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UN-Gesandter Lewis: Der Westen betrügt Afrika an jeder Ecke

Das Gespräch führte Christine Harjes in Toronto18. August 2006

Stephen Lewis, UN-Sondergesandter für HIV und Aids in Afrika, erzählt, was er an dem Kontinent so liebt, warum eine afrikanische Frau seine Nachfolgerin werden sollte und worum er Nelson Mandela gern bitten würde.

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Stephen Lewis (l.) mit Bill Clinton beim Welt-Aids-Kongress in Toronto (13.-18.8.)Bild: AP

DW-WORLD.DE: Ihr Einsatz für Afrika geht weit über Ihre UN-Aufgaben hinaus, wie zum Beispiel die Arbeit der Stephen Lewis Stiftung oder das von Ihnen organisierte Großmüttertreffen (Grandmothers' Gathering) hier in Toronto zeigen. Woher kommt diese Liebe zu Afrika?

Stephen Lewis: Ich habe Afrika vor 46 Jahren zum ersten Mal besucht, als ich noch ziemlich jung war. Ich war 20 Jahre alt und habe mehr als ein Jahr in Ghana, Uganda, Nigeria, Kenia verbracht und bin durch den Kontinent gefahren. Ich habe mich direkt, nachdem die Länder unabhängig geworden sind, in den Erdteil verliebt. Seitdem bin ich regelmäßig zurückgekehrt. Die schreckliche Hungersnot in Äthiopien in den 1980ern fiel in die Zeit, als ich kanadischer Botschafter bei den Vereinten Nationen war. Also war ich dann deshalb in Afrika. Ich war ständig mit Afrika in Berührung und so fühlte ich mich wirklich privilegiert, als der UN-Generalsekretär zu mir sagte: 'Angesichts der Aids-Pandemie und deiner Liebe zu dem Kontinent, Stephen, würdest du die Aufgabe des Sondergesandten übernehmen?' Ich habe geantwortet: 'Ich werde es auf jeden Fall gern versuchen.'

Was genau begeistert Sie so an Afrika?

AIDS-Konferenz in Toronto
Lewis beim Grandmothers’ Gathering mit der Sängerin Alicia Keys (rechts)Bild: AP

Afrika ist ein Kontinent mit außergewöhnlicher Erfahrung und Intelligenz an der Basis, besonders unter den Frauen. In den vielen, vielen Gemeinschaften. Es ist auch ein Kontinent mit ungewöhnlich großzügigen Gefühlen und Lebensart und es ist ein Kontinent der Musik. Es ist ein Kontinent, auf dem die Musik die Aktivitäten aufrechterhält. So war das Grandmothers' Gathering immer wieder von Tanz und Gesang gekennzeichnet. Es war ausgelassen und wundervoll – wieder ein gutes Beispiel für den afrikanischen Kontinent.

Wie erleben Sie persönlich die Auswirkungen von Aids in Afrika? Sind Kollegen oder Freunde gestorben?

Ich habe viele neue Freunde verloren. Eine der schmerzhaftesten und traurigsten Erfahrungen in Afrika ist, wenn du im Januar mit einer Gruppe von Leuten, die mit Aids leben, zusammensitzt und man hat ein intensives und tiefgründiges Gespräch über ihre Bedürfnisse und darüber, was sie erreichen wollen. Und dann kommst du im September zurück und die Hälfte von ihnen lebt nicht mehr. Menschen, die du wirklich mochtest, mit denen du viel geredet hast und für die du viel empfunden hast. Der Tod kommt so plötzlich, so brutal, wenn keine anti-retrovirale Medizin zur Verfügung steht. Die Versorgungslage sieht jetzt ein bisschen besser aus. Aber von 400 Millionen Afrikanern, die behandelt werden müssten, werden immer noch bisher nur 100 Millionen versorgt.

Wer kann am effektivsten helfen: Nicht-Regierungsorganisationen oder doch eher Regierungen? Wo liegt die Zukunft für Afrika?

Afrikas Zukunft liegt in der Entschlossenheit der westlichen Welt, ihre Versprechen einzuhalten. Afrika hat die G8-Länder nie gebeten, mehr zu tun als sie versprochen haben. Afrika bittet nur darum, dass die G8-Länder ihre Versprechen halten. Und auf dem Gleneagles-Treffen im Juli 2005 wurde schon deutlich, dass all die großen Zusagen für Hilfe, Entschuldung und Handel auseinander brechen. Die Tendenz, Afrika an jeder Ecke immer wieder zu betrügen, passt leider zu westlichem Verhalten. Wenn Afrika einen Durchbruch gegen die Pandemie schaffen sollte, wenn es die Krankheit besiegen sollte, dann braucht es einen Strom von Ressourcen für Medikamente und die Behandlung von Krankheiten. Es muss das Gesundheitssystem und die Infrastruktur wieder aufbauen. Afrika ist sich des Problems absolut bewusst und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um mit der Krankheit fertig zu werden. Aber Afrika kann es nicht alleine schaffen – es ist zu arm. Und ein Grund für diese Armut ist das Verhalten der westlichen Welt.

Wie schaffen Sie es, trotz dieser ständigen Widerstände weiter zu kämpfen und nicht frustriert aufzugeben?

Ich glaube, man kämpft weiter, weil es auch absolut sinnlos wäre, aufzugeben. Man knirscht mit den Zähnen und man macht weiter. Eines Tages wird das Pendel in die andere Richtung umschlagen und wir werden den Durchbruch schaffen. Das Problem ist, dass es so lange dauert und dass auf dem Weg dorthin so viele Menschen unnötig sterben – besonders Frauen.

Wenn Sie einen Menschen auf der Welt bitten könnten etwas in der HIV-/Aids-Politik zu ändern. Wer wäre das und was wäre Ihr Wunsch?

Ich würde um etwas sehr Kleines bitten: Ich würde Nelson Mandela bitten, denn er ist für mich die Ikone auf unserem Planeten. Mandela kennt die Krankheit gut und er hat viel darüber gesprochen. Ich würde ihn bitten, die Politik der südafrikanischen Regierung zu ändern. Diese Regierung ist bemerkenswert unsensibel, wenn es darum geht, sich um den Bedarf an Behandlung für das eigene Volk zu kümmern. Täglich sterben in Südafrika 800 Menschen an Aids. Das ist eine Tragödie, für die es keine Worte mehr gibt. Wenn wir die Situation in Südafrika ändern könnten, würden alle anderen afrikanischen Länder folgen; Südafrika ist eine Art Signalgeber für den Kontinent.

Ende des Jahres geben Sie Ihren Posten als UN-Sondergesandter ab. Dabei sagen viele, Sie sind genau der richtige Mann am richtigen Ort.

Wenn ich könnte, würde ich bleiben. Aber Ende des Jahres sind fünfeinhalb Jahre um und Kofi Annan gibt Ende 2006 seinen Posten als UN-Generalsekretär ab. Viele Leute, die er berufen hat – unter anderen eben ich selbst – gehen mit ihm. Und um ganz ehrlich zu sein: Es fühlt sich zunehmend unangenehm an, als weißer Kanadier Sondergesandter für Afrika zu sein. Wir haben den Punkt erreicht, wo das ein Afrikaner sein sollte und vor allem eine afrikanische Frau. Und wenn sie keine afrikanische Frau als meine Nachfolgerin ernennen, dann ist das eine Schande. Es muss einfach eine afrikanische Frau werden.