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Raketen und Satelliten

Torsten Schäfer21. Juni 2007

Der russische Vize-Regierungschef Sergej Iwanow hat angekündigt, die Luft- und Weltraumverteidigung massiv auszubauen. Mit einer aggressiven Rüstungspolitik will sich Moskau auf der Weltbühne Respekt verschaffen.

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Russlands Vize-Staatschef Iwanow, Quelle: dpa
Russlands Vize-Staatschef Iwanow setzt auf das Satellitensystem GlonassBild: picture-alliance/ dpa

Moskau lässt derzeit nichts unversucht, um militärische Stärke zu demonstrieren. Jetzt hat der russische Bär erneut laut gebrummt: Vize-Regierungschef Sergej Iwanow kündigte am Dienstag (19.6.07) an, die Luft- und Weltraumverteidigung massiv ausbauen zu wollen. Zum Beispiel sollen bis 2010 insgesamt 20 Satelliten für das Navigationssystem Glonass ins All geschossen werden.

Russland entwickelt das System in Konkurrenz zum amerikanischen GPS und dem EU-Modell Galileo, um im Ernstfall damit seine Marschflugkörper steuern zu können. "Glonass macht die Streitkräfte flexibler und die Waffensysteme präziser", sagte Götz Neuneck, Rüstungsexperte des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik.

Vorbild USA

Washington kündigte 2002 den ABM-Vertrag über eine Begrenzung von Abwehrsystemen auf, weil die USA den Vertrag als ein Hindernis für den Aufbau des eigenen National Missile Defense Systems (NMD) betrachteten. Seitdem sieht sich Russland gezwungen, seine Kräfte zur Luft- und Weltraumverteidigung zu bündeln. "Von US-Seite gibt es zurzeit kein Bestreben, die Kontrollverträge zu erneuern. Auch deshalb rüstet Moskau auf", sagt Neuneck.

Zu den neuen Waffen gehören Kurzstrecken-Raketen vom Typ Iskander-M sowie Interkontinental-Raketen vom Typ RS-24, die beide jüngst im Mai getestet wurden. Das neue Atom-U-Boot "Borei" wird in Kürze vom Stapel laufen. Iwanow zufolge sollen die Raketen in der Lage sein, alle international existierenden und geplanten Abwehrsysteme zu überwinden.

Russische Drohungen

Russlands Präsident Wladimir Putin, Quelle: AP
Weltmachtansprüche: Russlands Präsident Wladimir PutinBild: AP

Der Kreml sieht sich auch deshalb im Recht, weil seiner Auffassung nach der amerikanisch-sowjetische Vertrag über das Verbot der Kurz- und Mittelstreckenraketen von 1987 nicht mehr wirkt, da die USA in diesem Segment aufgerüstet haben. Moskau hat nun auch damit gedroht, den Abrüstungsvertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) aufzukündigen.

Das selbstbewusste Vorgehen stößt in Russland kaum auf Kritik. "Von Links bis Rechts sind alle begeistert", sagt Matthes Buhbe, Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Raketenabwehr als Deckmantel

Moskaus Begründungen für die neue Haltung variieren. Ein Argument kehrt regelmäßig wieder: die geplante US-Raketenabwehr in Europa. Fachleute werfen Russland vor, den Streit darum als Deckmantel für die eigene Aufrüstung zu benutzen. "Ohne die geplante Raketenabwehr würde Moskau genauso aufrüsten", sagt Hannes Adomeit, Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Aber Russland rüstet nicht nur auf, weil Staaten wie die USA und China ihre nuklearen Arsenale ausbauen. Mit den Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten, die jährlich 150 Milliarden Dollar betragen, steht endlich Geld zu Verfügung, um das Waffenarsenal zu modernisieren. Zwischen 2000 und 2006 hat der Kreml nach eigenen Angaben die Verteidigungsausgaben vervierfacht.

Gestiegener Selbstanspruch

Vor allem aber ist es der gestiegene Selbstanspruch, der die russische Rüstungspolitik vorantreibt. "Putin will Russland wieder als Weltmacht positionieren und beweisen, dass man den USA in der nuklearen Bewaffnung ebenbürtig ist", sagt Adomeit. Das Denken des Kalten Krieges bestehe im Kreml fort.

Das Eskalationspotenzial ist freilich geringer als noch in den 80er-Jahren. Denn das Kräfteverhältnis hat sich dramatisch verschoben: 80 Prozent des russischen Raketenarsenals gelten als völlig veraltet. Allein die USA verfügen noch über die Fähigkeit zum nuklearen Erstschlag, wie jüngste Studien zeigen.

Strategiewechsel ernst nehmen

Dennoch sollte der Westen den russischen Strategiewechsel ernst nehmen, rät Neuneck. Denn mit ihm stelle sich die Frage der Rüstungskontrolle in Europa neu. "Wieder geraten die Europäer zwischen die nuklearen Mühlräder von Russen und Amerikanern", sagt Neuneck. Wirksame Kontrollverträge werden gebraucht, die möglichst viele Länder mit einbeziehen. Derzeit herrscht aber Funkstille zwischen den Nuklearmächten.

"Man verhandelt nicht mehr, sondern modernisiert die eigenen Arsenale", urteilt Neuneck. So steigt die Gefahr, dass sich Nuklearwaffen unkontrolliert verbreiten. Und jede neue Rüstungsoffensive Russland und der USA kann anderen Staaten als Vorwand dienen, sich ein eigenes Nukleararsenal zuzulegen – siehe Iran. In dieser falschen Vorbildsfunktion liegt die eigentliche Gefahr des russischen Bärenbrummens.