um sich ernähren zu können. Hier schlagen wir seit langem vor uns an Frankreich zu orientieren. Dort werden derzeit 8,44 Euro als gesetzlicher Mindestlohn gezahlt und wir sagen - und das ist ja unwiderlegbar -: Was in Frankreich geht, geht in Deutschland auch. Leider sperrt sich insbesondere die CDU gegen diese humane Regelung.

Der Mindestlohn ist eine Debatte die auch durch den Druck, den die Globalisierung auf die deutsche Wirtschaft ausübt, entstanden ist. Ist die Globalisierung für sie national beherrschbar?

Sie war nie national beherrschbar. Es ist auch ein Ammenmärchen zu sagen, die Globalisierung sei irgendetwas Neues. Die gab es schon in früheren Jahrhunderten, natürlich in unterschiedlicher Form. Es war immer so, dass bestimmte Produkte in anderen Ländern eher hergestellt werden können als bei uns. Die Antwort auf die Globalisierung ist eine hohe Produktivität, hier sollten wir den Ausweg suchen und Deutschland ist da ja gut vorangekommen. Die Antwort auf die Globalisierung sind nicht Hungerlöhne wie in einem Land, wo man vielleicht noch für zwei Euro arbeiten und leben kann. In einem Industriestaat geht das aber nicht. Es ist einer der größten Irrtümer, die ja auch dadurch entlarvt werden, dass eben für Manager die Globalisierungsregel nicht gilt. Die Globalisierung führt bei Managern zu gewaltigen Steigerungen ihrer Gehälter, bei den Arbeitnehmern zu Lohndrückerei. Irgendwo stimmt das mit der Logik nicht überein.

Sozialismus ist traditionell natürlich auch die Verstaatlichung zumindest von Schlüsselindustrien. Treten sie für die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien in Deutschland ein?

Nicht notwendigerweise Verstaatlichung, sondern das ist eine gesellschaftliche Verantwortung. Das heißt zum Beispiel im Energiesektor sind wir die einzige politische Kraft, die für eine kommunale Verantwortung - also eine ortsnahe Verantwortung - der Energieerzeugung eintreten, soweit dies denn geht. Stromerzeugung ist ortsnah zu machen, mit dezentralen Turbinen und Kraftwerken. Beim Gas ist das schon wieder etwas anderes, aber wir sind für eine ortsnahe Daseinsfürsorge, soweit dies geht, und das ist dann Kommunalisierung.

Alle reden zurzeit über die Klimapolitik, die Atomenergie ist in Deutschland kein Thema. Sie waren immer ein Gegner der Atomenergie, bleibt es dabei?

Ich war - da ich Physiker bin, muss ich exakt sein - nicht ein Gegner der Atomtechnik, also ich hatte nichts gegen Ziffernblätter der Uhr oder nichts gegen Röntgenstrahlen, aber ich bin gegen die Stromerzeugung in der jetzigen Form aus Atomenergie - ich übernehme mal diesen Begriff -, schlicht und einfach deshalb, weil wir keine Antwort haben, wo die Abfälle entsorgt werden. Bis zum heutigen Tage ist da keine Antwort. Und die Atomenergie ist eben eine Technik, die schlimm missbrauchbar ist, deshalb sollten wir uns von dieser Technik lösen. Die Antwort sind erneuerbare Energien, wobei wir noch technologische Durchbrüche haben müssen. Wir können noch so viele Windkrafteinrichtungen haben, wir brauchen eine ordentliche Batterie - falls der Wind mal nicht weht - damit die Leistung dennoch zu Verfügung steht. Da fehlt es bei der Speicherung an technologischen Durchbrüchen und wir brauchen natürlich noch einen Schub in der Solartechnik, wenn der käme, das heißt, wenn preisgünstiger aus Fotozellen Strom erzeugt werden könnte, wäre das eine Revolution. Insbesondere in den Teilen unserer Erde, wo die Sonne in hoher Intensität, in hoher Dichte zur Verfügung steht.

Die neu gegründete Partei "Die Linke", deren Mitvorsitzender sie sind, scheint sich als dritte Kraft im politischen Parteienlandschaftssystem der Bundesrepublik zu etablieren. Dauerhaft?

Das kann man natürlich nie sagen, aber so wie das derzeit aussieht - die anderen Parteien sind ja nach wie vor der tiefen Überzeugung, dass Sozialabbau und Steuersenkungen für Wohlhabende die Grundlage für wirtschaftliche Prosperität ist - solange sie diesen Irrwegen folgen, sind wir dringend notwendig und werden eben immer mehr Zulauf haben.

Haben sie ein Ziel? Wollen sie regieren und die Republik verändern?

Wir wollen die Politik verändern. Bei diesem Ziel sind wir schon ein Stück vorangekommen. Die SPD und die Grünen diskutieren jetzt intensiv, aber auch CDU und FDP, über die Sinnhaftigkeit oder nicht Sinnhaftigkeit von militärischen Kampfeinsätzen zur Friedensherstellung. Wir wussten von Anfang an, dass man mit Bomben keinen Frieden erzwingen kann - das ist ja ein Erbe der Linken. Es ist gut, dass wir die anderen Parteien in diese Diskussion gedrängt haben und in der Sommerpause gab es ein erstaunliches Phänomen: Während sie bisher nur über Kürzungen geredet haben und die sozialen Kürzungen mit dem falschen Wort Reformen belegt haben - Reformen lassen ja eher an Verbesserungen denken aber es waren eben nur soziale Kürzungen - diskutieren sie jetzt über Erhöhungen der Leistung für Arbeitslose, über Erhöhungen der Leistung für Studentinnen und Studenten, über Erhöhungen der Leistungen für Kinder. Es ist zwar noch nichts beschlossen worden, aber immerhin sie fangen an umzudenken. Insofern verändert "Die Linke" deutsche Politik.

Ein Markenzeichen ihrer Politik ist das relativ kategorische "Nein" zu jeder Art von militärischer Intervention. Gilt das für Afghanistan, für das Horn von Afrika und auch für Kosovo, Bosnien?

Wir sind gegen eine militärische Intervention, weil wir nach wie vor dabei bleiben: Man kann nicht Menschen ermorden indem man gleichzeitig sagt, wir wollen aber andere davor bewahren ermordet zu werden. Das ist ja der Widerspruch, etwa in Afghanistan, wo jetzt immer mehr unschuldige Menschen Opfer von NATO-Bomben werden. Dazu haben wir kein Recht. Insofern bleiben wir Gegner solcher Interventionen. Natürlich muss man differenzieren über das Ausmaß der Folgen der militärischen Intervention, aber wir stehen nach wie vor zu zwei Sätzen Willy Brandts, einmal: "Gewaltverzicht sollte die Grundlage der deutschen Außenpolitik sein.“ Und zum Zweiten: "Von deutschen Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.“

Herr Lafontaine, "Die Linke" ist eine zusammengewachsene Partei aus einer westdeutschen und einer ostdeutschen Partei. Gibt es eigentlich heute noch Ressentiments zwischen den Beiden?

Es gibt unterschiedliche Lebenserfahrungen der Ostdeutschen und der Westdeutschen, die kriegen wir auch nicht innerhalb von einer Generation weg. Das ist festzustellen. Das betrifft aber nicht nur uns, das betrifft ja auch die anderen Parteien. Im innerdeutschen Dialog ist immer übersehen worden, dass FDP und CDU, also zwei mit uns konkurrierende Parteien, jeweils zwei ehemalige Parteien der DDR geschluckt haben und darüber nicht sprechen wollen. Wir können voneinander lernen, das sieht man beispielsweise an der sozialen Frage. Bei der sozialen Frage ist das Bewusstsein der Ostdeutschen für soziale Gerechtigkeit noch viel ausgeprägter als in Westdeutschland. Aber jetzt, im Zuge der letzten Jahre, ist das Thema soziale Gerechtigkeit auch wieder ein Kernthema aller westdeutschen Haushalte geworden.