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Die "Missionen" der Chávez-Regierung

Steffen Leidel 26. November 2006

Die wichtigste Säule der Chávez-Regierung sind die so genannten Missionen. Diesen Sozialprogrammen verdankt der Präsident seine große Popularität in der verarmten Bevölkerung.

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Zwei Soldaten vor einem "Mercal-Geschäft"
Das Militär spielt bei der Umsetzung der "Missionen" ein wichtige RolleBild: DW/Steffen Leidel

Hugo Chávez gewann die Wahlen 1998 mit dem Versprechen, die grassierende Armut in Venezuela zu beenden. Das Land befand sich zu seinem Amtsantritt in einem desolaten Zustand: die Wirtschaft auf Talfahrt, die Inflation galoppierend, hohe Arbeitslosigkeit. Die Vorgänger von Chávez, Carlos Andrés Pérez (1989 bis 1993) und Rafael Caldera (1994 bis 1998) hatten versucht, den Niedergang des Landes durch eine vom Internationalen Währungsfonds empfohlene Privatisierungspolitik zu stoppen, ohne Erfolg.

Die Mehrheit der Investitionen im öffentlichen Sektor, ob Krankenhäuser, Schulen oder Straßen, stammten aus dem goldenen Jahrzehnt (1973 bis 1983), das der Erdölboom dem Land beschert hatte. Doch mit dem Verfall des Ölpreises Anfang der 1980er Jahre begann die Verelendung der Bevölkerung. Gleich nach seinem offiziellen Machtantritt im Februar 1999 legte Chávez unter starker Einbeziehung des Militärs die ersten großen Sozialprogramme auf. Soldaten sammelten Müll in Armutsvierteln, besserten Schulen und Krankenhäuser aus, verteilten Lebensmittelpakete. Die Maßnahmen zeigten aber wenig Wirkung. Korruption, schlechte Planung und Klientilismus grassierten.

Reaktion auf innenpolitische Krise

Gleichzeitig geriet Chávez innenpolitisch immer mehr unter Druck. In Folge der Verabschiedung von 49 Erlassen mit Gesetzeskraft, die die Markwirtschaft einschränkten, das Privateigentum beschnitten sowie Veränderungen in der Agrarstruktur vorsahen, gab es seit Dezember 2001 heftige Proteste der Opposition, die sich bis April 2003 hinziehen sollten. Die Proteste gipfelten im Februar 2002 in einem Putschversuch, als hochrangige Militärs Chávez für abgesetzt erklärten. Allerdings kehrte Chávez nach nur zwei Tagen mit Hilfe loyaler Soldaten in sein Amt zurück. Nach dem Putschversuch organisierten die Unternehmerverbände mehrere Generalstreiks, die vor allem die Erdölindustrie lahm legten.

Nachdem sich die Lage wieder etwas stabilisiert hatte, rief Chávez 2003 die so genannten Missionen ins Leben. Die Sozialprogramme werden aus Sonderfonds finanziert, die direkt aus den Erdöleinnahmen gespeist werden und nicht in den öffentlichen Haushalten ausgewiesen werden. Das Ziel: In kürzester Zeit sollte ein möglichst großer Effekt erzielt werden.

Militär hilft

Patienten in einem Spital
Schwerpunkt der Sozialprogramme ist die medizinische VersorgungBild: DW/Steffen Leidel

Bei der Umsetzung der "Missionen" setzt Chávez erneut vor allem auf das Militär, sowie auf die Bevölkerung selbst, die sich aktiv beteiligen soll. Der Einsatz des Militärs zeigt das Misstrauen in die Funktionsfähigkeit der zivilen Institutionen. Viele der Missionen – ob Miranda, Piar, Ribas oder Sucre - sind nach Helden des Befreiungskrieges gegen die Spanier benannt.

Die Regierung hat 2006 nach eigenen Angaben 6,9 Milliarden US-Dollar für die Sozialprogramme ausgegeben. Chávez hat angekündigt, die Ausgaben 2007 noch einmal zu steigern. 40 Prozent des Staatshaushaltes sollen dann für Soziales ausgegeben werden.

Priorität in Gesundheit und Bildung

Insgesamt gibt es etwa 20 Missionen. Die Mission "barrio adentro" (Im Viertel) soll vor allem die medizinische Versorgung der verarmten Bevölkerung sicherstellen. Auf der Grundlage eines Kooperationsabkommens zwischen Kuba und Venezuela sind mehr als 25.000 kubanische Ärzte, Arzthelfer und Krankenschwestern nach Venezuela gekommen, die die Bevölkerung kostenlos behandeln. Im Gegenzug liefert Venezuela 100.000 Barrel Öl täglich nach Kuba.

Frauen in einer militärischen Einheit
Diese Frauen bekommen militärischen Drill, freiwillig und am Wochenende. Auch das "Volk" soll sich an der Landesverteidiung beteiligenBild: DW/Steffen Leidel

Im ganzen Land wurden so genannte "Volkspraxen", "Volkskliniken", Reha-Zentren und "Diagnostikzentren" errichtet. In einer Broschüre der Regierung heißt es, es habe bislang mehr als 190 Millionen Patientenbesuche gegeben und rund 35.000 Menschenleben seien "gerettet" worden. Im Rahmen der Mission "Milagro" (Wunder) können sich Venezolaner und Bürger anderer lateinamerikanischer Länder, die an Augenkrankheiten wie Grauer Star leiden, kostenlos behandeln lassen.

Ein weiterer Schwerpunkt sind die Bildungsmissionen. Kuba war das Modell für die Alphabetisierungskampagne in Venezuela. Im Oktober 2005 erklärte die Regierung das Land in Übereinstimmung mit den Regeln der UNESCO analphabetenfrei. Es gibt für Erwachsene die Möglichkeit, einen Schulabschluss nachzumachen und eine der neuen Universitäten zu besuchen.

Als erfolgreichste Mission wird in der Regel der staatlich organisierte Lebensmittelvertrieb über die so genannten Mercal-Geschäfte genannt. Im Durchschnitt liegen dort die Preise für Grundnahrungsmittel 40 Prozent niedriger als in Supermärkten. Es gibt noch weitere Missionen, die sich unter anderem der Föderung der Landwirtschaft, des Wohnungsbaus und der Kultur widmen.