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Baltische Erfolgsgeschichten ohne Happy-End

Christine Harjes18. Mai 2006

Wenn EU-Kommissionspräsident Barroso nach Estland reist, wird er Zeuge des Wirtschaftswunders im Baltikum. Für den Beitritt in die Eurozone reicht es trotzdem nicht. Sind die Kriterien zu streng?

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Banken-Boom in EstlandBild: picture-alliance/ ZB

Vielleicht muss EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Freitag (19.5.2006) bei seiner Reise nach Estland das jüngste Euro-Votum seiner Kommission rechtfertigen: Litauen, so finden EU-Kommission und Europäische Zentralbank, ist noch nicht reif für den Beitritt zur Euro-Zone. Dabei haben die drei baltischen Staaten eine echte Erfolgsgeschichte hinter sich: Sie schafften den Weg von Kommunismus und Planwirtschaft hin zu Marktwirtschaft und Demokratie mit Wachstumszahlen, bei denen die Länder der Euro-Zone nur neidisch werden können. So ist die Wirtschaft Estlands im letzten Quartal des vergangenen Jahres um 10,5 Prozent gewachsen, Lettland legte um 10,5 Prozent zu und Litauen um 8,8 Prozent. Die zwölf Länder starke Euro-Zone konnte für denselben Zeitraum dagegen nur ein Wachstum von 1,7 Prozent vorweisen.

Trotzdem: Für den erhofften Beitritt in die Euro-Zone reichen die Zahlen nicht. Eigentlich wollten alle drei Länder 2007 den Euro einführen. Doch daraus wird jetzt nichts. Nur Litauen stellte bisher den Antrag zur Überprüfung der "Euro-Eignung" für 2007. Estland verschob das anvisierte Beitrittsdatum bereits von sich aus auf 2008.

Mangelnde Nachhaltigkeit in Litauen

Das Problem der drei "baltischen Tiger" liegt in der Inflationsrate. Litauen verpasst die Richtmarke von 2,6 Prozent zwar nur um 0,1 Prozentpunkte, aber schon diese minimale Abweichung genügte für ein gestrenges "Nein" der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank. Besorgniserregend sei nicht hauptsächlich die derzeitige Inflationsrate, sondern die mangelnde Nachhaltigkeit, sagt Walter Pudschedl von der Bank Austria Creditanstalt. "Auch wir müssen in unseren Prognosen befürchten, dass die Inflationsrate, die derzeit relativ knapp am Limit ist, in Kürze deutlich steigen wird. Wir haben für Litauen eine Inflationsrate von über drei Prozent im nächsten Jahr zu erwarten und damit wäre dieses Kriterium deutlich überschritten", erklärt Pudschedl.

Überhitzung der Wirtschaft

Litauen Altstadt von Vilnius
Spaß am Shoppen in LitauenBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Seiner Meinung nach ist die Inflationsrate in den baltischen Staaten bereits ein deutliches Zeichen für eine Überhitzung der Wirtschaft. Die starke Binnenkonjunktur, also hoher Konsum und starke Investitionen brächten eine Inflation mit sich. So lag sie in Estland im vergangenen Jahr bei 4,1 Prozent und in Lettland bei sieben Prozent. Damit rückt der Beitritt für alle drei Länder in weite Ferne, glaubt Pudschedl: "Wir gehen davon aus, dass sich das nicht nur weiter verzögern wird, sondern dass auch nächstes Jahr die Erfüllung der Kriterien nicht zu erwarten ist, sodass wir möglicherweise erst 2009 einen Beitritt sehen könnten." Der könnte dann allerdings für alle drei Länder gemeinsam ablaufen, sagt Pudschedl. "Das wäre durchaus eine Option mit einem gewissen Charme, weil das für die in sich verflochtene Wirtschaft der drei baltischen Länder keine schlechte Variante wäre."

So relevant wie Zahlen aus Afrika

Willem Buiter, früher Chefökonom der Europäischen Entwicklungsbank und heute Professor an der London School of Economics and Politics, hält den Beitrittsaufschub für einen riesigen Fehler. Seiner Meinung nach sind die Beitrittskriterien lächerlich. So werde der Inflationsrichtwert auf Grundlage der drei preisstabilsten EU-Länder berechnet, statt Mitgliedsstaaten der Euro-Zone heranzuziehen. "Beitrittskriterien von Ländern abzuleiten, die nicht Mitglied der Euro-Zone sind und vielleicht – wie im Falle Großbritanniens – auch gar nicht beitreten wollen ist, als würde man die Inflationsrate irgendeines Landes in Afrika als Bezugsgröße nehmen", sagt Buiter. Auch er sieht eine mögliche Überhitzung der Wirtschaft, glaubt aber, dass sich der Markt von alleine regulieren wird. "Da wird es zu gegebener Zeit eine Korrektur geben, die vielleicht schmerzhaft wird, aber so funktionieren Finanzmärkte nun mal. Andere Länder wie Großbritannien oder Irland, Spanien und Portugal haben das auch", erklärt der Wirtschaftswissenschaftler. Das sei noch lange kein Grund, nicht in die Eurozone eintreten zu dürfen.

Eine spannende Reise

Luxuslimousine vor dem Kaufhaus Stockmann in Riga
Luxuslimousine in LettlandBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Selbst bei Lettland, dem baltischen Land mit der höchsten Inflationsrate, sieht Buiter keinen großen Grund zur Beunruhigung. "Vieles scheint nur zu reflektieren, dass dieses Land boomt und dass sich die Preise angleichen, was die Form einer vorübergehenden Inflation über dem Level des alten Europas annimmt", sagt Buier. Er schlage einfach etwas mehr steuerliche Strenge vor. Ansonsten: "Zurücklehnen und die Reise genießen!"