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Im Schatten der Korruption

Geraldo Hoffmann22. September 2006

Korruptionsaffären und Politikverdrossenheit prägen den Wahlkampf in Brasilien. Präsident Lula steuert auf Wiederwahl zu, ein neuer Skandal seiner Arbeiterpartei könnte ihm aber noch Schwierigkeit bereiten.

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Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hält eine Wahlkampfrede
Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da SilvaBild: AP
Der sozialdemokratische Kandidat Geraldo Alckmin hält eine Wahlkampfrede
Der sozialdemokratische Kandidat Geraldo AlckminBild: AP

Rund 126 Millionen Brasilianer haben am 1. Oktober buchstäblich die Qual der Wahl: Aus rund 19.000 Kandidaten müssen sie einen Präsidenten, 27 Gouverneure, 27 Senatoren, 513 Bundestagsabgeordnete und 1059 Landtagsabgeordnete wählen. Im Mittelpunkt steht das Rennen um das Präsidentenamt, für das sich acht Kandidaten bewerben. Brasilien gilt als "drittgrößte Demokratie der Welt" nach den USA und Indien. Doch bestünde nicht Wahlpflicht, würde laut neuesten Umfragen nur knapp die Hälfte der wahlberechtigten Brasilianer ihre Stimme abgeben.

Enttäuschte Wähler

Als Hauptgrund für den politischen Frust wird die Korruption genannt, die es in allen Parteien gibt. Kaum ein Tag verging in den vergangenen vier Jahren ohne die Aufdeckung eines neuen Skandals. Das hat Spuren hinterlassen. Obwohl es dem Land wirtschaftlich gut geht, sieht es kurz vor der Mega-Wahl nicht gerade nach einem "Fest der Demokratie" aus. "Die Wähler sind von der Überdosis an Korruption betäubt. Sie spüren den Schmerz nicht, wissen aber, dass er da ist und, dass es dafür Gründe gibt", sagte Gilberto Calcagnotto, Brasilien-Experte am Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg.

Calcagnotto hat den Wahlkampf in Brasilien in den letzten Wochen vor Ort beobachtet: "Man hat den Eindruck, dass der Stimmenkauf in fast allen Parteien praktiziert wird." Deshalb stehe nicht das Parteiprogramm im Vordergrund des Wahlkampfes, sondern es gehe vor allem um die Kandidaten, die in der eigenen Partei gegeneinander um die Bestplatzierung antreten. "Dieses System der offenen Listen muss durch eine politische Reform abgeschafft werden. Sonst wird sich Lula weiterhin für jedes Projekt eine Mehrheit im Parlament erkaufen müssen", sagt der Experte.

Lulas angebliche Ahnungslosigkeit

Genau diese Praxis wurde Lula bereits in seiner ersten Amtszeit zum Verhängnis. Seine Arbeiterpartei (PT) soll 40 Abgeordneten monatlich Geld bezahlt haben, damit diese im Sinne der Regierung abstimmten. Zudem soll die PT den Präsidentschaftswahlkampf 2002 aus Schwarzen Kassen finanziert haben. Die gesamte Parteispitze der PT sowie der Chef des Präsidialamtes José Dirceu wurden daraufhin von Lula abgesetzt. Der Präsident selbst blieb im Amt, weil man ihm nicht nachweisen konnte, dass er von den Skandalen wusste. Dennoch rutschten seine Umfragewerte in den Keller. Vor einem Jahr rechnete niemand mit Lulas Wiederwahl. Intellektuelle und sogar die in Brasilien noch mächtige katholische Kirche, die ihn bei der Wahl 2002 unterstütze, gingen auf Distanz.

Kinder spielen an einem Bach in einer Favela in Sao Paulo
Dass der Schulbesuch der Kinder von Armen unterstützt wird, kam gut anBild: AP

Die Opposition hat aus Lulas Talfahrt und aus den Verstrickungen seiner Partei bisher wenig Kapital schlagen können. Seit Monaten bekommt Lula rund 50 Prozent Zustimmung in den Umfragen. Sein Hauptkonkurrent Geraldo Alckmin von der sozialliberalen Partei PSDB bringt es auf nur 29 Prozent. Die übrigen sechs Präsidentschaftskandidaten - darunter zwei Frauen - liegen jeweils unter 10 Prozent und haben keine Chance auf den Einzug in eine zweite Runde.

Sozialprogramme retten Lula

Die Wahlprogramme der beiden Hauptkontrahenten unterscheiden sich kaum. Lula kann vor allem mit der Bilanz seiner ersten Amtszeit auftrumpfen: "Die Lebenshaltungskosten sind geringer geworden, die Wirtschaft läuft weitgehend rund, die Inflation ist unter Kontrolle, die Zinsen sinken und die Sozialprogramme der Regierung erreichen ihr Publikum. Und das ist das, was für die Wähler zählt".

Vor allem bei den Armen kam das so genannte Familienstipendium der Regierung Lula gut an: Familien, die weniger als 120 Reais (45 Euro) im Monat verdienen, bekommen zusätzlich bis zu 95 Reais (35 Euro) vom Staat, wenn die Eltern ihre Kinder zur Schule schicken. Elf Millionen Familien profitieren von diesem Programm. Außerdem punktet Lula mit seinem Charisma - im Gegensatz zu Alckmin: Der ehemalige Gouverneur hebt seine administrativen Fähigkeiten hervor, begeistern kann er nicht - nicht einmal die Stammwähler seiner Partei.

Hauptsorge öffentliche Sicherheit

Auch das Thema Straßengewalt konnte Alckmin nicht ausschlachten. Obwohl die mangelnde Sicherheit den Brasilianer große Sorge bereitet, spielte es im Wahlkampf nur eine Nebenrolle. Seit Mai kamen in São Paulo - wo er in den letzten vier Jahren regierte - bei 1000 Anschlägen der Drogen- und Gefängnismafia PCC mehr als 180 Menschen ums Leben. Die meisten Opfer waren Polizisten. Die heftige Gewaltwelle erschütterte nicht nur die Brasilianer, auch ausländische Investoren schreckten auf.

Bis jetzt schien für Lula also alles nach Plan zu laufen. Doch dann kam ein neuer Korruptionsskandal um seine Arbeiterpartei ans Licht. PT-Angehörige werden beschuldigt, umgerechnet 600.000 Euro Bestechungsgelder gezahlt zu haben, um Informationen zu erhalten, die wiederum die PSDB von Alckmin in einigen Korruptionsfällen anschwärzen sollten. Mehrere Verdächtigte, darunter der Wahlkampfmanager und ein enger Berater Lulas, haben bereits ihre Ämter niedergelegt. Dies geschieht genau zu einem Zeitpunkt, als der Präsident den "Krieg gegen Korruption" als Wahlkampfwaffe für sich wieder entdeckt hatte. Ob der neue Skandal doch noch das Blatt zugunsten Alckmin wenden kann, ist allerdings fraglich.