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Reise auf den Athos

Miodrag Soric27. November 2006

Seit mehr als 1000 Jahren ist der heilige Berg Athos im Ägäischen Meer ein verbotener Ort für Frauen. Hier suchen Männer, abgeschnitten vom Rest der Welt, die Nähe Gottes.

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Berg Athos aus der Ferne
Der Athos gilt seinen Bewohnern und Verehrern als heiliger BergBild: Djordje Soric

Die hausbreite Landeklappe der Fähre ruht ausgestreckt auf der Anlegestelle des Fischerdorfes Ouranopolis. Hektisches Treiben herrscht am frühen Vormittag im Hafen. Staubige Geländewagen und zerbeulte Lkws rumpeln die unebene Kaimauer entlang. Es wird gehupt. Motoren heulen auf. Die vielen PS verschwinden ebenso im Bauch des Schiffes wie drei graue Esel, die ein alter Mann an der Strickleine führt. Männer mit festem Schuhwerk und mit Rucksäcken beladen verabschieden sich von ihren Frauen und Kindern. Ein kleiner Junge weint. Er klammert sich an seinen Vater. Der Schiffskapitän in blauer Hose und weißem, offenem Hemd mahnt zur Eile: "Ella, ella“, schreit er. Der schwimmende Stahlkoloss muss pünktlich ablegen. Ein Polizist kontrolliert die Papiere. Unsere kleine Reisegruppe legt Pässe und Passierscheine vor. Dann betreten wir das weiße Schiff. Wir klettern Stahltreppen hoch auf das Passagierdeck und lassen uns, wie andere Pilger, auf leuchtend blauen Plastikstühle nieder. Bald darauf hallt die Schiffssirene über das Meer. Mächtige Stahlketten ziehen die Landeklappe hoch. Matrosen holen die faustdicken Taue ein. Der Anker wird gelichtet. Die Fähre stöhnt zuerst auf, gleitet dann still durch die türkisgrüne, klare See. Schlagartig reißen die Gespräche ab. Auf dem Boot macht sich eine freudig, feierliche Stimmung breit. Es geht zum Athos.

Die Blicke der Reisenden richten sich auf jene etwa zwei Dutzend Männer, die in fußlangen dunklen Gewändern ebenfalls auf der Fähre Platz gefunden haben. Sie tragen brustlange Bärte und schwarze Kappen. Viele wirken müde. Ihre Gesichtsfarbe ist blass. Die ungeschnittenen Haare haben sie oberhalb des Nackens eingedreht zu einem festen Knoten. Es sind christlich-orthodoxe Mönche. Etwa 2000 leben auf dem Athos. Die meisten stammen aus Ost- und Südosteuropa, einige aus Amerika, Australien, aus arabischen Ländern oder aus Deutschland. Bevor sie das schwarze Mönchsgewand anlegten, lebten sie - wie sie es formulieren - "in der Welt“. Machten dort Karriere als Manager oder Universitätsprofessoren, arbeiteten als Schneider, Landwirte, Ingenieure, spielten Tennis oder Fußball, sammelten Briefmarken, fuhren in Urlaub, verliebten sich; kurzum, sie folgten dem eigenen Willen. Dann geschieht etwas Geheimnisvolles. Sie kündigen ihren Arbeitsplatz, verschenken ihr Auto, lösen ihr Sparkonto auf. Sie verabschieden sich von ihrer Familie, von den Freunden und bitten um die Aufnahme in eines der 20 Athos-Klöster. Nach einer mehrjährigen Probezeit legen die meisten von ihnen die Gelübde ab: Sie versprechen, ein Leben in Armut und im Gebet zu führen; sie verpflichten sich zur Ehelosigkeit; sie geben ihr Wort, gegenüber dem Abt gehorsam zu sein.

Landschaftspanorama Berg Athos
Sein Spitze liegt mehr als 2000 Meter über dem Meeresspiegel: der Berg AthosBild: Djordje Soric

Eine Form des Egoismus?

Wie kommt jemand dazu, sein äußeres Leben so radikal zu ändern? Ist es nicht eine besondere Form des Egoismus, sich in Abgeschiedenheit Gott zuzuwenden? Diese und ähnliche Gedanken kreisen im Kopf während gleichzeitig das Schiff die etwa 40 Kilometer lange Küste der Athos-Halbinsel entlang fährt. Trotz des lauwarmen Fahrtwindes suchen die Passagiere den Schatten.

Die Sonne steht hoch. Unser Schiff zieht vorbei an einer kargen Hügellandschaft. Sie wird überzogen - wie ein riesiger grüner Teppich - von Büschen, wildem Gestrüpp oder kleinen Kiefernbäumen. Die Bergkette mündet in den über 2000 Meter hohen Berg Athos. Majestätisch erhebt er sich über das Meer. An den meisten Tagen schmückt eine Krone aus Wolken die Bergspitze. Heute zeigt sich der Athos in seiner kargen Schönheit. Entlang der Küstenlinie reiht sich – wie an einer Perlenschnur - ein Kloster neben dem anderen. Hinzu kommen kleinere Mönchsgemeinschaften, so genannte Skiten oder Kellions. Einige Eremiten haben sich ganz zurückgezogen. Sie leben allein in einem abgelegenen Tal oder am Berghang, wo kaum jemand hinkommt.

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Kloster des Heiligen Panteleimon
Kloster des Heiligen PanteleimonBild: Djordje Soric

Unsere Fähre passiert ein Großkloster nach dem anderen. Die Namen klingen für deutsche Ohren fremd: Dochiariu, Xenophontos, Panteleimonos, Xeropotamu. Die Architektur der meisten Klöster gleicht mittelalterlichen Burgen mit hohen, mächtigen Mauern, Wehrtürmen, Schießscharten. Im Mittelalter griffen Piraten viele der Mönchsgemeinschaften an, um sie auszurauben. Die Freibeuter waren auf der Suche nach goldenen Kelchen oder wertvollen Ikonen. Zaren, Könige oder Fürsten waren stets großzügig gegenüber den für sie betenden Geistlichen. Vor dem Ersten Weltkrieg lebten fast 8000 Mönche auf dem Athos. Dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, begann der Niedergang. Die Klöster verfielen. Der Schatten der atheistischen Gewaltherrschaft in Osteuropa reichte bis zum Athos. Stalin, Breschnew, Tito oder Ceausescu ermordeten Tausende von orthodoxen Mönchen, warfen diese ins Gefängnis. Der Nachwuchs für die Mönchsrepublik blieb aus. Die Lage besserte sich erst, als der eiserne Vorhang verschwand. Erneut traten Hunderte von jungen, oft gut ausgebildeten Russen, Ukrainern, Rumänen oder Serben in die Klöster ein, renovierten diese, erweckten den Athos zu neuem Leben.

Auf der Fähre treffen wir Vater Stefan vom Kloster Chilandar. Der mittelgroße, freundlich dreinblickende Mann mit der schwarzen Gebetschnur in der Hand mag vielleicht 60 Jahre alt sein. Früher, sagt er leise, habe er einen Klosterbruder kritisiert, weil dieser ständig den Athos verlassen musste. Inzwischen gehöre es zu seinen Pflichten, selbst viel zu reisen. "Der liebe Gott erteilt mir so eine Lektion“, lächelt er. Die meisten Mönche bleiben am liebsten in ihrer Klostergemeinschaft. Dort ist alles so geordnet, dass es das geistige Leben fördert. Der Sinn ihres Lebens ist für die orthodoxen Mönche, wie sie sagen, die Erlangung des Heiligen Geistes oder einfacher formuliert: die lebendige Gemeinschaft mit Gott. Der Athos ist ein Ort, in dem Generationen von Mönchen dieses eine Ziel verfolgen. Erfahrene stehen dabei weniger Erfahrenen bei.

Der Hafen von Daphne
Der Hafen von DaphneBild: Djordje Soric

Misstrauische Zöllner

Nach zwei Stunden Fahrt erreicht unser Schiff den Hafen Daphne. Letzterer besteht aus einem Dutzend zweistöckiger Häuser. Darunter befindet sich ein spartanisch ausgestattetes Kaffeehaus. Gereicht wird türkischer Mokka, auch wenn er hier nicht so genannt werden darf. Im benachbarten Gebäude werden Ikonen, Kettchen oder Gebetsschnüre verkauft. Auf der Straße erfüllt ein babylonisches Sprachgewirr die Luft: gesprochen, geschrieen, gerufen wird in Griechisch, Russisch, Englisch, Serbisch, Albanisch oder in Deutsch. Unmittelbar am Hafenkai ist unlängst ein neues Zollhaus errichtet worden. Dort durchwühlen griechische Polizisten die Rucksäcke oder Taschen jener Athos-Besucher, die bereits wieder auf der Rückreise sind. Das Misstrauen der Zöllner ist berechtigt: Immer wieder versuchen Schmuggler, wertvolle Ikonen außer Landes zu bringen.

Nicht verkaufen lassen sich freilich die wertvollsten, die wundertätigen Ikonen des Athos. Dafür sind sie in der Ostkirche zu bekannt. Die Meisterwerke zeigen die Gottesmutter Maria und das Jesuskind auf dem Arm. Die Ikonen stehen oft auf einem Ehrenplatz in den Klosterkirchen. Viele stammen der Überlieferung nach aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, kamen aus Jerusalem oder aus Byzanz zum Athos. Mönche und Pilger nähern sich ihnen in gebückter Haltung und mit großer Ehrfurcht. Auch in jüngster Zeit werden den Ikonen zahlreiche Wunder zugeschrieben, wie etwa die Genesung von schwerer Krankheit.

Lesen Sie weiter: Beschwerlicher Weg nach Karyes und die älteste Kirche der Mönchsrepublik

Unser Boot hat inzwischen im Hafen von Daphne festgemacht. Wir verlassen es eilig, um in einem der beiden museumsreifen Mercedes-Busse einen Sitzplatz zu ergattern. Wir verstauen unsere Rucksäcke in der Gepäckablage, drängeln uns ins Innere des Busses. Wir lassen uns in die abgewetzten, orangenfarbigen Polstersitze fallen. Die Luft ist beißend heiß, sobald man tief einatmet. Die Klimaanlage kühlt kaum, stinkt aber umso mehr. Täglich transportieren die beiden bis auf den letzten Platz gefüllten Mercedes-Busse Pilger samt Gepäck von Daphne in das Verwaltungszentrum Karyes, eine Strecke von vielleicht zehn Kilometern. Die nicht asphaltierte, staubige Straße schlängelt sich steil den Berg hoch und verlangt dem sich quälenden Motor im ersten oder zweiten Gang das Letzte ab.

Eine Gasse in Karyes
Eine Gasse in KaryesBild: Djordje Soric

Nach einer guten halben Stunde erreicht der Bus Karyes, das auf einem etwa 400 Meter hohen Hang liegende Verwaltungszentrum der Mönchsrepublik. Der Name bedeutet so viel wie "Zu den Walnussbäumen". Die Bewohner blicken hinab auf den wenige Kilometer entfernten Strymonischen Golf. Damit ist die unruhige Seite des Meeres gemeint, die den Athos umspült. In der Antike stand in Karyes ein Tempel, der Artemis geweiht war. Heute liegen hier verstreut einige Dutzend zweistöckiger Häuser, kleinere Geschäfte mit Lebensmitteln und Haushaltsgeräten, einer Apotheke, einem Bäcker, einer Post, einem wenig einladenden Restaurant, in dem sich vor allem Arbeiter ausruhen, die auf den umliegenden Baustellen tätig sind. Karyes ist ein Dorf.

Treffen von Benedikt und Bartholomäus

Hier befindet sich das so genannte "Protaton", die älteste Kirche der Mönchsrepublik. Sie stammt aus dem 10. Jahrhundert. Sie unterscheidet sich mit ihrer dreischiffigen Basilika-Form und dem Satteldach von allen anderen Gotteshäusern auf dem Athos. Die Architektur erinnert an sehr alte Kirchen in Westeuropa. Früher, vor der Kirchenspaltung im Jahre 1054 gehörten sie zusammen: die Römische Kirche des Westens und die Griechische des Ostens. Die Trennung hatte vor allem politische Gründe. Was tausend Jahre getrennt war, lässt sich nicht binnen kurzer Zeit wiedervereinigen. Auch nicht von Papst Benedikt XVI. und dem Patriarchen Bartholomäus I., der den Ehrenvorsitz unter den orthodoxen Nationalkirchen des Ostens innehat. Beide treffen sich am 28.11. in der türkischen Metropole Istanbul, beide beklagen die Spaltung der Christenheit.

Patriarch Bartholomäus I. ist auch das geistige Oberhaupt der Mönche auf dem heiligen Berg. Einige Athos-Bewohner verfolgen mit einem gewissen Misstrauen das Treffen der Kirchenfürsten in Istanbul. Sie verübeln der römischen Kirche, dass sie in den vergangenen Jahrhunderten - vielleicht auch unter dem Druck der Protestanten - zahlreiche Neuerungen eingeführt hat. Abweichungen vom tradierten Glauben lehnen die Mönche ab.

Landschaftspanorama Berg Athos
Aus der Ferne betrachtet steht die Zeit still auf dem Berg AthosBild: Djordje Soric

Steht also auf dem Athos die Zeit still? Was den Glauben selbst betrifft, seine Dogmen, die Liturgie und Gebetspraxis: gewiss. Doch in praktischen Dingen des Alltags legen die jüngeren Mönche einen gewissen Pragmatismus an den Tag. In den Gassen Karyes klingeln heute Mobiltelefone. Statt wie früher Esel, transportieren jetzt Jeeps Kisten mit Reis oder Kartoffeln zu den Klöstern. Viele Häuser in Karyes verfügen inzwischen über Strom und fließendes Wasser. Auch das Protaton, die Hauptkirche, hat sich in den letzten Jahren verändert. Sie wird renoviert. Ein riesiges Stahlgerüst überwölbt die Basilika. Im Innern durchziehen Träger aus Metall das Gotteshaus. Die Fresken aus dem 13. Jahrhundert - sie zeigen etwa den Heiligen Dimitrios oder den Heiligen Georg - sind kaum noch zu erkennen.

Lesen Sie weiter: Begegnung mit dem früheren Erdgas-Manager Vater Efrem und ein fünfstündiger Gottesdienst

Gleich gegenüber der Basilika führen abgelaufene Marmortreppen hoch in das gelb getünchte Athos-Parlament. Hier entscheiden Vertreter der 20 Hauptklöster, ob und wenn ja wo neue Straßen gebaut werden sollen, wie viele Pilger täglich den heiligen Berg betreten dürfen oder wie sich die Beziehungen zur Europäischen Union gestalten. Die Verfassung des Athos geht auf das Jahr 971 zurück. Damit gehört die Mönchsrepublik zu den ältesten Demokratien Europas.

Unsere Pilgergruppe macht sich auf in das nahe gelegene Kloster des Heiligen Andreas. Dort wartet Vater Efrem auf uns, ein Brite mit Nickelbrille, braunen Haaren, kräuseligem Bart und verschmitztem Lächeln. Er dürfte etwa 35 Jahre alt sein. Bereits vor Jahren haben wir Vater Efrem kennen und seinen Humor schätzen gelernt. Einst arbeitete er in der britischen Erdgas-Industrie als Manager. Damals schon suchte er nicht nur nach Gasfeldern sondern auch nach dem "richtigen Glauben". Als er ihn fand, konvertierte er zur Orthodoxie. Bald darauf wurde er Novize, dann Mönch auf dem Athos. Im riesigen Kloster des Heiligen Andreas betreut er jetzt die Gäste. Manchmal sind es mehrere Dutzend am Tag.

Wahre Kommunisten

Vater Efrem erwartet uns vor dem Haupteingang des Klosters, wo er uns freundlich begrüßt. Im Zentrum des klösterlichen Innenhofs erhebt sich eine mächtige Kirche, die größte auf dem Athos. Das Gotteshaus wird eingerahmt von zum Teil verfallenen Wohngebäuden. Jahrzehntelang stand das vor dem Ersten Weltkrieg von den Russen erbaute Sankt Andreas Kloster leer, so dass es in Teilen verfiel. Vor Jahren hat eine Bruderschaft, die vor allem aus Griechen besteht, das Kloster übernommen und baut es wieder auf. Dächer werden neu gedeckt, Mauern stabilisiert, morsche Holzböden herausgerissen und durch Steinböden ersetzt. Tagsüber ist es unruhig innerhalb der Klostermauern. Betonmischer rotieren ihre Kreise, Bauarbeiter rufen einander etwas zu; es wird gehämmert und gebohrt. Vater Efrem lebt und betet auf einer Baustelle. Er weist uns ein Zimmer zu. Abends sitzen wir noch lange im Klostergarten und reden über das Leben auf dem Athos.

Einsiedelei Iowanica, in der der deutsche Mönch Vater Panteleimon lebt
Einsiedelei Iowanica, in der der deutsche Mönch Vater Panteleimon lebtBild: Djordje Soric

Die Mönche verzichten auf Privatbesitz: Alles gehört der jeweiligen Klosterbruderschaft. Besucher scherzen deshalb, dass die Träger der schwarzen Kutten die wahren Kommunisten seien, und das lange vor Karl Marx. Das eigentliche Leben der Mönche ist ein inneres, ein geistiges. Für sie ist das Gebet, die Begegnung mit Gott etwas sehr Einfaches, Konkretes. Mystik auf dem Athos ist nichts Geheimnisvolles, sondern ist für jedermann praktisch erfahrbar. Die "Väter", wie dort die erfahrenen Mönche genannt werden, misstrauen allem Abstrakten und lehnen Gefühlsduseleien strikt ab. Um Fortschritte im geistigen Leben zu machen, fordern sie von ihren geistigen "Kindern" Nüchternheit, Leidenschaftslosigkeit und Anstrengung - wie es im Griechischen heißt.

Wir schlafen nur wenige Stunden. Das Tagewerk der Mönche beginnt gegen drei Uhr nachts, wenn durch rhythmisches Schlagen auf ein Holzbrett - dem so genannten Simandron - zum gemeinsamen Gebet gerufen wird. Viele Mönche greifen im Dunkel der Nacht zur Taschenlampe. Kein Athos-Besucher vergisst das Bild, wie Gestalten in wehenden, schwarzen Gewändern mit auf den Boden gerichteten Lichtkegeln die dunklen Kloster-Flure entlang huschen, über den Innenhof zu schweben scheinen und dann in der mit Öllämpchen schwach erleuchteten Kirche verschwinden. Auch im Sankt Andreas Kloster dauert der Gottesdienst fünf Stunden. Es werden Psalmen gelesen, Gebete und Fürbitten gesprochen, am Ende die Liturgie gefeiert. Wir kämpfen mit der Müdigkeit und sind am Morgen ein wenig stolz, dass wir bis zum Ende des Gottesdienstes ausgeharrt haben. Gemeinsam mit den Mönchen verlassen wir die Kirche und begeben uns zum gemeinsamen Frühstück. Der griechische Bergtee schmeckt herrlich. Zähflüssiger Athos-Honig und Nüsse versüßen das selbst gebackene, harte Brot.

Lesen Sie weiter: Ein Besuch beim Eremiten Vater Nikolaj, seine Wildschwein-Freundschaft und das Treffen mit einem Schwaben auf dem Berg Athos

Im Laufe des Tages erfüllt jeder Mönche mindestens eine ihm zugewiesene Aufgabe, oft auch mehrere: Der eine bereitet in der Küche die nächste Mahlzeit vor; andere machen den Abwasch, reinigen die Kirche, füllen die Öllämpchen vor den Ikonen nach, ziehen Bienenwachskerzen, kümmern sich um die Bienenstöcke, pflegen die Olivenhaine oder Gemüsebeete im Klostergarten, fischen im Meer, forschen in den mittelalterlichen Pergamenthandschriften der Bibliothek, malen Ikonen oder - wie Vater Efrem - betreuen die Gäste. Die Mönche verzichten ein Leben lang auf den Genuss von Fleisch. Besonders streng fasten sie an etwa 200 Tagen im Jahr. Dann gibt es nur Obst, Gemüse, Kartoffeln oder Brot, aber keine tierischen Produkte wie Milch, Käse, Eier oder Fisch; auch kein Olivenöl oder Alkohol.

Kirche des Athos-Klosters des Propheten Ilias
Kirche des Athos-Klosters des Propheten IliasBild: Djordje Soric

Vater Efrem hat sich einen Tag frei nehmen können. Gemeinsam wollen wir Vater Nikolaj besuchen, einen Eremiten. Seit Jahren lebt der russische Mönch alleine in einer Klosterzelle. Wir gehen entlang schmaler Pfade, vorbei an bewohnten aber auch verlassenen Häusern. Wir wandern eingezwängt von Gestrüpp links und rechts des Weges. Wir laufen über Brücken, unter denen Bäche mit klarem Wasser dahin plätschern. Jeweils der erste in unserer Gruppe schlägt mit einem Stab auf die Erde, um so Giftschlangen zu verscheuchen. Alle halbe Stunde öffnet sich plötzlich der Blick auf die Athos-Halbinsel und das einige hundert Meter tiefer liegende Meer, auf die rings herum liegenden Klöster und Einsiedeleien. Wir legen die Rucksäcke ab und können uns nicht satt sehen an der atemberaubend schönen Landschaft.

Nach zwei Stunden klopfen wir an der Pforte der Einsiedelei. Zuerst hören wir nichts. Nach einigen Minuten der Stille wird uns die Tür geöffnet. Das Gesicht von Vater Nikolaj erstrahlt vor Freude, als er uns sieht. Er dürfte die 50 überschritten haben, trägt einen imposanten Bart, eine Schürze um den schwarzen Gehrock des Mönchs. Er arbeitet gerade im Garten. Vater Nikolaj bewirtet uns mit frisch geernteten Melonen, Äpfeln und Birnen. Die Reste sammelt er auf und wirft sie in einen Eimer. Das sei für seine Freunde, sagt er und bedeutet uns, ihm zu folgen. Vor dem Eingangstor klopft er mit dem Eimer auf die Erde. Sogleich stürmen kräftige Wildschweine aus dem Gebüsch und machen sich über die Essensreste her. Wir staunen nicht schlecht, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Vater Nikolaj unter den wilden Tieren bewegt. Schließlich weiß jeder Athos-Pilger, dass Wildschweine aber auch Wölfe, die es auf dem Athos gibt, sehr gefährlich sein können. "Die tun nichts", versichert uns Vater Nikolaj. Der Tonfall erinnert an den einer alten Dame, die im Berliner Park ihre Dackel ausführt.

Vater Nikolaj mit den Wildschweinen
Vater Nikolaj mit den WildschweinenBild: Djordje Soric

Ein Stück Deutschland

Unser Weg führt uns zu einer weiteren Einsiedelei, diesmal direkt am Meer. Sie trägt den Namen Iowanica und gehört zum serbischen Athos-Kloster. Bewohnt wird sie indessen von Vater Panteleimon, einem Deutschen, der vor 23 Jahren bei den Serben Mönch wurde. Wie sich das für einen Schwaben gehört, hat der die einst völlig heruntergekommenen Bootshäuser, die zu der Einsiedelei gehören, mit einer Gründlichkeit und handwerklichem Geschick renoviert, die auf dem Athos ihresgleichen sucht. Vater Paneleimon bewirtschaftet 2000 Olivenbäume, einen riesigen Garten mit Trauben, Tomaten, Zwiebeln, Paprika Obstbäumen und vielem mehr. "Das ist ein kleines Stück Deutschland auf dem Athos", sagen viele Mönche voller Bewunderung. Das gilt übrigens auch für den Gottesdienst, den er in seiner Kapelle in weiten Teilen in deutscher Sprache feiert. Dankbar dafür sind insbesondere jene deutschen Athos-Pilger, die ihm im Herbst als Erntehelfer ein wenig zur Hand gehen. Vater Panteleimon, inzwischen Mitte fünfzig, ist ein nüchtern und pragmatisch denkender Mensch, humorvoll und fleißig. Viele, die der Zweifel plagt, kommen zum Athos, um ihn um Rat zu fragen. Vielleicht ist es das, was den Athos ausmacht: Der Pilger findet hier erfahrene Menschen, mit denen er abends auf der Terrasse mit Meeresblick sitzen kann, um über das geistige Leben - um über Gott zu sprechen.

Am nächsten Morgen fahren wir mit einem der Mercedes-Busse zurück zum Hafen. Von dort bringt uns die Fähre zurück "in die Welt".