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"Mehr Entwicklungshilfe in die Wirtschaft stecken"

Monika Dittrich22. Juli 2006

Die Vereinten Nationen nennen sie die "Least Developed Countries" (LDC): die am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Ihnen würde Entwicklungshilfe für Wirtschaftsprojekte mehr nützen als für Soziales, meint die UNO.

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Arbeiterinnen in Bangladesch, einem der wenigsten entwickelten Länder der WeltBild: AP

Wirtschaftsstruktur und Bruttoinlandseinkommen, Kindersterblichkeit, Gesundheit, Ernährung und Bildung - das sind einige Kriterien, anhand derer die Vereinten Nationen (UNO) die ärmsten Länder der Welt definieren. Auch die Verwundbarkeit von Gesellschaften, also ihre Stabilität, spielt eine Rolle.

Alle zwei Jahre nehmen die Vereinten Nationen die besonders armen Länder, ihre Probleme und ihre Chancen unter die Lupe. Auf der aktuellen Liste sind 50 Länder mit rund 740 Millionen Menschen gelandet.

Wer steht auf der Liste?

Mali, Eritrea und Liberia gehören dazu, ebenso wie Haiti, Bangladesch oder Nepal. Insgesamt wird die Liste der besonders armen Länder immer länger: "Zurzeit gibt es 50 Länder, die als LDC qualifiziert sind. Die meisten befinden sich in Afrika südlich der Sahara, fast alle anderen im asiatischen und pazifischen Raum", sagt Michael Herrmann. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Mitautor der diesjährigen UN-Studie über die am wenigsten entwickelten Länder.

Die Ursachen sind vielfältig und kompliziert. Es gibt aber nach Ansicht der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) ein akutes Hauptproblem, das sich in fast allen Ländern identifizieren lässt: Es gelingt einfach nicht, genügend Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft zu schaffen.

Handicap: Schwacher Sturkturwandel

Und das, obwohl der Agrarsektor schrumpfe und immer mehr Menschen aus den ländlichen Regionen in die Städte zögen. "Wegen des schwachen Strukturwandels in Industrie- und Dienstleistung werden diese Leute kaum die Arbeitsplätze finden, die sie sich erhoffen", sagt Herrmann. "Die meisten Menschen arbeiten im informellen Bereich mit niedriger Produktivität, geringen Löhnen und ohne soziale Standards, und nicht in ordentlichen Firmen im produktiven Sektor." Die Wahrscheinlichkeit sei höher, Schuhe putzen zu müssen als für eine Textilfirma arbeiten zu können.

Und weil es die Jobs im Dienstleistungs- und Industriesektor nicht gebe, nähmen die Staaten kaum Steuergelder ein. Gerade einmal 28 US-Dollar hätten die ärmsten Länder der Welt pro Einwohner und Jahr für Investitionen. "von den 28 Dollar muss die Regierung Bildung finanzieren, Gesundheit, Infrastruktur, Institutionen reformieren. Das Geld reicht nie aus, das ist viel zu wenig", sagt Herrmann. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gelte.

Fokus mehr auf Wirtschaft als auf Soziales richten

Die Experten der Vereinten Nationen schlagen in ihrem Bericht vor, wieder mehr internationale Hilfsgelder in Produktion und Beschäftigung zu stecken. Wirtschaftswachstum sei in den am wenigsten entwickelten Ländern das beste Rezept im Kampf gegen die Armut, so Hermann: "Der Ruf nach wirtschaftlicher Entwicklung ist nichts Revolutionäres. Aber der Ruf nach wirtschaftlicher Entwicklung im Kontext heutiger Entwicklungspolitik bedeutet eigentlich fast schon einen Paradigmenwechsel. Denn heutzutage beschäftigt sich Entwicklungspolitik hauptsächlich mit sozialer Entwicklung. Es gibt einen sehr starken Fokus auf die Entwicklung etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungsbereich."

Das sei falsch angelegtes Geld, so Herrmann. Die Mittel für Entwicklungshilfe hätten sich in den vergangenen Jahren zwar verdoppelt, die Investitionen in Produktion und Infrastruktur seien aber gesunken. In den besonders armen Ländern komme es darauf an, mehr Geld für die Infrastruktur auszugeben, etwa für Straßen und Stromversorgung. Nur so würden Jobs geschaffen und die Nachfrage angeregt.

Ohne Wirtschaftswachstum neue Schuldenkrise

Es gehe auch darum, den Handel innerhalb der Länder zu stärken. Außerdem sei es wichtig, funktionierende Institutionen wie Universitäten und Banken aufzubauen. Dieser wirtschaftlich orientierte Ansatz sei jenem der 1980er Jahre zwar ähnlich, so Herrman. Es gehe aber nicht darum, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, sondern um eine neue Balance zwischen sozialem und produktivem Sektor.

"Wir werden eine neue Schuldenkrise haben, wenn diese Länder wirtschaftlich nicht wachsen - eine neue Beschäftigungskrise, mehr internationale Migration von diesen Ländern in unsere Länder, weil dort keine Arbeitsplätze geschaffen werden. Das passiert, wenn wir nichts für das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern tun", sagt der Wirtschaftsexperte. Insofern sei es auch im Interesse der reichen Länder, den ärmsten Ländern der Welt zu helfen und die Liste der LDC nicht weiter wachsen zu lassen.