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Türkei nach der Wahl

Loay Mudhoon 27. Juli 2007

Der Sieg der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) widerlegt den Gegensatz zwischen Islam und Säkularismus und ist vor allem Ausdruck eines sozialen Wandels der türkischen Gesellschaft. Eine Analyse.

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Nach dem Sieg ihrer Partei schwenken AKP-Anhänger jubelnd Fahnen, Quelle: AP
Bild: AP

Die türkischen Parlamentswahlen am 22.06.2007 kamen nach Intervention der Militärführung zustande: im wahrscheinlich ersten "Internetputsch" der Geschichte drohten die türkischen Generäle am 27. April, gegen alle Kräfte vorzugehen, die die laizistischen Grundwerte der Atatürk-Republik bedrohen. Das Verfassungsgericht ließ sich instrumentalisieren und verhinderte nach Drohungen der kemalistsichen Militärelite die Wahl von Außenminister Abdullah Gül zum Staatspräsidenten.

Zugespitzte Polarisierung

Hinzu kam, dass die Generäle und ihr politischer Arm, die oppositionelle "Republikanische Volkspartei" (CHP), überall - insbesondere im Ausland - übertriebene Ängste vor einer schleichenden Islamisierung der Türkei schürten, die das säkulare System der modernen Türkei zu unterminieren drohe. Sie fantasierten sogar von überall lauernden, inneren und äußeren Staatsfeinden, warfen Erdogans Regierung vor, zu wenig gegen den Terror der PKK zu tun und forderten die "hohe türkische Nation" zu Protesten auf, um den angeblichen Verkauf nationaler Interessen zu verhindern.

Nachdem die Präsidentenwahl endgültig gescheitert war und die zugespitzte Polarisierung zwischen den weltlichen und islamisch-konservativen Kräften in der türkischen Gesellschaft das Land faktisch gelähmt hatte, entschied sich Ministerpräsent Erdogan letztendlich für vorgezogene Wahlen.

AKP ohne Alternative

In ihrem Wahlkampf setzt die AKP inhaltlich auf die positive wirtschaftliche Entwicklung der Türkei unter ihrer Führung und die damit verbundenen hohen Wachstumsraten. Ihr charismatischer Führer Erdogan versprach, an der Kontinuität der erfolgreichen Regierungspolitik festzuhalten und die Türkei für einen Beitritt zur Europäischen Union fit zu machen.

Obwohl die außenpolitischen Erfolge seiner AKP-Regierung mager ausfielen, da eine Lösung des Zypernkonflikts nicht in Sicht ist und die EU-Beitrittsverhandlungen stagnieren, blieb die AKP ohne wirkliche Alternative. Denn der kemalistischen und nationalistischen Opposition mangelte es an überzeugenden Konzepten und brauchbaren Strategien, mit deren Hilfe sie die Türkei in eine bessere Zukunft führen könnte.

"Partei der türkischen Mitte"

Im Gegensatz zur dogmatischen Opposition, die sich am Status quo und an überholten Feindbildern festhielt, entwickelte sich die AKP zunehmend zu einer Partei der Reform und der "neuen türkischen Mitte". Schließlich hat fast jeder zweite Wähler für die neue, bis dato berechenbare agierende Elite votiert.

Erdogans einzigartiger Triumph beruht in erster Linie darauf, dass seine Regierung in den letzten fünf Jahren mehr Reformen anpackte als alle säkularen Vorgängerregierungen in den letzten 50 Jahren. Außerdem konnte seine AKP viele Menschen von ihrem Wandel zu einer modernen Mitte-Rechts-Partei überzeugen. Es gelang ihr, sich für neue Wählerschichten attraktiv zu machen: statt frommer Islamisten und Erdogans alter Gefolgsleute sitzen für die AKP nun auch bekannte Liberale und Linke im neuen Parlament.

AKP-Sieg als Ausdruck sozialen Wandels

Zweifelsohne ist der fulminante AKP-Sieg auch ein klares Zeichen für strukturelle Veränderungen in der türkischen Gesellschaft. Längst hat sich eine gut situierte, religiös-konservative Mittelschicht etabliert, die den alten Eliten im Land ihren Platz streitig macht. Vom sozialen Aufstieg der neuen, eher ländlichen und deshalb auch islamisch-konservativen Schichten fühlt sich die weltliche, urbane Oberschicht bedroht.

Im erbitterten Wahlkampf ging es in erster Linie nicht um die Auseinandersetzung zwischen politischem Islam und Säkularismus, denn der radikale, politische Islam existiert in der Türkei nur am Rande. In Wirklichkeit ging es um einen Kampf um die Macht zwischen alten und neuen Eliten in der Türkei. Die jüngsten nationalistischen Auswüchse der Vertreter alter Eliten sind deshalb als Gesten der Verlierer zu betrachten.