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Parlamentswahlen

Ina Rottscheidt3. März 2007

Die Parlamentswahlen in Estland am Sonntag bieten eine Weltpremiere: Als erstes Land hat es seinen Wählern die Möglichkeit gegeben, ein neues Parlament per Internet zu bestimmen. Kritiker befürchten Sicherheitslücken.

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Der estnische Premierminister Andrus am Computer, Foto: AP
Wählt der estnische Premierminister Andrus Ansip per Mausklick?Bild: AP

Das Verfahren sei denkbar einfach, erklärt Tarvy Martins, Projektmanager für "I-Voting", die Abstimmung per Internet in Estland: Der Wähler schiebt den elektronischen Chip seines Personalausweises in ein Lesegerät, ruft im Internet die spezielle Wahl-Webseite auf, gibt zwei Pin-Codes ein und setzt sein Kreuz hinter eine der Parteien. "Das dauert keine 15 Sekunden", so Martins.

Estland: An der Fernverkehrsstraße weisen Schilder auf ein Cafe und Internetzugang hin, Foto: dpa
In Estland ist Internetzugang für alle kostenlos

Bis Donnerstagabend (1.3.) konnten die rund 940.000 Wahlberechtigten ihre Stimme übers Internet abgeben, und Martins freut sich über die Ressonanz: "Rund 30.000 Menschen haben am I-Voting teilgenommen. Im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2005 hat sich die Zahl verdreifacht." Mittlerweile gibt es in Estland an allen öffentlichen Internetpunkten die nötigen Kartenleser, zudem hatten sich viele Privatpersonen das kleine Zusatzgerät für umgerechnet etwa 10 Euro gekauft, denn für die Esten ist das Internet mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.

Internet-Musterschüler im Visier der OSZE

Der baltische Staat gilt als Internet-Musterland, das nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 eine beispielhafte technologische Entwicklung durchmachte: Selbst in den einsamsten Gegenden des Landes kann man kabellos surfen, die Regierung setzt auf E-Government, also die zunehmende politische Kommunikation und Information via Internet. Mit ihren beiden PIN-Nummern können die Esten nicht nur wählen, sondern auch ihre Geldgeschäfte abwickeln, ihre Steuererklärung verschicken oder Behördengänge online erledigen. Daher ist es für Martins auch nicht erstaunlich, dass ausgerechnet die Esten als erste Nation weltweit ihr Parlament online wählt.

Wahlurne in Estland, Foto: AP
Was ist sicherer: der Urnengang oder I-Voting?Bild: AP

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Wahlen in Europa beobachtet, sieht den Online-Urnengang allerdings skeptisch. Fraglich sei die Wahrung der Transparenz und der Sicherheit, hieß es. Außerdem verfügten die Wahlbeobachter nicht über die technischen Mittel, um die Online-Abstimmungen zu überprüfen. Martins hingegen hält die Methode für absolut sicher: "Das ist wie ein doppelter Briefumschlag. Die Wahl wird verschlüsselt und dann versiegelt. Es ist ziemlich schwer zu betrügen."

Überzeugungsarbeit vonnöten

Die größte technische Herausforderung des I-Votings ist die eindeutige Identifizierung des Users als berechtigter Wähler, während seine Wahl gleichzeitig anonym bleiben muss. "Technisch gesehen ist das kein großes Problem, seit den 1980er-Jahren gibt es das Prinzip der digitalen Signatur und der asymmetrischen Verschlüsselung," erklärt Dieter Otten, der fünf Jahre lang im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie die "Forschungsgruppe Internetwahlen" geleitet hat. Er hält Online-Wahlen aufgrund der hohen Verschlüsselungstechnik ebenfalls für "absolut sicher".

Bundestagswahl 2005: Stimmabgabe der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidatin Angela Merkel, Foto: dpa
Verließ sich bei der Bundestagswahl 2005 lieber auf die Urnenwahl: Angela MerkelBild: dpa

"Die größere Herausforderung war die Kommunikation", erinnert sich Otten. Es sei schwer gewesen, Juristen und Politiker von der Sicherheit zu überzeugen, denn diese hätten letztlich etwas beurteilen müssen, was sie nicht verstanden hätten. "Sicherheitsbedenkenträger" hätten schließlich dafür gesorgt, dass die Bundestagswahl doch nicht, wie ursprünglich geplant, im Netz, sondern wie gehabt an den Urnen stattfand.

Deutschland bleibt skeptisch

Daran wird sich in Deutschland in absehbarer Zeit offenbar auch nichts ändern: Man sei zu dem Ergebnis gekommen, dass I-Voting "aus rechtlichen und technischen Gründen momentan nicht den besonderen Anforderungen an politische Wahlen gerecht wird", so Annette Ziesig vom Bundesinnenministerium.

Das erlaube aber umgekehrt nicht den Rückschluss, dass die Esten die Sicherheitsprinzipien bei den Wahlen vernachlässigten, so Dieter Otten: "Man wirft den Deutschen ja auch keine Sicherheitsmängel vor, nur weil sie die Briefwahl zulassen, die – wie erst kürzlich in Hamburg – weitaus unsicherer ist." Letztlich sei es eine Frage, wie hoch man Sicherheitsvorkehrungen hänge: "Irgendwann wird es so teuer, dass es sich nicht mehr lohnt." Doch Otten ist zuversichtlich, dass auch in Deutschland irgendwann die Online-Wahlen kommen, schließlich würden schon jetzt vielerorts Betriebsräte, Studentenparlamente und Personalräte per Mausklick gewählt.

Abstimmung über Wildschweine und Hirsche

Das ehemalige Schloss auf dem Domberg in der estnischen Hauptstadt Tallinn ist heute Sitz des Parlaments, Foto: dpa
Wer zieht ins neue estnische Parlament ein?Bild: picture-alliance/dpa

Für die Esten jedenfalls ist dieses Verfahren schon fast normal: Bereits 2005 bestand diese Möglichkeit bei den Kommunalwahlen, und in der vergangenen Woche fand die Generalprobe für die Parlamentswahlen statt: Unter zehn Kandidaten - darunter Elch, Hirsch und Wildschwein - wählten die Esten online ihren Favoriten für den "König des Waldes". Eine Besonderheit hat die Online-Demokratie obendrein: Wer seine Meinung ändert, kann sein virtuelles Stimmkreuz - sei es nun für Wildtiere oder Politiker - noch bis zur Schließung der Wahllokale revidieren.

Wenige Neuerungen dürfte es hingegen beim Ergebnis der Parlamentswahl geben: Laut Umfragen liegen die beiden größten Partner der Regierungskoalition - die Reformpartei und die Zentrumspartei - vorne, unklar ist nur noch, ob sich die Reformpartei mit Regierungschef Andrus Ansip als stärkste Kraft halten kann.

Während die neue Parlaments-Zusammensetzung in Estland wohl schnell feststehen dürfte, bleibt ein Ergebnis offen - nämlich wer das Rennen um den "könig des Waldes" für sich entschieden hat. Da es sich lediglich um einen Test gehandelt habe, wurden die Stimmen nicht ausgezählt, so Tarvy Martins: "Das Ergebnis kennen nur die Tiere im Wald."