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Interview: "Geheimdienste kontrollieren Parlament in Russland"

21. Dezember 2006

Immer am 20. Dezember hat der russische Geheimdienst FSB seinen "Ehrentag". Menschenrechtler haben die Achtung der Bürgerrechte angemahnt. DW-RADIO sprach mit dem Führer der Bewegung "Für Menschenrechte", Lew Ponomarjow.

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FSB-Hauptquartier in MoskauBild: AP

DW-RADO/Russisch: Am „Tag des Tschekisten“ hat Ihre Bewegung „Für Menschenrechte“ vor der Ljubjanka, dem Sitz des Föderalen Sicherheitsdienstes FSB, demonstriert. Werden die Rechte der Bürger von den Geheimdiensten verletzt?

Lew Ponomarjow: Ja, sie werden von ihnen nicht eingehalten. Hier gibt es verschiedene Gründe. Erinnern wir uns an Beslan: Wir sind der Ansicht, dass nicht die einfachen Mitarbeiter der Geheimdienste, die die Kinder schützten und ihnen das Leben retten wollten, für den Tod der Kinder verantwortlich sind, sondern die Führung des Einsatzes zur Rettung der Geiseln. Wir glauben, dass man weniger an die Rettung der Geiseln dachte, sondern mehr an die Festnahme der Terroristen – mehr noch, man wollte alle töten, damit es keine Zeugen gibt. Dasselbe geschah bei der Geiselnahme im Musical-Theater „Nord-Ost“. Das sind die großen Fälle. Aber wir wissen auch, dass bei vielen Auftragsvergaben in der Wirtschaft die Geheimdienste eine Rolle spielen. Aus unserer Sicht befassen sich die Geheimdienste weniger mit dem Schutz von Staatsgeheimnissen, sondern sind eher ein „Dach“ für Wirtschaftskungelei.

Viele wichtige Staatsposten in Russland sind mit Personen besetzt worden, die aus den Geheimdiensten stammen. Welchen Einfluss hat dies auf die Lage im Lande?

70 Prozent der höheren politischen Elite stammen nach Schätzungen von Soziologen aus den Geheimdiensten. Das ist aus unserer Sicht der Grund dafür, warum sich die Verwaltung des Landes bislang nur verschlechtert hat. Diejenigen, die aus den Geheimdiensten stammen, kennen sich mit Wirtschaft, Kultur und Medien nicht aus. Aber wir wissen, dass sie die wichtigsten Fernsehkanäle des Landes kontrollieren. So büßt das Land seine Positionen ein – im Inland, in der Wirtschaft, aber auch im Ausland. Die ehemaligen Geheimdienstler beeinflussen die Außenpolitik, Russland treibt immer mehr in Richtung Isolation. Es ist kein Zufall, dass die Staatsduma am 20. Dezember die Ratifizierung einer Konvention abgelehnt hat, die die Arbeit des Europäischen Gerichtshofes betrifft. Russland ist das einzige Land, das die Ratifizierung ablehnt – weil das Gericht auch die Staatsduma unter Beobachtung genommen hat. Geheimdienstchef Patruschew hat vor kurzem in einem Artikel der „Rossijskaja Gaseta“ erklärt, es sei gut, dass Führungskräfte aus den Geheimdiensten in die Verwaltung des Landes vorrückten. Sie seien so etwas wie „Neo-Adlige“. Dieser Ausdruck stammt nicht von mir, sondern von Patruschew. „Neo-Adlige“: Das ist einfach lächerlich. „Neo-Adlige“: Soll das der FSB Russlands sein? Wir protestieren dagegen.

Sie fordern eine zivile Kontrolle der Geheimdienste, am besten durch das Parlament. Aber Ihnen zufolge sitzen auch im Parlament Abgeordnete, die aus den Geheimdiensten stammen. Welchen Sinn hätte dann eine Kontrolle durch das Parlament?

Es ist unbestritten, dass sich das Parlament heute unter der Kontrolle der Geheimdienste befindet. Aber wir müssen zumindest irgendeine Perspektive für unser Land aufzeigen. Wir wissen, dass dies ein langer Prozess ist, aber irgendjemand im Lande muss doch darauf hinweisen, wie die totale Kontrolle durch die Geheimdienste dem Land Schaden zufügt. Wir reden heute darüber und werden auch in Zukunft darüber reden.

Das Gespräch führte Viacheslav Yurin

DW-RADIO/Russisch, 20.12.2006, Fokus Ost-Südost