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Die Kanzlerin spricht

Dennis Stute21. Juni 2007

Seit mehr als einem Jahr wendet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Videobotschaften an die Internet-Gemeinde - begleitet von Spott, aber höchst erfolgreich. DW-WORLD.DE war bei der Aufzeichnung im Kanzleramt dabei.

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Andreas Schmidt, Redakteur der Produktionsfirma, prüft die Aufzeichnung, Quelle: DW
Der Podcast-Redakteur Andreas Schmidt prüft die AufzeichnungBild: DW

Noch ist Herr Hausmann bester Laune. Die beiden Strahler stehen perfekt, das Panoramafenster zum Reichstag ist mit einer getönten Folie abgeklebt, auf dem Stehpult liegen zwei Seiten Redetext bereit, daneben hängt gravitätisch eine Deutschlandfahne. Sogar die Akkus hat sein Kamerateam noch schnell ausgewechselt, nur zur Sicherheit. Die Kanzlerin kann kommen.

"Es gibt Grenzen"

Andreas Schmidt posiert für die Einstellung der Kamera als Angela Merkel, Quelle: DW
Andreas Schmidt posiert als Angela Merkel...Bild: DW

Herr Hausmann hat also im Moment allen Grund, entspannt zu sein. Und so plaudert er über seine Produktionsfirma Evisco, die seit vergangenem Sommer jeden Freitag ins Kanzleramt kommt, um den Video-Podcast der Kanzlerin aufzuzeichnen. Es ist gewissermaßen ein Stück Mediengeschichte, an dem Herr Hausmann beteiligt ist: Kein anderer Staatschef verbreitet bislang außerhalb von Wahlkämpfen regelmäßige Videobotschaften über das Internet. "Das ist für uns natürlich ein sehr wichtiger Auftrag", sagt Herr Hausmann. "Wir freuen uns, hier zu sein." Da ist noch alles ruhig.

Die dreiminütigen Videos sind denkbar einfach gemacht: Eine feste Kameraeinstellung, vielleicht einmal ein kleiner Zoom, aber das war es auch schon. Herr Schweyer, der Kameramann sagt: "Bei der Arbeit mit der Kanzlerin gibt es Grenzen." Herr Hausmann, der Geschäftsführer, sagt: "Es geht nicht um den Showeffekt, es geht um die Vermittlung von Informationen."

Umbarmherzige Reaktion

Der Kameramann prüft die Einstellung, Quelle: DW
...damit der Kameramann die Einstellung überprüfen kannBild: DW

Die Medien reagierten auf die Podcasts, als hätten sie flirrende Pop-Clips erwartet. Die "mäßige, aber ziemlich regelmäßige" (Berliner Zeitung) "Ansprache im Stil eines Weihnachtsgrußwortes" (Welt) sei - abgesehen von ihrer "unfreiwilligen Komik" (FAZ) - "langsam und dröge" (stern), "steif und emotionslos" (SZ).

Den Erfolg hat das nicht schmälern können: Bei der dpa wird der samstägliche Podcast nach Angaben des Hauptstadtbüros als "wichtige Nachrichtenquelle am Wochenende" betrachtet, auch andere Nachrichtenagenturen schicken regelmäßig Meldungen über den Ticker. Die werden auch von jenen Zeitungen nachgedruckt, die für den Podcast selber nur Spott übrig haben. Für 2000 Euro Produktionskosten ist das sehr viel Resonanz.

"Das ist ein sehr öffentlichkeitswirksamer Auftrag", sagt Herr Hausmann. Ansonsten zeichnet die Evisco AG Modenschauen auf oder stellt Internet-Filme für den FC Bayern München her. Die Erfahrungen aus dem Sportbereich seien sehr nützlich, sagt Herr Hausmann, denn: "Wir müssen sehr flexibel reagieren können."

Lesen Sie im zweiten Teil, warum das Team sehr flexibel reagieren muss.

Kurz darauf setzt ein Schlagzeug ein. Das Trommeln kommt von der Fanmeile zum DFB-Pokalfinale am Brandenburger Tor, nicht wirklich laut, aber doch deutlich zu hören. "Das ist grenzwertig, ziemlich grenzwertig", sagt Herr Hausmann. Der Podcast soll sich dem Afghanistan-Einsatz widmen, eine Woche zuvor sind drei Bundeswehrsoldaten gestorben. "Könnt ihr den Ton mal testen?", ruft Herr Hausmann dem Kamerateam zu. "Wenn das zu laut ist, können wir das nicht hier machen."

"Das wird immer lauter"

Der Kameramann Xaver Schweyer und sein Assistent Jan Weißmann (l.) stellen Kamera und Ton ein, Quelle: DW
Der Kameramann Xaver Schweyer und sein Assistent Jan Weißmann (l.) stellen Kamera und Ton einBild: DW

Das wäre schlecht, denn die Aufzeichnung findet nicht zufällig an diesem Fenster statt. Jede Woche wird die Ansprache an einem anderen Ort im Kanzleramt aufgenommen, passend zum Thema. Als es um die Unternehmenssteuerreform ging, waren im Hintergrund Firmenzentralen zu sehen, beim Podcast zur Bundesgartenschau der Tiergarten. Diesmal bildet der Bundestag die Kulisse, weil - so der Gedanke - es die Abgeordneten sind, die über den Afghanistan-Einsatz zu entscheiden haben.

Herr Hausmann beschönigt nichts, als Herr Schlich vom Kanzleramt und Herr Spindeldreier vom Bundespresseamt kommen, um den Stand der Vorbereitungen zu kontrollieren. "Das wird immer lauter", sagt er. "Anfangs waren es nur die Drums." Jetzt ist auch noch ein Synthesizer zu hören.

Herr Spindeldreier hat erst einmal andere Sorgen - das Thema der Ansprache hat sich kurzfristig geändert: Die Kanzlerin redet nun über den G8-Gipfel. Die Miene von Herrn Hausmann hellt sich ein wenig auf. G8 - da wäre Musik im Hintergrund zumindest nicht mehr pietätlos.

Kanzlerinnen-Wetter

Der Evisco-Geschäftsführer Jürgen Hausmann nimmt das Urteil des Kamerassistenten Jan Weißmann entgegen: Das Schlagzeug lässt sich nicht herausfiltern, Quelle: AP
Der Evisco-Geschäftsführer Jürgen Hausmann erfährt, dass sich der Lärm nicht herausfiltern lässtBild: DW

Von Herrn Schmidt, dem zuständigen Redakteur der Evisco, ist derweil nichts zu sehen. Als er zurückkommt, strahlt er übers ganze Gesicht - es ist ihm gelungen, die Organisatoren auf der Fanmeile zu erreichen: "Sie machen eine halbe Stunde Pause." Als er das sagt, hat die Musik bereits aufgehört. Damit die Kanzlerin sprechen kann. Und jetzt kommt auch noch Wind auf, der die Fahne auf dem Reichstag im perfekten Winkel wehen lässt. Herr Hausmann sagt zu Herrn Schmidt: "Sehr gut!" Die Kanzlerin kann kommen.

Die Zeit vergeht. Bis 14.20 Uhr wollen die Organisatoren für Ruhe sorgen. Herr Hausmann schaut auf die Uhr. Es ist 14.05 Uhr. "Das wird knapp." Er wird wieder unruhig. Man müsse das verstehen, sagt Herr Spindeldreier vom Bundespresseamt, der G8- und der EU-Gipfel stünden vor der Tür. "Die Bundeskanzlerin hängt im Moment dauernd am Telefon." Alle verstehen das. Vielleicht ist gerade der US-Präsident dran. Da sagt man nicht: Tut mir leid, mein Podcast wartet.

Ein Take genügt

Alle großen Nachrichtenagenturen werden am nächsten Tag über den Podcast berichten, Quelle: AP
Alle großen Agenturen werden am nächsten Tag über den Podcast berichtenBild: bundeskanzlerin.de

Schließlich ist es soweit: Die Kanzlerin kommt. Fast vier Stunden lang hat das Team die Aufzeichnung vorbereitet, jetzt geht alles ganz schnell. Die Mitarbeiter verschwinden in einem winzigen Nebenraum und verfolgen die Ansprache über einen Regiemonitor, alle übrigen müssen vor die Tür. Die öffnet sich schon nach fünf Minuten wieder. Eine Aufnahme hat genügt.

Sie nutze gerne technische Neuerungen, sagt die Kanzlerin beim Hinausgehen, mit dem Podcast erreiche man andere Zuschauer als sonst. "Es ist natürlich manchmal etwas anstrengend, jede Woche zu einem bestimmten Termin in Form zu sein und ein gutes Thema zu haben", sagt sie. "Aber ich habe den Eindruck, dass sich das richtig etabliert hat."

Herr Hausmann steht unterdessen mit Herrn Schmidt an einem Laptop und schaut sich das Video an. Wie schon einen Tag zuvor im Bundestag stellt die Kanzlerin die Schwerpunktthemen des G8-Gipfels vor und ruft die Demonstranten zur Gewaltlosigkeit auf. "Das hat die Kanzlerin wieder perfekt gemacht", sagt Herr Hausmann. Die Fanmeile hat auch während der Aufzeichnung stillgehalten. Herr Hausmann ist wieder bester Laune.