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Studieren für die Zukunft

Torsten Schäfer5. Oktober 2006

Überall in Europa beginnen Erstsemester gerade ihr Studium. Immer öfter ist es ein Europastudium. Die Nachfrage ist groß, denn mit einem Euro-Abschluss steigen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

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Pauken für Europa: Immer mehr Universitäten bieten Studiengänge mit Europabezug anBild: dpa+

Rana Islam hat sich hohe Ziele gesteckt. "Ich möchte bei der EU oder der NATO arbeiten", erklärt der Student. Weil der 23-Jährige bereits eine Menge Erfahrungen gesammelt hat, besitzt er beste Voraussetzungen für eine europäische Laufbahn: Er ist Sprecher einer Europa-Initiative und hat mehrere Praktika absolviert – unter anderem beim Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Bonn. Sein Geschichts- und Politikstudium wurde von einer Stiftung gefördert. Und ein Semester verbrachte er in Straßburg. Doch das war ihm nicht genug. Seit September studiert Rana am Europa-Kolleg in Brügge. "Ohne EU-Kenntnisse kommt man heute nicht aus", sagt er.

Vorzüglicher Ruf bei Arbeitgebern

Hervorragende Englisch- und Französischkenntnisse sind Voraussetzung für das Studium in Brügge. Wer das Kolleg hinter sich bringt, hat den Einstieg in die EU-Karriere geschafft. Brügge genießt bei Arbeitgebern einen vorzüglichen Ruf. "Das Europa-Kolleg ist ein begehrter Ausbildungsort", betont Christoph Linden, stellvertretender Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland, die Stipendien für das Euro-Kolleg in Brügge vergibt.

Seit 1950 werden in der 120.000 Einwohner zählenden Stadt Europaexperten für den Brüsseler Politikbetrieb ausgebildet. Deutsche Universitäten haben das Thema Europa lange Zeit vernachlässigt, wie Christian Bremen, Koordinator der Europastudien an der RWTH Aachen, erläutert. Das Europabewusstsein in der Gesellschaft sei generell unterentwickelt, merkt Christoph Linden dazu an: "Der Großteil der deutschen Gesetzgebung ist europäischen Ursprungs," sagt Linden. "Absolventen und Arbeitnehmer sollten da besser über die EU Bescheid wissen."

Das Europa-Kolleg im belgischen Brügge ist die Eliteschmiede für den Brüsseler Politikbetrieb
Das Europa-Kolleg im belgischen Brügge ist die Eliteschmiede für den Brüsseler Politikbetrieb

Zahl der Studiengänge verdoppelt

Als 1993 mit dem Maastricht-Vertrag aus der EG eine mächtige politische Union wurde, stieg die Zahl der Europastudiengänge an. Jetzt gibt es eine zweite Gründungswelle. Denn die EU-Staaten haben sich im Rahmen des Bologna-Prozesses darauf geeinigt, die nationalen Studienmodelle durch Bachelor- und Masterstudiengänge zu ersetzen. Im Zuge dieser Umgestaltung sind viele Europastudiengänge in den Mitgliedstaaten entstanden. Allein in Deutschland hat sich ihre Zahl seit 2004 verdoppelt: 150 Studiengänge mit Europabezügen verzeichnet die Hochschulrektorenkonferenz aktuell für die Bundesrepublik.

Die meisten Programme sind fächerübergreifend angelegt: EU-Recht, Europapolitik, EU-Wirtschaft und Fremdsprachen werden gelehrt. Viele Studiengänge sind auf Recht und Wirtschaft ausgerichtet. Modelle wie "European Culture an Economy" in Bochum oder "Euroculture" in Göttingen legen den Schwerpunkt auf Kulturwissenschaften.

Programme wie "Europäisches Gesundheitsmanagement" in Stendal oder 2Schutz europäischer Kulturgüter" in Frankfurt an der Oder verbinden Nischenfächer mit Europa-Komponenten. Zahlreiche Osteuropa-Modelle geben Einblick in die neuen Seite der EU. Auch in den Beitrittsstaaten boomen Europastudien. "Durch den Beitritt sind in Bulgarien und Rumänien die Absolventen zurzeit heiß begehrt", sagt Christian Bremen.

Das Europa der Zukunft denken

"In den Studiengängen wird das Europa der Zukunft diskutiert", erklärt Bremen. Wie könnte ein europäisches Sozialmodell aussehen? Welche Rolle könnten europäische Gewerkschaften spielen? Solche Themen stehen auf dem Lehrplan. In Zeiten der Verfassungskrise rührt sie in Brüssel niemand mehr an.

Integrationsgeschichte, Institutionenkunde und EG-Verträge - in Europastudiengängen wird vor allem das EU-System unter die Lupe genommen. Doch auch die Mitgliedstaaten sind von Interesse. In Aachen wird etwa Spanien, Frankreich- und Italienkunde gelehrt.

Große Preisunterschiede

Die meisten Europastudiengänge sind gebührenfrei. Für einige Modelle müssen Studenten aber tief in die Tasche greifen: 7000 Euro kosten die Europastudien in Berlin und Bonn. Mehr als 10.000 Euro verlangen renommierte Ausbildungsstätten wie die London School of Economics oder das Europakolleg in Brügge für ihre "European Studies". Einen guten Ruf genießen auch die Studiengänge in Maastricht, Straßburg und Nizza.

Arbeitsfelder der Absolventen sind neben den EU-Institutionen nationale Behörden, Unternehmen, Verbände oder Lobbybüros. "Europastudenten können EU-Fördergelder beantragen. Das ist für Unternehmen, Kommunen und Universitäten wichtig", betont Christian Bremen.

Auf Initiative der EU-Kommission bauen europäische Universitäten nun mit chinesischen Hochschulen Europastudiengänge entlang der Seidenstraße auf. "Silicon road project" heißt das ambitionierte Vorhaben, mit dem die EU die Kontakte zu China ausbauen will.