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Riskanter Wiederaufbau

Ranty Islam9. März 2007

Afghanistan ist für Entwicklungshelfer der gefährlichste Ort der Welt. Ein Grund: Die Vielzahl der Akteure macht es Einheimischen immer schwerer, zwischen militärischen und Hilfsaktionen zu unterscheiden.

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Menschen in den Ruinen eines Hauses auf einem Hügel
Wiederaufbau in Afghanistan - ein gefährliches Pflaster auch für EntwicklungshelferBild: AP

Die Ermordung eines deutschen Entwicklungshelfers der Welthungerhilfe in Afghanistan am Donnerstag (8.3.2007) hat einmal mehr gezeigt, wie prekär die Sicherheitslage in dem Land nicht nur für die einheimische Zivilbevölkerung ist. Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen sind in den vergangenen Jahren wiederholt zur Zielscheibe von Attacken geworden. Im vergangenen Mai wurden im Norden des Landes innerhalb einer Woche vier Angehörige einer internationalen Hilfsorganisation und drei Mitarbeiter des US-Entwicklungsdienstes USAID getötet. Im Mai 2005 starben gleich sieben Mitglieder einer internationalen Entwicklungsorganisation. Und "Ärzte Ohne Grenzen" verlor 2004 fünf Mitarbeiter, nachdem deren Wagen in einem Hinterhalt mit Granaten beschossen wurde.

Ein afghanischer Arbeiter vor den Toren des Büros der Welthungerhilfe in Kabul(Quelle: AP)
Ein afghanischer Arbeiter vor den Toren des Büros der Welthungerhilfe in KabulBild: picture-alliance/dpa

Diese Angriffe gehören zu den folgenschwersten und sind doch nur Einzelfälle. Nach Zahlen des Zentrums für internationale Zusammenarbeit an der New York University war Afghanistan für Entwicklungshelfer in den letzten drei Jahren der gefährlichste Ort der Welt. Von 2004 bis 2006 kamen jährlich jeweils mindestens 26, 29 und 25 Helfer ums Leben. Gezählt wurden jeweils 14, 15 und 17 schwerwiegende Zwischenfälle, bei denen Entwicklungsarbeiter entweder entführt, schwer verletzt oder getötet wurden. Afghanistan ist ein extremer Fall, doch auch international sind Angehörige von Hilfsorganisationen zusehends stärker gefährdet.

Dafür sind neben der Ausweitung von Hilfseinsätzen mit immer größerem Umfang und Personal auch ein offensiveres Engagement der Hilfsorganisationen vor Ort verantwortlich. Dies hielten die Vereinten Nationen (UN) 2006 in ihrem Bericht zur weltweiten Flüchtlingssituation fest. Hilfsorganisationen beschränkten sich nicht mehr nur auf die Betreuung von Flüchtlingen hinter den Kampflinien sondern versuchten auch, in den von Kämpfen am stärksten betroffenen Regionen zu helfen.

Unscharfe Trennung zwischen Militär und Hilfe

Das gilt besonders in Ländern wie Irak und Afghanistan. Die ausufernde Präsenz internationaler Streitkräfte und Hilfsorganisationen haben dafür gesorgt, dass militärische Aktionen und humanitäre Hilfe in den Augen der Einheimischen nicht mehr deutlich voneinander zu trennen sind: Militärische Interventionen werden von politischen Entscheidungsträgern mit humanitärem Anstrich versehen. Hilfsorganisationen haben sich zwar der Neutralität verpflichtet. Im Notfall müssten sie für das eigene Personal jedoch auf Schutz des Militärs zurückgreifen, sagt Natalie Charbonneau von der Abteilung für humanitäre Hilfe der EU-Kommission. "Die Priorität der Hilfsorganisationen ist ganz klar, der Bevölkerung vor Ort zu helfen. Aber um dazu in der Lage zu sein, müssen sie die Sicherheit ihrer Mitarbeiter gewährleisten können." Insgesamt mache die immer größere Zahl von Akteuren, die Hilfe leisten, die Situation unübersichtlich, sagt Charbonneau.

Die UN merkt in ihrem Bericht zudem an, dass Hilfsorganisationen oft erst im Gefolge von internationalen Militäraktionen ihr Engagement ausweiten können. Dies trage dazu bei, dass die Organisationen von der Bevölkerung der betreffenden Länder als parteiisch wahrgenommen würden - auch in Afghanistan. Doch dies ist nicht immer der Fall. Die so genannten Provincial Reconstruction Teams (PRT), in denen zivile und militärische Experten Wiederaufbauprojekte gemeinsam betreiben, würden von der Bevölkerung positiv aufgenommen, sagt Gisela Hayfa, Büroleiterin in Kabul für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Ingesamt betrachte ein Großteil der Afghanen die ausländischen Truppen jedoch als Besatzungsmacht - einschließlich der Bundeswehr. "Daraus erwächst ein Unwillen gegen alle Formen internationaler Organisationen im Land", sagt Hayfa.

"Die Fremden bringen uns kein Glück"

Vermessungsingenieure beim Straßenbau in Afghanistan (Quelle: dpa)
Ingenieure der GTZ bei der Vermessung für ein Straßenbauprojekt in AfghanistanBild: picture-alliance/dpa

Die Hilfsorganisationen waren gekommen, um zu helfen. Tatsächlich hat sich die Sicherheitslage im ganzen Land und die Lebenssituation vieler Afghanen zusehends verschlechtert. Es verwundert deshalb kaum, dass die Helfer aus dem Ausland von vielen Einheimischen bestenfalls als erfolglos gesehen - und häufig zusammen mit den fremden Truppen für die Misere im Land verantwortlich gemacht werden. "Auch die Art des militärischen Vorgehens macht unsere Arbeit nicht leichter", sagt Hayfa. Täglich gebe es im Fernsehen und den Zeitungen neue Nachrichten über getötete Zivilisten - viele davon Kollateralschäden von US-Militäraktionen. "Wir betrachten dies mit großer Sorge. Es nährt den generellen Eindruck 'die Fremden bringen uns kein Glück'."

Wiederaufbauprogramme zurückzufahren oder die Hilfseinsätze gleich ganz einzustellen, steht dennoch außer Frage. Dies hatten Vertreter der Bundesregierung am Freitag betont. Auch die GTZ wird ihr Engagement in Afghanistan nicht einschränken, sagt Hayfa. "Wir haben robuste Sicherheitsmaßnahmen und arbeiten in den gefährlichsten Gebieten gar nicht." Die Welthungerhilfe hat ihre überwiegend deutschen Fachkräfte zwar zunächst in die afghanische Hauptstadt zurückbeordert, will alle Projekt aber mit Einheimischen weiterführen. Andere deutsche Organisationen bleiben ebenfalls, wollen die Sicherheitslage für ihre Mitarbeiter aber neu überprüfen. Allerdings rieten sie ihren Kräften von Überlandfahrten ab. Die Johanniter kündigten am Freitag an, ihre Hilfe in Afghanistan weiter auszubauen.