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Reaktionen auf Amoklauf

22. November 2006

Nach dem Amoklauf eines 18-Jährigen an seiner ehemaligen Schule fordern Politiker und Experten dauerhafte psychologische Betreuung an Schulen und diskutieren über ein Verbot Gewalt verherrlichender Computerspiele.

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Die abgeriegelte Geschwister-Scholl-Schule in Emsdetten; im Vordergrund steht ein Polizist
Die Geschwister-Scholl-Schule in Emsdetten kurz nach der BluttatBild: picture-alliance/dpa

Der Amokläufer hatte am Montag (20.11.2006) mit Rohrbomben und vier Gewehren seine ehemalige Schule, die Geschwister-Scholl-Realschule im münsterländischen Emsdetten, überfallen und wahllos um sich geschossen. Insgesamt wurden bei der Bluttat rund 37 Menschen verletzt, drei davon schwer. Nach der Tat, die er im Internet angekündigt hatte, tötete sich der Amokläufer mit einem Schuss in den Mund selbst.

Verbot von Killerspielen

Ehemalige Lehrer des 18-Jährigen hatten angegeben, er sei dafür bekannt gewesen, Gewalt verherrlichende Computerspiele gespielt zu haben. Politiker von CDU und SPD fordern jetzt Konsequenzen. "Ich bin sehr dafür, ein Verbot von so genannten Killerspielen in Bertracht zu ziehen", sagt Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag.

Szene aus dem Spiel 'Counter-Strike'
Szene aus dem Spiel "Counter-Strike"Bild: AP

Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) meint, ein wirksamer Jugendschutz könne nur erreicht werden, wenn besonders schädliche Computerspiele nicht mehr hergestellt würden beziehungsweise der Zugriff für Jugendliche erheblich erschwert würde. Das Innenministerium in Niedersachsen möchte jetzt mit einer Bundesratsinitiative ein Herrstellungs- und Verbreitungsverbot dieser Videospiele erreichen.

Nach Meinung des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Volker Beck, reiche die einfältige Forderung der Großen Koalition nach einem Verbot von Killerspielen sicher nicht aus, zumal Verbotenes für Jugendliche noch reizvoller sei. Auch Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende der Linken, spricht sich gegen ein generelles Verbot aus. "Wer jetzt die virtuelle Computerspielwelt als Feindbild ausmacht und lauthals nach Verboten ruft, verzichtet auf ernsthafte Ursachensuche und versucht, sich an den realen Problemen junger Menschen vorbeizumogeln."

Psychologische Betreuung verbessern

Aus diesem Grund fordern Experten jetzt eine dauerhafte psychologische Bertreuung an Schulen. "Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, alles dafür zu tun, dass sich Menschen nicht als Verlierer fühlen und jedes Selbstwertgefühl verlieren", erklärte der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. Nach Ansicht von Stefan Drewes, Leiter des schulpsychologischen Dienstes der Stadt Düsseldorf, werde an jeder Schule ein Psychologe gebraucht.

Bild des Amokläufers auf seiner Internetseite
Der mutmaßliche Amokläufer war ein Außenseiter und hatte ein Faible für WaffenBild: AP

Der Tübinger katholische Theologe und Pädagoge Albert Biesinger wandte sich ebenfalls gegen zu einfache Antworten auf den Amoklauf. Schüler, die sich als Verlierer und Versager empfinden, müssten intensiv begleitet und gegebenenfalls therapiert werden, sagte er. Schnelle Verbotsforderungen würden den Problemlagen an Schulen nicht gerecht. Da viele Lehrkräfte mit der Situation an den Schulen überfordert seien, müsse die Schulsozialarbeit ausgebaut werden.

In Deutschland kommt auf 12.500 Schüler nur ein Psychologe. Damit liegt man hierzulande im OECD-Vergleich vor Malta an vorletzter Stelle, während in Skandinavien und Russland das Verhältnis bei etwa 1000 zu 1 anzusiedeln ist.

Gesellschaftlichen Werteverfall stoppen

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, forderte indessen die gesamte Gesellschaft auf, eine stärkere Kultur des Hinsehens und Hinhörens zu praktizieren. Es sei eine Aufgabe eines jeden, mehr Interesse am Mitmenschen zu zeigen. Man müsse natürlich aufpassen, dass daraus nicht eine Unkultur der Denunziation werde. Der Lehrerverbandschef beklagte auch einen Werteverfall. Eltern und Lehrer müssten Kindern durch eigenes Handeln ein positives Zukunftsbild vermitteln. Eine Gesellschaft, die diese Werte verliere, laufe irgendwann selber Amok, fügte Kraus hinzu. (tl)