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Bilanz

Emad M. Ghanim / Loay Mudhoon15. Dezember 2006

Ein Jahr nach den ersten demokratischen Wahlen im Irak überschatten Gewalt und konfessionelle Streitigkeiten den Alltag in dem Zweistromland. Kann die angestrebte nationale Versöhnung dem Land den Ruin ersparen?

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Leid und Trauer gehören im Irak zum Alltag, Foto: AP
Leid und Trauer gehören im Irak zum AlltagBild: AP

Vor einem Jahr wählten die Iraker zum ersten Mal in ihrer Geschichte unter Beteiligung aller Volksgruppen ein demokratisches Parlament. Nicht nur für viele Beobachter und Kenner des Nahen Ostens, sondern vor allem auch für viele leidgeprüfte Iraker markierte dieses Ereignis einen Wendepunkt: Denn unerwartet und anders als bei der Wahl des Übergangsparlaments am 30. Januar 2005 nahmen an den Parlamentswahlen am 15. Dezember 2005 viele Angehörige der sunnitischen Minderheit teil; sie hatten sich durch Terror und Drohungen nicht einschüchtern lassen.

Regierung der Nationalen Einheit als Hoffnungsschimmer

Der irakische Ministerpräsident Nuri al Maliki, Foto: AP
Hilflos? Der irakische Ministerpräsident Nuri al MalikiBild: AP

Obwohl die Bildung der ersten irakischen Regierung der Nationalen Einheit bis Mai 2006 auf sich warten ließ - was in erster Linie an den sunnitischen Manipulationsvorwürfen und am Streit der im neuen Parlament im vertretenen Parteien um die Besetzung des Ministerpräsidentenamts lag -, erhofften sich die meisten Iraker davon eine Verbesserung der prekären Sicherheitslage: Denn nur diese politische Konstellation würde die ethnische und religiöse Vielfalt des Irak widerspiegeln, eine Spaltung des Landes entlang konfessioneller Linien und einen drohenden Bürgerkrieg verhindern, so hoffte man. Doch bald zeigte sich, dass die irakische Regierung keine real existierende Einheitsregierung war, sondern ein Sammelsurium verschiedener, widerstrebender politischen Fraktionen.

Bürgerkriegstrategie der Terroristen

Diese anfänglichen Hoffnungen erwiesen sich als unrealistisch: Die neue Regierung wurde von den chaotischen, bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen, die in erster Linie auf das Versagen der US-Armee bei der Stabilisierung des Nachkriegsirak zurückzuführen ist, buchstäblich überrumpelt. Durch das Machtvakuum wurde das Zweistromland zu einem Sammelbecken für Terroristen und Gotteskrieger aller Couleur. Insbesondere der inzwischen getötete Top-Terrorist Al-Sarkawi versuchte mit allen Mitteln, einen Bürgerkrieg zwischen der schiitischen Mehrheit und der sunnitischen Minderheit zu provozieren, um dort einen islamischen Staat zu errichten. Sein Terror gipfelte in dem Bombenanschlag auf die Goldene Moschee in Samarra, der im Irak zu den schwersten Auseinandersetzungen zwischen den Religionsgruppen seit dem Sturz Saddam Husseins führte.

Streit um die föderale Ordnung

Verletzter wird ins Krankenhaus transportiert, Foto: AP
Terror ist Alltag im IrakBild: AP

Hinzu kommt, dass konfessionelle Streitigkeiten den politischen Prozess dominieren: Dadurch wird Konsensfindung im politischen Alltag erschwert oder gar verhindert – von der offensichtlichen Inkompetenz der neuen irakischen Eliten ganz zu schweigen. Während die Kurden eine Lösung der Sicherheitskrise in einem föderalen System sehen, befürchten sunnitische Vertreter eine Aufspaltung des Landes und somit den Verlust des Zugangs zu den Erdölreichtümern des Iraks. "Die föderale Ordnung wäre eine Lösung für die meisten Probleme des Irak, weil jede Provinz in diesem Falle für die eigene Sicherheit verantwortlich wäre. Zwar schreibt die irakische Verfassung eine föderale Struktur vor, jedoch wird dies nur im kurdischen Teil des Nordiraks praktiziert", stellt Fouad Massum, Fraktionschef der Kurdistan-Allianz im irakischen Parlament im Interview mit DW-WORLD.DE fest.

Hingegen beharrt Salim Al-Juboury, Pressesprecher der Irakischen Konsensfront, die sunnitische Parteien im Parlament vertritt, auf die Änderung des jetzigen Föderalismus-Modells: "Die jetzige föderale Form in der irakischen Verfassung muss geändert werden, weil sie jeder Provinz das Recht einräumt, eigene eine Armee und finanzielle Selbstständigkeit zu haben. Diese Fragen müssen unserer Meinung nach zentral kontrolliert werden."

Nationale Versöhnung als Ausweg

Die Goldene Moschee in Samarra, Foto: AP
Anschlag auf die Goldene Moschee in Samarra: Einer der schwersten Anschläge im IrakBild: AP

Trotz zahlreicher Bemühungen um nationale Versöhnung der zerrissenen Nation, die mit der irakischen Versöhnungskonferenz in Kairo im November 2005 begonnen hatten, nahm die Gewalt im Irak in jüngster Vergangenheit noch erheblich zu – und neue brutalere Formen an. Einen neuen Versuch, dem Land "den Ruin" zu ersparen, unternimmt die Al-Maliki-Regierung in der nächsten Woche, wenn sie alle politischen Kräfte zur Versöhnungskonferenz in Bagdad einlädt. "Wir setzen viele Hoffnungen auf die kommende Konferenz der Nationalen Versöhnung der irakischen politischen Kräfte am 15. und 16. Dezember 2006. Wir fordern Offenheit und Klarheit im Umgang mit allen Details der politischen Probleme. Nur so können wir gemeinsam einen Schritt vorwärts kommen", so Al-Juboury. Aus kurdischer Sicht bedeutet die Versöhnung jedoch "nicht die Beteiligung aller politischen Kräfte an der Regierung, sondern deren Annahme des demokratischen Prozesses“

Was den Einfluss Syriens und Irans auf den Nach-Saddam-Irak anbelangt, so lehnt Massum deren Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes ab, obwohl der jüngste Baker-Bericht der Bush-Administration empfiehlt, beide Länder in "konstruktiver Weise" durch "positive und negative Anreize" in die Befriedungsbemühungen des Irak einzubinden: "Wenn die Einmischung dieser Nachbarländer in unsere Angelegenheiten nicht aufhört, sieht sich der Irak gezwungen, dasselbe zu tun. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen."

Der Baker-Bericht, Foto: AP
Auch der Baker-Bericht rät zum Rückzug aus dem IrakBild: AP