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Tunesiens Bürgerrechtler fühlen sich vom Westen im Stich gelassen

Mona Naggar10. Juni 2006

Unfaire Verfahren, Folter politischer Gefangener, starke Einschränkungen der Meinungsfreiheit - der Weltinformationsgipfel in Tunis im vergangenen Jahr hat die Menschenrechtslage in Tunesien nicht wie erhofft verbessert.

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Der tunesische Präsident Zine El Abidine Ben Ali lässt sich bejubelnBild: AP

Zwei Dinge scheinen in tunesischen Internetcafés unerlässlich zu sein: Das Bild des Staatspräsidenten Zine El Abindine Ben Ali - und ein Hinweis, der unübersehbarer neben jedem PC klebt. Auf Französisch und Arabisch wird der Nutzer daran erinnert, dass das Surfen in pornographischen und verbotenen Websites untersagt ist. Diese Warnung ist eigentlich überflüssig. Der Zugang zu den Seiten tunesischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen, tunesischer Oppositionsgruppen und regimekritischer Blogs ist ohnehin von Tunesien aus nicht möglich.

Schneller Zugriff

Die Warnung dient wahrscheinlich eher dazu, die Nutzer daran zu erinnern, dass die Augen des Geheimdienstes immer mitsurfen. Sicherheitsapparate und Justiz gehen hart gegen Nutzer vor, die es wagen, im Netz den Staat zu kritisieren. Ein Beispiel ist der 28-jährige Ramzi Bettibi, der in einem Internetcafé arbeitete. "Er hat die Drohung einer islamistischen Gruppe, die mit Anschlägen gedroht hat, falls der damalige israelische Ministerpräsident Tunesien besucht, kopiert und in das Forum zur Diskussion gestellt, in dem er aktiv war", erzählt sein Bruder Aiman. "Er schrieb einen Kommentar darunter, in dem er sagte, dass diese Drohung das Ergebnis von Entscheidungen sei, die Ben Ali alleine treffen würde." Zwei Tage später, am 15. März 2005, wurde er verhaftet.

Ein weiteres Beispiel ist der Anwalt Mohamed Abbou. Er veröffentlichte auf der Website tunisnews.net einen Protestbrief gegen den geplanten Besuch des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon in Tunis im November 2005. Bettibi und Abbou wurden zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Human Rights Watch und lokale Menschenrechtsgruppen fordern die sofortige Freilassung Abbous und Bettibis. In den vergangenen Wochen haben Mitglieder der tunesischen Anwaltskammer mehrmals für die Unabhängigkeit der Justiz demonstriert. Sie wurden von der Polizei zusammengeschlagen.

Keine Zugeständnisse

Mit dem UNO-Weltinformationsgipfel in Tunis im November vergangenen Jahres hofften einige Menschenrechtsaktivisten, dass die internationale Aufmerksamkeit die tunesische Regierung dazu bringen könnte, Zugeständnisse bei den Menschenrechten zu machen. Diese Hoffnungen erfüllten sich nicht. "Wir als Journalistengewerkschaft werden daran gehindert, aktiv zu sein - obwohl wir alle notwendigen gesetzlichen Schritte unternommen haben, und obwohl das tunesische Gesetz den Journalisten erlaubt, Gewerkschaften zu gründen", sagt Lotfi Hajji, Präsident der unabhängigen Gewerkschaft tunesischer Journalisten (SJT). "Wir werden daran gehindert, unsere Treffen abzuhalten - und uns wird verboten, in der Öffentlichkeit Aktivitäten durchzuführen." Die Nachrichten, Analysen und Reportagen in der tunesischen Presse seien von den gleichen Tabus bestimmt wie vor dem Weltinformationsgipfel und dies gelte auch für das Internet. "Die tunesische Regierung hat auf dem Gipfel der Weltgemeinschaft versprochen, mit den Medien anders umzugehen als bisher. Aber nichts ist geschehen", sagt Haji.

Lotfi Hajji vergleicht die Situation des Journalisten in Tunesien mit einem Autofahrer, der mit einer geschwärzten Windschutzscheibe fahren muss. Er weiß nie, in welche Richtung er fährt. Was heute erlaubt ist, kann morgen verboten sein. Sogar Artikel über Schuhputzer, Bettler oder Brotpreise können den Unmut der Zensoren erregen und dazu führen, dass Zeitungen konfisziert werden. Kein Wunder, dass tunesische Tages- und Wochenzeitungen sich auf Sport und Kriminalität konzentrieren und sie alle sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden. "Im Bericht der Journalistengewerkschaft, den wir vor kurzem herausgegeben haben, haben wir eine Liste von Journalisten zusammengestellt, die entlassen wurden und keine Möglichkeit mehr haben, in der lokalen Presse tätig zu sein", berichtet Lotfi Hajji. "Entweder schreiben sie für ausländische Medien - oder sie gehen ins Exil." Diese fähigen Journalisten fehlten der tunesischen Presse. Inzwischen zähle Tunesien zu den arabischen Ländern, wo es um die Pressefreiheit am schlechtesten bestellt sei.

Zusammenarbeit mit der EU

Seit über zehn Jahren hat Tunesien ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Das Abkommen sieht nicht nur wirtschaftliche Zusammenarbeit vor, sondern auch Kooperationen im Bereich der Zivilgesellschaft, der Medien und der Justiz. Der ehemalige Richter Mokhtar Yahyaoui ist 2001 von seinem Dienst suspendiert worden, weil er Präsident Ben Ali in einem offenen Brief aufgefordert hatte, für die Unabhängigkeit der Justiz zu sorgen. Yahyaoui ist zur Zeit Präsident der tunesischen Vereinigung für die Unabhängigkeit der Richter und der Anwälte. Er ist davon überzeugt, dass das Regime von Ben Ali nur mit westlicher Unterstützung weiter bestehen kann. "Ich verstehe die Position des Auslands nicht. Warum wird gegenüber Syrien, Iran oder Kuba eine bestimmte Politik betrieben - und gegenüber Tunesien eine andere?!", fragt Yahyaoui. "Was mich angeht, wäre ich ohne die Unterstützung zahlreicher Gruppen und Organisationen sicherlich schon im Gefängnis. Aber diese Unterstützung gibt uns unsere Rechte nicht zurück. Und die Unterdrückung hört auch nicht auf."